Niels AnnenThomas Imo/photothek.net

Berliner Stimme 4|2020: „Ziel ist eine atomwaffenfreie Welt“

Aufrüstung, Klimawandel, Armut: Auch 75 Jahre nach Kriegsende ist der Frieden auf der Welt bedroht. Dabei spielt Deutschland keine unwichtige Rolle, vor allem vor dem Hintergrund der nuklearen Teilhabe. Darüber hinaus ist die Bundesrepublik für zwei Jahre nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrats. Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, spricht im Interview über die Rolle Deutschlands als ehrlicher Makler, wie Digitalisierung zur Friedenssicherung beiträgt und auch welche Bedrohung für den Frieden von der Corona-Krise ausgehen kann.

BERLINER STIMME: Schauen wir aktuell auf den geplanten Kauf von F-18-Kampfjets für Deutschland oder die Raketen Tests Nordkoreas: Die nukleare Abschreckung scheint eine Renaissance zu erleben. Die aktuelle SIPRI-Studie weist Rekordausgaben für Rüstung aus. Wie beurteilen Sie das mit Blick auf die internationale Friedenspolitik?

Niels Annen: Wir bleiben dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt verpflichtet. Außenminister Heiko Maas ist deshalb unter anderem nach Hiroshima gereist und koordiniert mit Schweden eine Initiative zum Atomwaffensperrvertrag. Gleichzeitig ist es gerade in diesen Zeiten wichtig, die NATO zusammenzuhalten.

Die nukleare Teilhabe ist Teil der Bündnissolidarität und wir sitzen auch am Tisch, wenn strategischen Konzepte der NATO besprochen werden. Hierzu gibt es auch einen entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag. Einen einseitigen Ausstieg Deutschlands halte ich für falsch. Dazu brauchen wir die Diskussion mit den Atomwaffenstaaten, um tatsächlich die Sicherheit in Europa und der Welt zu stärken.

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Niels Annen ist Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Das müssen wir koordiniert und nachprüfbar angehen, um unser eigenes Gewicht gut einzusetzen. Einsame Entscheidungen bringen uns dabei nicht weiter, so prinzipientreu sie sein mögen. Übrigens: auch die NATO bekennt sich zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt.  Ein Rückzug Deutschlands würde nicht zu einem Abzug der Atombomben aus Europa, sondern vermutlich nur zu einer Verlegung der Waffen, zum Beispiel nach Polen führen.

Ich befürchte, dass diese Verlegung dann den Bestand der NATO-Russland Grundakte gefährden könnte. Daher rate ich zu einer ausführlichen Debatte und zu keinen voreiligen Festlegungen. Unabhängig von dieser Frage bleibt Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ein zentrales Thema der SPD und damit deutschen Außenpolitik.

Wir haben Abrüstung wieder auf die internationale Agenda gesetzt – trotz schwieriger Rahmenbedingungen. Um den Atomwaffensperrvertrag zu stärken haben wir in der Stockholm-Initiative Wege beschritten, um das Nichtverbreitungsregime zu stärken und nukleare Abrüstung voranzubringen.

Wir setzen uns für konkrete Initiativen ein, so zum Beispiel zur Kontrolle neuer Waffensysteme oder bei vollautonomen Waffen, wo wir zum Beispiel zur weltweiten Ächtung von Killer-Robotern in Genf einen guten Schritt vorangekommen sind.

Thematisch in den Hintergrund gerückt ist derzeit der Klimawandel. Dabei lässt er Lebensgrundlagen ganzer Bevölkerungsgruppen verschwinden. Ist das eine friedensbedrohende Entwicklung? Wie lässt sich gegensteuern?

Das dürfen wir nicht zulassen. Mit dem Petersburger Klimadialog hat unsere Umweltministerin Svenja Schulze trotz Corona-Pandemie ein klares Zeichen für mehr Klimaschutz gesetzt. Genauso wie das Virus kennt der Klimawandel auch keine Grenzen. Wir müssen jetzt die richtigen Weichen für eine nachhaltige Wirtschaft stellen.

Die Regierungen weltweit werden große Summen in den Neustart der Weltwirtschaft investieren. Mit diesen Investitionen gilt es den Klimaschutz voranzubringen. Denn wer in erneuerbare Energien, nachhaltige Mobilität und klimaverträgliche Industrieprozesse investiert, sorgt für Klimaschutz, Innovation und Arbeitsplätze zugleich.

Diese Sicht teilen auch namhafte deutsche Unternehmen, die von Bundesregierung und Europäischer Union eine ambitioniertere Klimapolitik fordern. Das kann ich nur unterstützen. Eine Neuauflage der Abwrackprämie von 2009 ohne klare Vorgaben zur CO2-Reduktion darf es daher nicht geben.

Auch die globale Corona-Krise trifft die Ärmsten am stärksten. Kann sie Konfliktdynamiken verändern oder gegebenenfalls sogar Friedensinitiativen entstehen lassen?

Die Bundesregierung und allen voran Außenminister Heiko Maas unterstützt den Aufruf von UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu einer humanitären Waffenruhe weltweit. Wir müssen aber leider zur Kenntnis nehmen, dass in zahlreichen Krisenregionen versucht wird, im Schatten der Pandemie durch neue militärische Offensiven, Fakten zu schaffen.

In Libyen wird dieses rücksichtslose Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung besonders deutlich. Die Menschen sind nicht nur den Kämpfen, sondern auch dem Virus schutzlos ausgeliefert. Beide Konfliktparteien müssen endlich den bereits ausgehandelten Waffenstillstand ohne Vorbedingungen unterzeichnen und umsetzen.

Wir sorgen auch dafür, dass Libyen weiterhin im UN-Sicherheitsrat auf der Tagesordnung bleibt. Mit zusätzlichen 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe unterstützt die Bundesregierung den Hilfsaufruf der Vereinten Nationen zur Eindämmung der Pandemie.

Welche Rolle kommt der Digitalisierung in Fragen des Friedens zu?

Die Digitalisierung spielt auch in der Diplomatie eine zunehmend wichtigere Rolle. Und das nicht erst mit dem Beginn der Corona-Pandemie. Bereits seit dem Jahr 2016 arbeitet das Auswärtige Amt an dem Datenprojekt „PreView“. Es ist ein zentrales Tool im System von Krisenprävention und Stabilisierung für das Auswärtige Amt und die Bundesregierung.

„PreView“ bindet unzählige offene Datenbanken und Newsfeeds aus den Bereichen Politik, Soziales, Wirtschaft, Konflikten und Terrorismus zur Krisenprognose und damit zur Krisenfrüherkennung ein. Denn wenn wir Krisen frühzeitig erkennen, können wir eine Handlungsoptionen entwickeln, so dass Krisen und Konflikte im Idealfall gar nicht erst ausbrechen.

Deutschland ist für zwei Jahre, 2019 und 2020, nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Welche Schwerpunkte in Bezug auf den Frieden setzen Sie in dieser Zeit?

Deutschland hat sich für die zwei Jahre viel vorgenommen: Die verbesserte Konfliktprävention, die Frage von Klimawandel und Sicherheit, die Stärkung des humanitären Systems und der Menschenrechte sind die Schwerpunkte unserer Arbeit im Sicherheitsrat. Ein besonderes Augenmerk haben wir auf den Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle gelegt.

Ich konnte es nicht glauben, aber zuletzt wurde das Thema Abrüstung im Jahr 2013 im Sicherheitsrat behandelt. Mit der von Heiko Maas initiierten Allianz für den Multilateralismus setzen wir uns für den Erhalt der regelbasierten Ordnung ein. Unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie hat Deutschland zunächst einmal ganz konkret dazu beigetragen, dass der Sicherheitsrat überhaupt in Form von Videokonferenzen tagt, um über die aktuellen Krisen zu beraten. Das war keine Selbstverständlichkeit.

Wie kann Frieden nachhaltig gesichert werden? Was können wir bei internationalen Konflikten zur Friedenssicherung oder -wiederherstellung leisten? Wo liegen Deutschlands Stärken?

Moderne Außenpolitik ist mehr als nur klassische Diplomatie. Neben Humanitärer Hilfe gehören Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge gleichberechtigt dazu. Wir setzen auf einen vernetzen Ansatz und nicht auf militärische Lösungen. In vielen Teilen der Welt wird Deutschland zudem als ehrlicher Makler gesehen.

Wir genießen daher ein hohes Vertrauen. Das ist unser größtes Pfund. Zudem verfügt Deutschland zum Beispiel mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze oder der auf Friedensmediation spezialisierte Berghof Foundation über weltweit anerkannte Partner. So unterstützen wir politische Prozesse zur friedlichen Lösung einer Krise.

Autor:in

Claudia Kintscher

Pressesprecherin