Landesvorstand: Corona und Klima: Zwei Krisen, eine Chance. Unter­stützungs- und Konjunktur­programme mit dem Klima­schutz zusammen­denken.

Beschluss des SPD-Landesvorstands vom 11.5.2020:

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verlangen von uns enorme Einschnitte im sozialen und wirtschaftlichen Leben. Mit den kurzfristigen staatlichen Unterstützungsprogrammen kann bislang vieles an wirtschaftlichen Einbrüchen abgefedert werden. Nichtsdestotrotz werden die Auswirkungen der Maßnahmen massive staatliche Konjunkturprogramme notwendig machen. Dabei dürfen alte Fehler nicht wiederholt und sollte der Rückgriff auf überholte Annahmen oder Maßnahmen vermieden werden. Wir wollen die öffentlichen Gelder gezielt und nachhaltig einsetzen.

Die Konjunkturprogramme müssen auf Grundlage von anvisierten langfristigen Effekten ausgestaltet werden. Wenn diese nicht bloß auf ihren kurzfristigen Beitrag geprüft werden, dann kann es uns gelingen, die Wirtschaftskrise und die Klimakrise gemeinsam zu überwinden. Wir müssen beide Krisen jetzt zusammen betrachten und an einer Energie- und Verkehrswende, an Dekarbonisierung und Digitalisierung arbeiten. So kann eine Win-Win-Situation hergestellt werden.

Die Weltgemeinschaft hat sich auf die Begrenzung der Erderwärmung und die Reduktion der CO2-Emission geeinigt. Europa und Deutschland haben hierfür Klimaziele formuliert. Die erforderlichen Maßnahmen sind jedoch zuletzt ins Stocken geraten. Die massiven öffentlichen Ausgaben während und nach der aktuellen Krise verstehen wir deshalb als Zukunftsinvestitionen. Um die sozial-ökologische Transformation anzukurbeln, müssen die Konjunkturprogramme im Bund und in den Ländern den Beschäftigen und die Unternehmen beim Vorantreiben des Strukturwandels unterstützen und so Klimaschutz und wirtschaftliche Chancen verbinden.

ENERGIE

Die Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz dürfen in und nach der Corona-Krise nicht reduziert werden. Vielmehr muss der Umbau der Energiesysteme und der Ausbau energiesparender Maßnahmen in Europa weiter beschleunigt werden. Dies ist sowohl zur kurzfristigen Stützung der Konjunktur als auch für die langfristige Dekarbonisierung enorm wichtig. Der öffentliche Sektor kann dabei als Vorbild fungieren. Wenn technisch möglich, sollten die Dächer öffentlicher Gebäude, wie z.B. von Schulen oder Verwaltungseinrichtungen, mit Solarthermie- und Photovoltaik-Anlagen ausgestattet werden.

Der erforderliche und gezielte Einsatz öffentlicher Investitionsmaßnahmen muss auch mit dem Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen einhergehen. Hierfür müssen zusätzliche Gelder für die Finanzierung der Konjunkturmaßnahmen bereitgestellt werden, womit gleichzeitig der sozial-ökologischen Umbau noch besser gesteuert und vorangebracht werden kann.

MOBILITÄT

Der Verkehrssektor steht unabhängig von der Corona-Krise vor tiefgreifenden Veränderungen, die zum Erreichen der Klimaziele notwendig sind. Die Dringlichkeit einer Verkehrs- und Mobilitätswende muss bei allen staatlichen Unterstützungsprogrammen und generell bei Beteiligungen an Unternehmen im Verkehrssektor berücksichtigt werden. Notwendige Umbrüche insbesondere in der Automobil- und Luftfahrtbranche sollten dabei nicht verschleppt werden. Die verpasste Möglichkeit, sich auf den Umbruch vorbereitet zu haben, sollte vom Staat hingegen nicht entschädigt werden. Eine Abwrackprämie wie in der letzten Finanzkrise lehnen wir entschieden ab. Vielmehr sollten die Liquiditätshilfen, Unternehmensbeteiligungen durch den Staat, und Aufbauhilfen sowie andere Programme über Vereinbarungen mit den Automobilhersteller*innen und den Fluggesellschaften mit der Erhöhung der Investitionen in klimafreundliche Technologien verknüpft werden. So kann ein wirtschaftlicher Neustart von krisengeschüttelten Branchen auf den notwendigen Wandel hin ausgerichtet werden.

Es muss unbedingt vermieden werden, dass im Zuge der Einschränkungen der Transportketten und der wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie Güterverkehre von der Schiene auf die Straße rückverlagert werden. Auch die Konjunkturprogramme müssen die Schiene statt die Straße und den Luftweg stärken. Sowohl im Falle staatlicher Beteiligung an Unternehmen als auch in Verbindung mit anderen Programmen sollten zudem Kurzstreckenflüge vermehrt abgeschafft und auf die Schiene verlagert werden. Insofern kann der in Frankreich eingeschlagene Weg, Inlandsflüge durch Zugverbindungen zu ersetzen, und dessen Vorgaben im Zuge der Air-France-Hilfen hier zum Vorbild genommen werden. Zudem soll mithilfe eines neuen Luftverkehrskonzepts der Flugverkehr besser auf die Herausforderungen der Krise vorbereitetet werden. Große Flughäfen sollen mit dem gut ausgebauten Schienennetz zu einem effizienten und arbeitsteiligen Gesamtsystem zusammengeschlossen werden. Zudem soll auf eine effizientere Auslastung der Flugzeuge hingearbeitet werden. Bisherige Steuerbefreiungen sollen in ganz Europa abgeschafft werden. Die Bahn muss in dieser Zeit der extrem niedrigen Auslastung bei sehr hohen Kosten durch Erstattungen und Gutschriften staatlich unterstützt werden. Hilfsprogramme müssen dabei nachhaltig ausgerichtet sein, um das Angebot der Bahn zu sichern und durch die Erhöhung der Attraktivität des Bahnfahrens mehr Menschen zur Nutzung der Bahn im Fernverkehr zu bewegen. Jetzt ist die Zeit den Investitionsstau abzubauen.

Auch die innerstädtische Mobilität muss sicher, hygienisch, umweltverträglich und sozial gerecht gestalten werden. Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr und den Ausbau der Straßen müssen daher gezielt dahingehend ausgerichtet werden, dass Lärmbelästigungen und Luftverschmutzung eingedämmt werden, Verkehrsteilnehmer*innen sich durch eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Straßenraumes freier und zugleich sicherer bewegen können und der ÖPNV regelmäßig desinfiziert wird. Investitionen sollten gezielt darauf ausgerichtet sein, den Umstieg vom Auto auf ÖPNV und besonders in Städten auch auf Fahrrad zu begünstigen.

ARBEITSWELT

Durch die Kontaktbeschränkungen der letzten Wochen wurden viele Arbeitsabläufe in Unternehmen und Verwaltungen digitalisiert. Wir müssen dies als Chance nutzen, ohne dabei den bisher geltenden Arbeitnehmerinnenschutz aufzuweichen! Gemeinsam mit den Beschäftigten müssen jetzt Fahrpläne aufgestellt werden, wie sie kurz- und mittelfristig mit bestehenden Hygienevorschriften arbeiten wollen und können. Die gesammelten Erfahrungen müssen genutzt werden, um sinnvoll zu digitalisieren. Das Ziel muss es sein, Digitalisierung zum Schutz von Klima und der Gesundheit für Arbeitnehmerinnen zusammenzubringen. Das kann bspw. bedeuten, Dienst- und Geschäftsreisen zu reduzieren und zu verlagern. Unternehmen sollten Anreize für die Nutzung der Bahn und weniger Geschäftsreisen geben sowie insbesondere Fernflüge möglichst oft durch Videokonferenzen ersetzen. Auf Inlandsflüge sollten sie komplett verzichten. Als Anreize sollten Bahnfahrzeiten als Arbeitszeiten anrechenbar sein sowie längere Bahnreisen beispielsweise durch zusätzliche Urlaubstage entgolten werden. Der öffentliche Dienst kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Um insbesondere längere Bahnreisen auch für Geschäftsreisende attraktiv zu machen, sollte der Ausbau von in- und ausländischen Nachtzügen vorangetrieben und finanziell unterstützt werden.

Um die Beschäftigten in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen, wollen wir Weiterbildung fördern und (vorhandene) digitale Plattformen einsetzen. Wir unterstützen den Vorschlag eines Rechtsanspruchs auf Home-Office, wo dies möglich ist. Dieser muss jedoch einhergehen mit dem Schutz vor unsichtbarer Mehrarbeit und dem Druck nach ständiger Erreichbarkeit. Aus diesem Grund muss die Arbeitszeit im Home Office vollständig erfasst werden. Darüber hinaus wollen wir mittelfristig die Chancen digitaler Produktionsweisen nutzen, um eine generelle Arbeitszeitverkürzung (4-Tage-Woche, max. 30 Stunden) unter Beibehaltung des Lohnniveaus umzusetzen.
Dabei muss sichergestellt werden, dass die Rechte und Handlungsmöglichkeiten der ArbeitnehmerInnenvertretung und Gewerkschaften gewahrt bleiben und formelle und informelle Räume für die Organisation von Arbeitnehmerinnen zur Wahrung ihrer Interessen bewahrt bzw. neu geschaffen werden.

Dabei darf der Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht zu kurz kommen. Beschäftigten im Home Office muss eine geeignete Ausstattung, wie u.a. ein digitales Endgerät oder ein ergonomischer Arbeitsplatz kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollten Beschäftigte die Möglichkeit haben, nach eigenem Wunsch an Ihren Arbeitsplatz im Betrieb zurückkehren zu können.

NACHHALTIGE FINANZWIRTSCHAFT

Die in den kommenden Wochen und Monaten aufzulegenden Konjunkturprogramme müssen orientiert an den Vorschlägen des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung an Nachhaltigkeitsaspekte geknüpft werden, beispielsweise durch ein Verknüpfen von KfW-Krediten an Effizienzziele.