Kind am HerdAdobe Stock / photophonie

Landesvorstand: Familien brauchen Lösungen

Beschluss des SPD-Landesvorstands:

Die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie ist für (fast) alle Menschen eine Zumutung: Geschlossene Geschäfte, wirtschaftliche Einbußen, Kontaktbeschränkungen, geschlossene Bildungseinrichtungen – Menschen stehen kurz vor den Scherben ihrer Existenz weil z.B. ihr Restaurant oder Frisörsalon geschlossen wurde, sind in Kurzarbeit oder müssen mit
extremer Belastung umgehen, weil sie z.B. als Krankenpflegerin arbeiten. Das sind äußerste Belastungssituationen, in denen zu helfen gilt – was die Bundesregierung, insbesondere die SPD-Ministerinnen, auch so gut es geht mit Hilfspaketen tut.

Es gibt aber auch Gruppen von Menschen, deren drängendste Sorge nicht das finanzielle Überleben ist – deren Nöte ebenfalls drängen und denen bisher kaum Hilfestellungen angeboten wurde: Kinder, die täglich aus ihrem gewohnten Tagesablauf gerissen werden, ihre Freundinnen nicht mehr sehen, keinen Freizeitaktivitäten wie Turnen oder Spielplätzen nachgehen und keine Bildungsangebote mehr wahrnehmen können. Ebenso durch die Situation getroffen sind bundesweit etwa 4,2 Millionen Familien mit Kindern bis zu zwölf Jahren, bei denen beide oder alleinerziehende Elternteile erwerbstätig sind. Die wenigsten von ihnen arbeiten in systemrelevanten Berufen und haben deshalb somit keinen Anspruch auf Notbetreuung.

Wir begrüßen ausdrücklich die Ankündigung des Senats, die berechtigten Gruppen für die Notbetreuung sukzessive zu erweitern. Maßgabe sollte sein, dass alle Arbeitnehmer*innen aus Branchen, in denen (Präsenz-)arbeit wieder stattfindet, auch Anspruch auf Betreuung haben müssen. Dabei muss es ausreichen, wenn ein Elternteil zum Berechtigtenkreis gehört, da andernfalls die Betreuungsarbeit vollständig dem anderen Elternteil aufgebürdet würde.

Die Anzahl dieser Personengruppe wird über die angestrebte Ausweitung der Notbetreuung der Kitas jedoch nur minimal reduziert werden. Es bleibt aber auch nach dieser Änderung ein großer Teil der Eltern bis auf weiteres für die Betreuung ihrer Kinder alleine zuständig – ohne aufgrund der Einschränkungen im Alltag durch Corona auf Unterstützung von außen
zurückgreifen zu können. Diese Menschen sind weiterhin mit ihrer Situation weitestgehend allein gelassen.

Unterstützung für Eltern mit kleinen Kindern beschränken sich bisher allein auf den Wunsch des Gesetzgebers, der Arbeitgeber möge Homeoffice ermöglichen. Was jedoch, selbst wenn dies ermöglicht wird, keine akzeptable Lösung für Eltern – und Kinder – darstellen kann. Wer
einmal den Versuch unternommen hat, ein oder gar mehrere Kleinkinder zu betreuen und gleichzeitig E-Mails oder Telefonate zu erledigen, geschweige denn konzentriert an etwas zu arbeiten, weiß: so kann man sich vielleicht einige Tage durchwurschteln – Wochen oder gar Monate so einen achtstündigen Arbeitstag auch nur ansatzweise zufriedenstellend zu
erledigen, ist unmöglich. Hinzu kommen steigende Spannungen in der Familie durch oftmals wenig Raum und fehlende Abwechslung für alle im Alltag in der Wohnung. Dabei darf nicht vergessen werden, dass den Familien durch geschlossene Spielplätze, abgesagte Turnstunden etc. auch jegliche Alternative zum Aufenthalt in der Wohnung oder einem kurzen Spaziergang im Kiez fehlt. Für (Klein-)Kinder reicht das aber nicht.

Gleichstellungspolitisch ist die aktuelle „Lösung“ nicht hinnehmbar: aufgrund der derzeitigen Verteilung der Care-Arbeit und Zeitinvestitionen für Haushalt, Kinderbetreuung etc. zwischen Männern und Frauen wird die Krise aktuell bestehende Ungleichgewichte diesbezüglich noch verstärken und da in vielen Fällen vor allem die Frauen die Homeoffice-Kinderbetreuungs­situation meistern, werden gerade sie ihre Arbeitszeit reduzieren und der höher bezahlte Job (der Männer) wieder mehr zählen. Wir können einer Rolle rückwärts in der Gender-Politik zuschauen.

Auch die Kinderperspektive scheint in der aktuellen Debatte gar keine Rolle zu spielen. Die Bildungsforschung zeigt, dass die frühe Bildung für Kinder grundlegend für den weiteren Bildungserfolg ist und maßgeblich über Entwicklungs-, Teilhabe- und Aufstiegschancen entscheidet. Deswegen darf man den fehlenden Kita-Alltag für die Kinder nicht als Nichtigkeit abtun, sondern muss die Kitas bei den aktuellen Maßnahmen mitbetrachten.

Viele Familien mit kleinen Kindern sind selbst im Normalzustand mit intakten Betreuungs- und Unterstützungsnetzwerken an ihren Belastungsgrenzen. Wenn all dies jedoch längerfristig ausfällt, sind auch stabile Familienkonstellationen überstrapaziert. Um ihre Aufgaben und Arbeitszeiten ansatzweise zu erledigen sind für die meisten Eltern im
Homeoffice Arbeitszeiten von 5.30h bis 22:30/23h Alltag.
Hier muss die Politik Perspektiven anbieten, die deutlich über die lapidare Aussage „Kindertagesstätten bleiben vorerst geschlossen“ hinausgehen.
Eltern brauchen Lösungen – und zwar jetzt.

Soweit die Kita aus Infektions­schutz­gründen nicht öffnen kann, erwarten betroffene Eltern zu Recht, dass zumindest über Alternativen diskutiert wird.
Dabei sind verschiedene, nebeneinander stehende Konzepte denkbar und müssen in die Debatte gebracht werden:

  • Konzepte für die sinnvolle Beschäftigung und Betreuung von Kleinkindern jenseits von Spielplätzen sowie ein Plan für die schrittweise Öffnung eben dieser.
  • Verpflichtung der Kitas auch in dieser Ausnahmesituation digitale interaktive Angebote bereitzustellen, um den Kontakt zu den Kindern und unter den Kindern zu fördern.
  • Bereitstellen eines Leitfadens für die Kitas, wie in der aktuellen Situation die Qualität in der frühen Bildung aufrecht erhalten werden kann.
  • Erarbeitung von Konzepten, wie Kita-Betreuung möglichst schnell und ggf. auch mit Restriktionen (Beschränkung sozialer Kontakte der Kinder, Draußen-Betreuung, verkürzte Öffnungszeiten) stattfinden kann.
  • Lockerung bestehender Kontaktverbote für kleine (private) Betreuungsgemeinschaften
  • Kindertagespflegestellen wieder öffnen, in denen nicht mehr als fünf Kinder betreut werden. Verbunden mit der weiteren Öffnung muss eine Debatte über Aufwertungen des Erzieher*innen-Berufs geführt werden.
  • Anerkennung der aktuellen Situation als Grund für bezahlten Sonderurlaub für Eltern
  • Gesetzliche Arbeitszeitverkürzung
  • Einführung einer Corona-Elternzeit sowie eines Corona-Elterngeld, also einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung mit entsprechendem Kündigungsschutz und eine Einkommensersatzleistung – ähnlich der von der SPD geforderten Familienzeit.

Die Pressemitteilung zum Beschluss finden Sie hier.