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Berliner Stimme 4|2020: Auf Kosten des Gemeinwohls

Die grenzenlose Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus wirkt auf viele Krisen und Gewaltkonflikte wie ein Brandbeschleuniger. Der wichtigste internationale Krisenmanager – der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – ist bisher handlungsunfähig. Welche Handlungsoptionen bleiben?

Noch wütet die erste Covid-19-Welle in Europa und Nordamerika. Aber wir konnten schon einen ersten Eindruck von der gesellschaftspolitischen Sprengkraft erhalten, die sich im politischen Umgang mit der Pandemie entfaltet. Dabei trifft das Virus bei uns auf relativ reiche, staatlich gut organisierte und demokratieerfahrene Gesellschaften mit einem mehrheitlich hohen Vertrauen in die Problemlösungskompetenz des Staates.

Im „Globalen Süden“ wirkt die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger.

Dennoch hat Covid-19 in Europa und besonders in den USA schonungslos die sozialen Risse aufgezeigt, die sich bei einer zweiten und dritten Welle noch verstärken könnten. In diesen Tagen überrollt die Covid-19-Welle zunehmend auch Länder im „Globalen Süden“, die, vereinfacht gesprochen, vielerorts schon vorher unter enormen wirtschaftlichen Druck, defizitären staatlichen Systemen und einem hohen Gewaltaufkommen litten.

Konstantin BärwaldtFES
Konstantin Bärwaldt ist Referent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Dabei ist es dem Virus egal, ob es auf Frauen, Männer und Kinder trifft, die ihr tägliches Überleben in Bürgerkriegen, Flüchtlingslagern oder Slums sichern müssen. Dort, wo humanitäre und medizinische Hilfsleistungen, unter anderem aufgrund von Grenzschließungen und Sanktionen ausbleiben oder Friedensverhandlungen und -abkommen nicht mit Nachdruck verfolgt und umgesetzt werden, verschärfen sich Konflikte und brechen vergangene Gewaltkonflikte wieder auf.

Hier wirkt die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger. Schuld an einer Zuspitzung tragen politische Eliten und Gewaltakteure, die auf Kosten des Gemeinwohls die nun entstehenden Gelegenheiten der Gesundheitskrise für ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen missbrauchen. Ausgerechnet jetzt, wo der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) als globaler Krisenmanager Konflikte eindämmen und Krisen vorbeugen müsste, ist das wichtigste Gremium der VN politisch blockiert.

Nach zwei Monaten der Verhandlungen konnten sich die USA und China noch immer nicht auf eine gemeinsam getragene Resolution des Rats verständigen. Dafür bräuchte es dringend ein gemeinsames Vorgehen, um die laufenden Hilfsanstrengungen der VN-Familie zu koordinieren, sichere Zugänge für eine humanitäre und medizinische Versorgung der Menschen in Bürgerkriegen und Krisengebieten zu schaffen und die vom VN-Generalsekretär geforderte weltweite Waffenruhe durchzusetzen.

Ob mit oder ohne VN-Resolution: Die Bundesregierung sollte unter anderem gemeinsam mit ihren Partnern die humanitäre Hilfe aufstocken (Gesundheit, Nahrungsmittel, Unterkünfte), einen VN-Fonds zur Friedensförderung in von Covid-19 besonders schwer geplagten Regionen auflegen und über die Aussetzung von internationalen Sanktionen nachdenken.

Der Artikel spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder, nicht der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Autor:in

Konstantin Bärwaldt

Referent für internationale Friedens- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Konstantin Bärwaldt