Kleinunternehmer in ihrem RestaurantAdobe Stock / dpVUE .images

Landesvorstand: Gastronomie unterstützen – Existenzen sichern

Beschluss des SPD-Landesvorstands vom 11.5.2020:

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Bundestages aus Berlin werden aufgefordert, sich – insbesondere in der ersten Phase der schrittweisen Öffnung – für eine Strategie für den Erhalt der Gastronomie in Berlin einzusetzen. Diese muss sowohl Maßnahmen für Betriebe mit noch fortlaufender Betriebsschließungen als auch für die nun wieder geöffneten Lokale beinhalten.

1. Miet-, Pacht- und Lieferverträge

Es ist gut, dass der Senat beschlossen hat, dass gastronomische Mieter*innen oder Pächter*innen von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ihre Miete oder Pacht stunden oder absenken können. Dies soll für private Vermieter*innen gleichermaßen gelten und möglichst bundeseinheitlich umgesetzt werden.

Darüber hinaus setzt sich die SPD Berlin im Bund für ein Pandemie-Sonderkündigungsrecht für gastronomische Mieter*innen und Pächter*innen ein, um aus langfristigen Pacht- aber auch Lieferverträgen aussteigen zu dürfen.

2. Nutzung des öffentlichen Straßenlandes

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und der Bezirksämter werden aufgefordert, zu pragmatischen Lösungen zu kommen, wonach gastronomischen Betrieben inklusive reinen Schankbetrieben das Herausstellen von Tischen und Stühlen (Schankvorgarten) vor eigenen
Geschäftsräumen für das Jahr 2020 pauschal zu genehmigen ist, sofern eine Gehwegbreite von zwei Metern (und damit der Mindestabstand für Passant*innen) weiterhin gewährleistet bleibt. Der Genehmigungsvorbehalt nach Berliner Straßengesetz soll entsprechend ausgesetzt werden. Ziel dieser Maßnahme ist es, dass die Lokale die geltenden Abstandsregeln einhalten können, ohne durch den Fortfall zu vieler Plätze nur unwirtschaftlich öffnen zu können.

Verbunden mit der pauschalen Genehmigung wäre das Aussetzen der Gebühr nach Sonder­nutzungs­gebühren­ver­ordnung bzw. in Fällen bereits gezahlter Gebühren deren Erstattung. Die Erhebung von Sonder­nutzungs­gebühren für die Nutzung öffentlichen Straßenlandes soll ggf. auch für einen begrenzten Kon­solidierungs­zeit­raum nach der Krise entfallen.

Über den Rat der Bürgermeister soll eine Korrektur der diesbezüglichen Einnahmevorgabe im Titel 3800/11155 angestrebt werden.

3. Temporäre Umnutzung von gastronomischen Flächen

Zur Krisen­be­wältigung gehört es auch, Gastronom*innen mehrere Finanzierungs­säulen unbürokratisch zu ermöglichen. Beispiels­weise sollen ehem. Ausschank­flächen zu Verkaufs­flächen umgewandelt werden können und so ein temporärer Laden­betrieb ermöglicht werden. Voraus­setzung dafür ist, dass Tische und Stühle abgesperrt sind, die Hygiene­vor­schriften und Abstands­regelungen eingehalten werden und Lebens­mittel nicht vor Ort verzehrt werden.

4. Lokale Lieferpools statt Abhängigkeit von Lieferdiensten

Darüber hinaus soll geprüft werden, ob die Einrichtung gemeinsamer lokaler Liefer­pools für Restaurants unterstützt werden kann, um Lohn­dumping und Provisionen von bis zu 30% des Umsatzes durch die großen Liefer­dienste etwas entgegen setzen zu können.

5. Rechtsberatung für Arbeitnehmer*innen in der Gastronomie ausbauen

Arbeitnehmer*innen in der Gastronomie stehen derzeit unter enormem Druck. Die in der Branche üblichen Löhne sind so niedrig, dass Kurzarbeit häufig Verarmung bedeutet. Arbeitnehmer*innen brauchen verstärkt Zugang zu Rechtsberatung, um eine Absenkung der Arbeitsstandards zu verhindern.

Für die Fördermaßnahmen – auch die vom Bund in Aussicht gestellten Finanzhilfen – soll gelten, dass sie im Falle von Verstößen gegen Arbeitnehmer*innenrechte rückerstattungspflichtig sind.

Begründung:

Rund 290.000 Personen in Berlin sind von Einnahmen aus der Gastronomie abhängig. Die Branche ist eine der durch die Corona-Krise am stärksten betroffene. Rund ein Drittel aller Betriebe ist laut DEHOGA durch die Corona-Krise von Insolvenz bedroht. Die Zukunft der Branche ist unklar.

Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin und des Deutschen Bundestages sollen sich daher dafür einsetzen, eine Krisenstrategie auf Landes- und Bundesebene zu erarbeiten, die die Perspektiven für die Gastronomie in verschiedenen Szenarien auslotet und dadurch bessere
Planbarkeit und Maßnahmen zur Abwendung von Insolvenzen ermöglicht.

Zugleich müssen Maßnahmen ergriffen werden, die einer weiteren Absenkung der Arbeitsstandards in der Branche entgegenwirken. Gewerbetreibende, die eklatant gegen Arbeitnehmer*innenrechte verstoßen oder die Krise dazu nutzen, Lohndumping voranzutreiben, sollen zu einer Rückerstattung zukünftiger Fördermittel verpflichtet werden.

Zu 1.: Bisher sind die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften angewiesen, Mieten zu stunden. Dies erfolgt in der Praxis jedoch nicht immer zuverlässig. Der Landesvorstand der SPD Berlin hat eine Aussetzung der Miete für kleine und mittlere Gewerbe für den Zeitraum der pandemiebedingten Schließung beschlossen. Die Landeseigenen sollen hier vorangehen. Gastronomie soll vorübergehend ausschließlich die Betriebskosten zahlen müssen. Wer einen gastronomischen Betrieb krisenbedingt aufgeben möchte, hat derzeit nicht immer die Möglichkeit, langjährige Miet- oder Pachtverträge zu kündigen. Menschen geraten dadurch unverschuldet in Insolvenz. Ein Sonderkündigungsrecht für Mieter*innen und Pächter*innen würde dies verhindern.

Zu 2.: Auch wenn sich die SPD unter regulären Bedingungen gegen eine Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes einsetzt, muss in der Krise Rücksicht auf Existenzsicherung genommen werden. Gastronomiebetrieben soll bei der schrittweisen Öffnung deshalb ermöglicht werden, möglichst viele ihrer Plätze anzubieten, soweit dies der Einhaltung von Abstandsregelungen für Fußgänger*innen oder Rollstuhlfahrerinnen nicht zuwider läuft. Um die Konsolidierung der Branche zu unterstützen, sollen diese zudem über den Zeitraum eingeschränkter Geschäftstätigkeit sowie einen festgelegten Konsolidierungszeitraum nicht erhoben werden. Die Möglichkeit Tische und Stühle in gehörigem Abstand vor den Lokalen aufstellen zu können, kann da teilweise entlastend wirken. Da nicht hingenommen werden kann, dass wirtschaftliche Existenzen von den Bearbeitungsmöglichkeiten der Bezirksämter über angemessene Zeiträume hinaus abhängen, soll der Weg der pauschalen Genehmigung der Sondernutzung beschritten werden. Eine solche pauschale Genehmigung von Straßenlandsondernutzung darf ihrerseits nicht dazu führen, dass der Fußgängerverkehr aufgrund von Engstellen nicht mehr frei von Ansteckungsgefahr möglich ist. Es muss daher eine unbehinderte Gehwegbreite von 2 Metern gewährleistet bleiben. Folge einer pauschalen Genehmigung ist jedoch auch, dass eine Gebührenerhebung nicht stattfinden kann. Aus Gleichbehandlungsgründen erscheint eine Erstattung von bereits durch Wirtinnen und Wirten gezahlten Gebühren notwendig. Der Einnahmetitel 3800/11155 der Bezirkshaushalte für 2020 enthält Einnahmevorgabe von erheblicher Höhe für Straßenlandsondernutzungen aller Art. Soweit möglich, sollen die fehlenden Gebühren aus dem Bereich der Gastronomie in Abgrenzung zu den Einnahmen aus der Genehmigung von Werbung im öffentlichen Straßenland, Gebühren von Baustelleneinrichtungen, Straßenfesten etc. ermittelt werden und die Einnahmevorgaben dann entsprechend korrigiert werden.

Zu 3.: Viele Betriebe werden kreativ und finden Möglichkeiten, zumindest einen Teil ihrer Kosten zu decken. Zugleich herrscht Unsicherheit, hohe Strafen zu riskieren, wenn Teile gastronomischer Flächen als Ladenflächen umgenutzt werden. Hier ist Klarheit zu schaffen. Gastronom*innen sollen ermutigt werden, kreative Lösungen zu finden und unterstützt werden, Teile ihrer Umsatzausfälle selbst kompensieren zu können.

Zu 4.: Die großen Lieferdienste in Berlin profitieren ohnehin von der aktuellen Situation. Dennoch nutzen sie die Abhängigkeit vieler Gastronom*innen vom Liefergeschäft, um hohe Provisionen zu verlangen, und betreiben zugleich Lohndumping. Dem sollen gemeinschaftlich organsierte Lieferpools etwas entgegensetzen können.

Zu 5.: Krisen setzen Arbeitnehmer*innenrechte nicht außer Kraft. Es muss sichergestellt werden, dass von den Hilfen an die Gastronomie auch etwas bei den Arbeitnehmer*innen ankommt. Dazu müssen diese ihre Rechte kennen und einfordern können. Ein Ausbau der Rechtsberatung in der Branche ist daher notwendig.