Landesvorstand: Gleich­stellungs­politische Antworten in der Krise

Beschluss des SPD-Landesvorstands vom 16.6.2020:

Zur Zeit findet eine Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnisses statt. Mehrere Studien haben in den letzten Wochen festgehalten: Frauen reduzieren ihre Stundenzahl, um wegfallende Schulen und Kitas auszugleichen. Sie übernehmen einen noch größeren Anteil an der Sorgearbeit. Ihre Karrierechancen, ihre Einkommen reduzieren sich. Die Abhängigkeit vom männlichen Erwerbseinkommen wächst. 

Wir sprechen uns für folgende Instrumente aus:

  1. Partnerschaftliche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit
    Wenn beobachtet wird, dass insbesondere Frauen den Mammutanteil der Sorgearbeit übernehmen, ist es geboten, staatliche Anreize für eine geschlechtergerechtere Verteilung zu setzen und Alleinerziehende besonders zu unterstützen. Für alle Eltern gilt, dass Betreuung nicht mit Homeoffice vereinbar ist, hier bedarf es dringender Entlastung! Wir brauchen eine Familienarbeitszeit, also ein Recht auf Teilzeit für alle und ein Familiengeld, wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit partnerschaftlich reduzieren. Gerade für die unteren Lohngruppen sind die aktuellen Entschädigungen nach dem IfSG, also 67% des Nettoeinkommens, zu wenig, so dass zumindest in diesen Lohnsegmenten eine Erhöhung stattfinden sollte.
  2. Ehegattensplitting abschaffen, Equal-Pay einführen
    Das Ehegattensplitting zementiert die ungleiche Verteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen. Es ist so schnell als möglich abzuschaffen und durch einen Familientarif zu ersetzen.
    Wir brauchen endlich ein wirksames Equal-Pay-Gesetz, dass nicht nur in wenigen, sondern in allen Branchen und Unternehmen in denen Frauen beschäftigt sind, Transparenz schafft und durchsetzt: Wer Mann und Frau unterschiedlich bezahlt, wird bestraft. Island macht vor, wie unabhängige Prüfgesellschaften nach und nach alle Unternehmen zertifizieren können. 
  3. Arbeitszeitreduzierung jetzt
    Neuseeland geht mutig voran. Dort wird gerade jetzt über eine 4-Tage-Woche diskutiert. Hier sehen auch wir die Zukunft. Wir sind davon überzeugt, an einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit – bei vollem Lohnausgleich – führt kein Weg vorbei, wenn die Care-Arbeit in der Familie gleichberechtigt auf zwei Schultern verteilt werden soll, der dauernden Überforderung und Erschöpfung insbesondere von Frauen in der „Rushhour des Lebens“ Einhalt geboten werden soll. Zu einem erfüllenden Leben für alle Menschen gehört, dass neben Erwerbsarbeit und Care-Arbeit auch Zeit für ehrenamtliches oder politisches Engagement, das Pflegen von Freundschaften und sozialen Netzwerken wie in der Nachbarschaft ist.
  4. Für die systemrelevanten Berufe Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen 
    Die Krise hat die Diskrepanz zwischen der Unverzichtbarkeit bestimmter Berufsgruppen und ihrer Entlohnung offengelegt. Sichtbar wurde auch, dass es insbesondere die Frauen sind, die in diesen Berufssegmenten tätig sind als Pflegehilfskräfte, Reinigungspersonal, Verkäuferinnen, Erzieherinnen und vielfältiges Pädagogisches Personal. Darauf bedarf es einer politischen Antwort. Ein einmaliger Bonus ist nicht ausreichend. Eine nachhaltige und umfassende Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen ist notwendig. Auf dem Weg dahin, sehen wir folgende Maßnahmen als erforderlich an:  
    • Die Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 12 €
    • Auswahlung des Pflegebonus an alle in der Pflege beschäftigten Arbeitnehmenden
    • Einen bundesweiten und allgemeinverbindlichen Tarifvertrag insbesondere für die Pflege, bessere Arbeitsbedingungen durch mehr Personal und kürzere Arbeitszeiten
    • Weitere allgemeinverbindliche Tarifverträge für die systemrelevanten Beruf und die Ermöglichung dessen durch entsprechende Gesetzesänderungen auf Bundesebene (z.B. Abschaffung des Vetorechts des Arbeitgebers im Tarifausschuss) mit dem Ziel die Löhne zu heben. Dabei ist für uns klar, dass der Bund und die Länder die Kommunen bei der Finanzierung stärker unterstützen müssen. 
    • Attraktivere Ausbildungsgänge, die auf dem dualen System aufbauen, von Beginn an angemessen vergütet werden und weitere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bieten. 
    • Abschaffung des Schulgeldes in allen Pfegeberufen
    • Einen Gipfel für die systemrelevanten Berufe, bei dem Politik, Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenseite zusammenkommen, um sich über nachhaltige Verbesserungen für diese Berufsgruppen zu verständigen.  Wir sehen hierbei u.a. den Bereich der Pflege, der Reinigung, des Einzelhandels und der Erzieher*innen. 
  5. Bessere Bildung, die Gleichstellung befördert
    Corona hat offen gelegt, wo Politik zu lange gespart hat: Bei der Bildung. Der Ausbau von Betreuungsplätzen in Kitas und Ganztagsbetreuung hat auf Basis minimaler räumlicher und personeller Kapazitäten stattgefunden. Weil jetzt Kleingruppen zwingend notwendig sind, wird ersichtlich, wie beengt Kinder betreut und beschult werden. Weil jetzt Kleingruppen gebildet werden und zudem pädagogisches Personal aus den Risikogruppen ausfällt, wird ersichtlich, wie knapp der Betreuungsschlüssel bemessen ist. Wir brauchen mehr Personal und mehr Platz in Kitas, Schulen und ein bundesweites Ganztagsangebot. Die Bildung selbst ist ein wichtiger Schlüssel für mehr Gleichstellung: Frühkindliche Bildungskonzepte und Schulcurricula müssen Jungen und Mädchen gleichermaßen fördern. 

In Bund und Ländern werden momentan sehr große Summen für die Bewältigung der Coronakrise mobilisiert und durch Kredite finanziert. Bei der Ausgestaltung der Programme ist unbedingt auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten und Instrumente des Gender Budgeting anzuwenden.

Es ist jetzt an der Zeit, dem gleichstellungspolitischen Rollback entgegenzutreten!