Einen Euro pro Tag für sauberes Berlin.Adobe Stock/christophkadur

Berliner Stimme 3|2020: Einen Euro pro Tag für ein sauberes und mobiles Berlin

Klimaschutz ist das Gebot der Stunde. Berlin kann bereits deutliche Fortschritte im Energiebereich vorweisen, aber der städtische Verkehrsbereich ist weiter ein Sorgenkind: Die Emissionen sinken nicht. Wirksamer Klimaschutz braucht eine echte Mobilitätswende und den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin. Um Busse und Bahnenattraktiver zu machen, sind auch preisliche Signale notwendig: Ein 365-Euro-Ticket ist dabei ein entscheidender Baustein.

Der Schutz des Klimas ist nicht nur eine theoretische Herausforderung im Weltmaßstab. In einer dicht bewohnten Stadt wie Berlin ist er eine Frage der praktischen und sozial verträglichen Umsetzung. Wir müssen heute umsteuern, damit Berlin spätestens 2050 eine klimaneutrale Stadt wird. Im Energiebereich gelingt Berlin das schon sehr gut.

Problematisch sind bisher der Gebäude und Verkehrsbereich. In der wachsenden Stadt Berlin steigt die Zahl der gemeldeten Autos, es werden weiter immer größere SUV angeschafft, von den 1,2 Millionen Fahrzeugen sind nicht einmal 0,5 Prozent emissionsfrei und der Diesel-Betrug zeigt ebenfalls Wirkung.

Kein Wunder, dass die Emissionen des Klimagases CO2 und weiterer Luftschadstoffe in Berlin nicht sinken. Das ist weder nachhaltig noch akzeptabel. Wirksamer Klimaschutz braucht eine echte Mobilitätswende.

Nahverkehr massiv ausbauen, dann steigen die Menschen um

Darum müssen wir den Umweltverbund stärken: durch einen attraktiven und zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr, gute Rad- und Fußwege sowie deutlich weniger Individualverkehr. Für den Ausbau von Bussen und Bahnen brauchen wir viel Geld. Nicht nur als Strohfeuer, sondern mit langfristigen und verbindlichen Zuweisungen im Landeshaushalt.

Investiert werden muss vor allem in neue Angebote für die Außenbezirke, in denen mehr als zwei Millionen Berlinerinnen und Berliner leben. Erst wenn dort schneller und attraktiver ÖPNV der Standard ist, ergänzt durch moderne smarte Lösungen wie Mobilitäts-Hubs, werden die Menschen in Berlin wirklich umsteigen.

Daniel Buchholz ist Sprecher für Stadtentwicklung und Umwelt der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.SPD-Fraktion AGH
Daniel Buchholz ist Diplom-Wirtschaftsingenieur, Sprecher für Stadtentwicklung und Umwelt der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und leitet dort auch den Arbeitskreis Umwelt, Verkehr, Klimaschutz.

Darum ist auch der Mehrwert immer neuer Angebote in der Innenstadt äußerst gering, denn hier fahren U- und S-Bahnen oft schon parallel. Im Berliner Mobilitätsgesetz steht ganz bewusst die Verpflichtung, in allen Bezirken „gleichwertige Mobilitätsverhältnisse“ zu gewährleisten.

Neben der Verbesserung und dem Ausbau des Angebots sind klare Preis-Signale notwendig. Ein entscheidender Baustein kann das 365-Euro-Ticket sein: Für einen Euro pro Tag gibt es die Super-Flatrate für alle Busse und Bahnen. Das ist einfach zu merken und preislich unschlagbar. Was viele nicht wissen:

Seit August 2019 ist das 365-Euro-Ticket für die Azubis in Berlin-Brandenburg bereits Realität. Parallel wurden erhebliche Preissenkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer eingeführt, sofern der Arbeitgeber das Job- oder Firmenticket unterstützt. Mit monatlich unter 50 Euro ist es preislich sehr attraktiv.

Weichen stellen für ein sauberes, mobiles Berlin

Für Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller liegen die Vorteile klar auf der Hand: „Wir haben mit dem neuen Firmenticket ein verbessertes Angebot geschaffen und die Basis gelegt, um Schritt für Schritt in Richtung 365-Euro-Ticket zu gehen. Mit einem solchen Jahresticket würde die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Berlin nur noch einen Euro pro Tag kosten.

So stellen wir die Weichen für ein sauberes und mobiles Berlin.“ Bei einer schrittweisen Einführung des 365-Euro-Tickets könnte die zu erwartende Nachfragesteigerung mit dem Ausbau des Angebots parallel laufen, um Frustrationen in überfüllten Bussen und Bahnen zu vermeiden. Klar ist: Mehr Angebot und weniger Einnahmen über die Ticketpreise erfordern finanzielle Mittel im dreistelligen Millionenbereich – jedes Jahr! Auf den ersten Blick mag das utopisch klingen, bei näherem Hinsehen ist es aber durchaus machbar.

Bisher gilt die Faustregel: Die Hälfte der Kosten des ÖPNV zahlen in Berlin die Fahrgäste über Tickets und Monatskarten, die andere Hälfte kommt aus dem Landeshaushalt – einschließlich Regionalisierungsmitteln des Bundes. Die Koalitionsfraktionen haben vor rund zwei Jahren die „AG Tarife“ eingerichtet, um über die zukünftige Gestaltung der Ticketpreise und neue Finanzierungsmöglichkeiten zu beraten. Darum hat die Senatsverkehrsverwaltung auch eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.

Dritte Finanzierungssäule für Busse und Bahnen einführen

Dabei lassen sich drei Modelle für eine dritte Finanzierungssäule unterscheiden: Die Finanzierung durch indirekte Nutznießerinnen und Nutznießer des ÖPNV, zum Beispiel Gewerbetreibende, Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer, Hotels und Übernachtungsbetriebe.

Danach folgt der motorisierte Individualverkehr, also Autofahrerinnen und Autofahrer, zum Beispiel über eine City-Maut oder höhere Parkgebühren. Zuletzt steht ein neues Umlagemodell für alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von der Nutzung – das sogenannte Bürgerticket. Das erste Modell zielt darauf ab, dass auch die mittelbar vom ÖPNV Profitierenden einen Ausgleich zahlen sollen.

Dank eines guten Verkehrsanschlusses lassen sich zum Beispiel mit einem Hotel, einem Laden oder einem Wohnhaus höhere Erträge erzielen, von denen ein Teil über eine zweckbezogene Abgabe in den ÖPNV fließen würde. Schwierig wäre dabei eine notwendige sachliche Differenzierung nach Art und Umfang des Nutzens, begleitet durch eine aufwändige und wohl auch konfliktträchtige Erhebung und Kommunikation.

Am einfachsten wäre es noch bei Beherbergungsbetrieben mit einer bettenbezogenen Abgabe – nicht zu verwechseln mit der bereits bestehenden Berliner City-Tax, die pro Übernachtung erhoben wird. Das nächste Modell will die Nutzung von Autos in der (Innen-)Stadt finanziell unattraktiver machen. Das wäre in Berlin zum Beispiel eine City-Maut innerhalb des S-Bahnrings, was datenschutzkonform möglich ist.

Die Erfahrungen in Städten wie London, Stockholm, Göteborg, Oslo und Bologna zeigen aber den mitunter hohen Aufwand für Verwaltung und Kontrolle von 20 bis 30 Prozent der Einnahmen. Großer Vorteil wäre der direkte Belohnungseffekt für umwelt- und klimafreundliches Verhalten: Wer mit seinem Auto nicht in die Innenstadt fährt, zahlt auch nichts.

Auch höhere Parkgebühren und die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung können Teil dieses Finanzierungsmodells sein. Zur Erinnerung: Das Abstellen eines Autos im öffentlichen Straßenland kostet für Anwohnende nicht mal drei Cent pro Tag, der BVG-Einzelfahrschein für zwei Stunden 2,90 Euro.

Der Preis fürs Parken sagt hier eindeutig nicht die Wahrheit. Allerdings sind diese Gebühren durch Bundesvorgaben gedeckelt, eine Berliner Initiative zur Änderung über den Bundesrat fand vor kurzem keine Mehrheit. Das dritte und letzte Modell klingt erstmal super: Alle Berlinerinnen und Berliner dürfen Busse und Bahnen kostenlos und ohne Ticket nutzen!

Dieses zumeist als „Bürgerticket“ bezeichnete Modell erfordert dafür aber eine von allen Bürgerinnen und Bürgern zu zahlende Abgabe – gegebenenfalls differenziert nach sozialen Kriterien. Sie wäre von allen zu zahlen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich den ÖPNV nutzen. Problem: Hätten Touristinnen und Touristen damit auch freie Fahrt?

Üben können wir den ticketfreien Tag hoffentlich bald jedes Jahr am 22. September, dem europaweit autofreien Tag. Den Antrag der R2G-Koalition will sogar die CDU im Abgeordnetenhaus unterstützen.

Was ist gut für die Umwelt und sozial vertretbar?

Die Diskussion über eine dritte Finanzierungssäule für den Berliner ÖPNV wird sicherlich in nächster Zeit an Fahrt gewinnen. Die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie steht in Kürze an. Alle Finanzierungsmodelle haben Vor- und Nachteile. Gerade für die SPD wird die entscheidende Frage sein, was gut für die Umwelt und sozial vertretbar ist.

Wirksamer Klimaschutz braucht eine echte Mobilitätswende und den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin. Sonst sind die selbstgesteckten Ziele für eine klimaneutrale Stadt nicht zu erreichen.

Autor:in

Daniel Buchholz

Daniel Buchholz ist Sprecher für Stadtentwicklung und Umwelt der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.