Sebastian RiedelSPD Berlin/Sebastian Thomas

Berliner Stimme 1|2020: Wo Abfall ein wertvoller Rohstoff ist

Bioplastik aus Abfall? Ist das möglich? Den Beweis treten Sebastian Riedel und Stefan Junne vom Fachgebiet Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin an. Dabei unterscheidet sich ihre Sorte des Bioplastiks enorm von herkömmlichen Plastik. Mehr noch: Ihr Biokunststoff kann im Vergleich zu anderem Bioplastik eine wichtige Eigenschaft vorweisen – er ist biologisch zu 100 Prozent abbaubar.

„Bioplastik ist nicht gleich Bioplastik“, sagt Sebastian Riedel. Zusammen mit seinem Kollegen Stefan Junne forscht er an der TU Berlin zur Herstellung von PHA, ausgesprochen: Polyhydroxyalkanoate. Der Begriff bezeichnet Biopolymere, die umgangssprachlich als Bioplastik bezeichnet werden. Vor sich auf dem Tisch hat er mehrere Gläser gestellt, in einem davon schimmert ein milchig-weißes Papier.

Stefan Junne (l.) und Sebastian RiedelSPD Berlin/Sebastian Thomas
Stefan Junne (l.) und Sebastian Riedel von der TU Berlin stellen Bioplastik aus tierischen Abfallfetten her.

Daneben liegt ein braunes längliches Plüschtier in Form einer Bakterie. Diese wird im Verlauf des Gesprächs mit den beiden Wissenschaftlern noch wichtig. „Bioplastik ist in der Öffentlichkeit ein sehr weiter Begriff“, fährt Sebastian Riedel fort. „Es bezeichnet alle Polymere, die entweder aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden können oder biologisch abbaubar sind.“

„Die Hälfte der zwei Millionen Tonnen Bioplastik, die derzeit pro Jahr produziert werden, sind biologisch nicht und die andere Hälfte in mancher Hinsicht nur schwer abbaubar.“

Sebastian Riedel

Beide Eigenschaften treffen laut Aussage des 34-Jährigen auf wenige Bioplastik-Sorten zu: „Die Hälfte der zwei Millionen Tonnen Bioplastik, die derzeit pro Jahr produziert werden, sind biologisch nicht und die andere Hälfte in mancher Hinsicht nur schwer abbaubar.“ Teilweise müssten manche Sorten von Bioplastik industriell kompostiert werden, „ansonsten könnten die locker mal die nächsten 100 Jahre überstehen.“

Heutzutage stehe jedoch vor allem die biologische Abbaubarkeit im Vordergrund, denn das bis dato produzierte Bioplastik habe durch seine lange Haltbarkeit enorme Auswirkungen auf die Umwelt. „Bioplastik ist nicht immer per se besser, nur weil Bio draufsteht“, sagt Stefan Junne. Ganz anders verhält es sich bei PHA: „Es ist komplett aus nachwachsenden Roh- oder biogenen Reststoffen hergestellt“, erklärt Sebastian Riedel.

„PHA zerfällt im Meer und im Boden bei normaler Temperatur und Feuchtigkeit komplett in Wasser und Kohlenstoffdioxid.“

Sebastian Riedel

Der enorme Vorteil dieses Polymers: „Es zerfällt im Meer und im Boden bei normaler Temperatur und Feuchtigkeit komplett in Wasser und Kohlenstoffdioxid.“ Jedoch, so betonen beide, ist der Prozess der Herstellung teurer und ebenso komplizierter. Sebastian Riedel begann seine Forschungen zu PHA 2009 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA.

Der Ausgangsstoff zur Herstellung hieß damals Palmöl. „Zur dieser Zeit führte das MIT zusammen mit dem Staat Malaysia ein Projekt durch, in welchem Bioplastik aus Palmöl gefertigt werden sollte“, erklärt der 34-Jährige. Zurück in Deutschland forschte er in der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin weiter.

Bakterie spielt entscheidende Rolle

An diesem Ort entstand die Idee, anstatt Palmöl tierische Abfallfette als Ausgangsstoff zu nehmen. 2017 wechselte er zum Fachgebiet für Bioverfahrenstechnik an der TU Berlin. Die genannten Fette stammen laut Aussage von Sebastian Riedel unter anderem von Tieren, die in der Massentierhaltung sterben, ohne geschlachtet zu werden.

„Wir können für unsere Zwecke ebenso Kutteln, Schmalz oder Fette von übrig gebliebenen Lebensmitteln verwenden“, erklärt Sebastian Riedel. Derzeit testen er und sein Kollege auch Kosmetikabfälle, die ebenso auf Fetten basieren. Als der eigentliche Prozess zur Herstellung des PHA zur Sprache kommt, nimmt Sebastian Riedel das anfangs erwähnte Stofftier in die Hand, welches eine Bakterie darstellen soll.

Sebastian Riedel (l.) und Stefan JunneSPD Berlin/Sebastian Thomas
Bereit für die Weiterverarbeitung: Sebastian Riedel (l.) und Stefan Junne halten die gefriergetrockneten Zellen in ihren Händen.

„Wir verwenden ein spezielles Bakterium namens „Cupriavidus necator“, erklärt der 34-Jährige. „Diese Zellen können Kohlenstoff so lagern, wie wir Fett speichern, und das bis zu 90 Prozent ihres Zellraumgewichts“, erklärt Sebastian Riedel. „Die Bakterien setzen wir in eine Mineralsalzlösung, wo alle Bestandteile enthalten sind, unter anderem Stickstoff, die die Mikroorganismen brauchen, um zu wachsen.“

Jetzt würden sich die Bakterien vermehren, es entstehe viel Biomasse, die man zur Herstellung von PHA benötigt. „Als Kohlenstoffquelle nehmen wir tierische Abfallfette.“ Dann hätten die Mikroorganismen Zeit, um auf dieser Quelle zu wachsen. „Nach und nach entziehen wir den Bakterien den Stickstoff“, erläutert Sebastian Riedel.

Bakterien wandeln gespeicherten Kohlenstoff in PHA umwandeln

„Auf diesen Mangel reagieren sie, indem sie den Kohlenstoff im Abfallfett als Energiereserve in ihren Zellen speichern.“ Der Grund, warum die Bakterien so handeln, ergibt sich aus der Evolutionsbiologie: Reserven, so der Wissenschaftler, müsste man nur anlegen, wenn es dem Organismus schlecht geht. Ab einem gewissen Zeitpunkt können die Bakterien nicht mehr wachsen, weil kein Stickstoff mehr vorhanden ist.

„In diesem Stadium des Prozesses haben wir bereits eine große Anzahl an Mikroorganismen und diese füttern wir weiter mit den Abfallfetten an“, erklärt der 34-Jährige. Die Bakterien würden nun den gespeicherten Kohlenstoff in PHA umwandeln. „Danach isolieren wir das gewonnene Bioplastik aus den Zellen und arbeiten es anschließend auf“, sagt Sebastian Riedel.

„Wir versuchen, bei dem Herauslösen des PHA aus den Zellen weitestgehend auf Lösungsmittel zu verzichten“

Stefan Junne

Die beiden Wissenschaftler arbeiten beim Herauslösen des PHA standardmäßig mit einem Prozess, der auf einem Lösungsmittel basiert, welches keine Halogene enthält. „Dadurch wird nicht nur PHA nachhaltiger hergestellt, sondern kann auch effektiver aus den Zellen herausgelöst werden“, erklärt er.

Anschließend zeigt er auf die Gläser auf dem Tisch: „Alle Behälter enthalten PHA, jedoch ist der Stoff unterschiedlich aufbereitet.“ Mit diesen Worten zieht er aus einem der Gläser das anfangs erwähnte dünne mattweiße, milchige Stück Papier, welches in seiner Beschaffenheit einer Plastiktüte ähnelt. In einem anderen Glas hat das PHA die Konsistenz eines Pulvers, in dem nächsten Behälter ist es schon etwas grobkörniger.

Gesamter Prozess der Herstellung ökologisch und nachhaltig

„Wir versuchen, bei dem Herauslösen des PHA aus den Zellen weitestgehend auf Lösungsmittel zu verzichten“, sagt Stefan Junne. Das sei umweltfreundlicher. Bei dem Prozess der Extraktion benötige man unterschiedliche Lösungsmittel, wie Aceton, also „Stoffe, die ich nicht so einfach ins Abwasser beziehungsweise in die Natur geben kann“, erklärt der 42-Jährige.

An diesem Punkt des Gesprächs wird eine Tatsache deutlich: Sebastian Riedel und Stefan Junne wollen nicht nur ein Bioplastik aus nachwachsenden Roh- oder biogenen Reststoffen herstellen, das noch dazu biologisch abbaubar ist, sondern ebenso den gesamten Prozess der Herstellung ökologisch und nachhaltig gestalten.

Partnerprojekte, in denen PHA verwendet wird

Laut Sebastian Riedel gibt es bereits Partnerprojekte, die das aus dem Prozess gewonnene PHA verwenden wollen. „Da wäre zum einen das Fraunhofer Institut, welches PHA in einem Spritzgussverfahren verwenden will oder das Institut für Textiltechnik in Aachen, die aus dem Bioplastik Polymerfäden machen wollen“, sagt der 34-Jährige.

Angesprochen auf die Frage, ob ihr Bioplastik einmal herkömmlichen Kunststoff ablösen soll, antwortet Sebastian Riedel: „Wir haben pro Jahr 360 Millionen Tonnen herkömmliches Plastik. Unser produziertes Bioplastik kann einen Teil davon ersetzen.“ Wie viel das sei, hängt auch etwas mit dem Preis zusammen, der für die Herstellung des PHA zu Buche schlägt.

„Unser Bioplastik kann und soll nicht alles ersetzen, vor allem keine Plastiktüten, die man nach 20 Minuten wegwirft.“

Sebastian Riedel

Im vergangenen Jahr wurden aus Kostengründen nur 25.000 Tonnen PHA weltweit hergestellt. Somit bekommt ihre Forschungsarbeit neben einem nachhaltigen auch einen wirtschaftlichen Aspekt. „Wir gewinnen pro Herstellungsprozess in unserem Labor bis zu 10 Kilogramm Bioplastik aus biogenen Reststoffen“, sagt Sebastian Riedel.

Jedoch würden die derzeitigen Interessenten aus der Wirtschaft mit weitaus größeren Mengen an Kunststoff arbeiten und das könne die Forschung von Sebastian Riedel und Stefan Junne momentan noch nicht leisten. Doch gerade dieser Umstand soll sich demnächst ändern: „Wir wollen unsere Forschungsarbeit in einen industriellen Maßstab überführen“, erklärt Sebastian Riedel und fügt hinzu: „Es soll größer werden.“

Anschließend greift er die Frage nach dem Ersatz von herkömmlichen Kunststoff durch Bioplastik noch einmal auf und sagt deutlich: „Unser Bioplastik kann und soll nicht alles ersetzen, vor allem keine Plastiktüten, die man nach 20 Minuten wegwirft.“

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN