BalatonAlexander Kulpok

Berliner Stimme 7|2019: Der Plattensee – damals und heute

Bei Ungarns Grenzöffnung vor 30 Jahren – am 19. August und 11. September 1989 – kamen fast alle der 25.000 DDR-Flüchtlinge aus ihrem Urlaub am Balaton, dem Plattensee. Dort war in den Sommermonaten der alljährliche Ort der deutsch-deutschen Begegnung. Das Kuriosum von heute: Der Blick zurück erfüllt viele mit Wehmut.

Das gemeinsame alljährliche Sommervergnügen der Deutschen aus Ost und West führte in den Jahren der Teilung zu Freundschaften und sogar zu Eheschließungen. Jahr für Jahr nahmen Trabant und Mercedes den gleichen Weg, um für einige Tage oder Wochen die Vorzüge und die Freizügigkeit des ungarischen „Gulasch-Kommunismus“ zu genießen.

Anders als bei Ferienreisen nach Polen oder in die ˇCSSR benötigten DDR-Bürger für den Urlaub am Balaton eine Genehmigung. Schließlich sollte auch durch den Tourismus die sozialistische Haltung der Bevölkerung gestärkt werden. Die Reisegenehmigungen für Ungarn erteilte das Reisebüro der DDR, allgemein als ein Filialbetrieb der Staatssicherheit  bekannt.

 An den beliebten Urlaubsorten des Plattensees waren Stasi-Mitarbeiter in reicher Zahl vertreten. Als „Balaton-Brigade“ sind sie in die deutsch-deutsche Urlaubsgeschichte eingegangen. Den Urlaubsspaß konnten die Brigs den am See vereinten Deutschen allerdings nicht verderben. Immer herrschte rundum ein Hauch von Hugo Hartungs „Piroschka“ – mit den bis heute erhaltenen Anklängen an die Zeiten der k. u. k. Monarchie. Und die Deutschen aus der Bundesrepublik erfreuten sich bei den Ungarn besonderer Beliebtheit, weil sie mit der D-Mark harte Devisen ins Land brachten. In den Zeiten des Kalten Krieges dominierten die deutschen Gäste im Sommer den Plattensee. Heutzutage beträgt ihr Anteil an der Gesamtzahl der Urlauber nicht einmal zehn Prozent.

Das „Paneuropäische Picknick“ vom 19. August 1989 in der kleinen Stadt Sopron nahe der Grenze zu Österreich war der Anfang vom Ende der deutschen Teilung und des Kalten Krieges, aber auch des deutschen Booms am Balaton. Damals entrüstete sich Erich Honecker gegenüber der britischen Zeitung Daily Mirror, man habe die DDR-Bürger in Sopron mit der D-Mark geködert und sie überredet, in den Westen zu gehen. Etwa 600 Sommerurlauber machten Gebrauch davon. Während Kanzler Kohl später feststellte, es sei Ungarn gewesen, wo „der erste Stein aus der Mauer geschlagen wurde“. Er bezog sich dabei jedoch auf die Grenzöffnung Ungarns vom 11. September 1989, bei der mehr als 25.000 DDR-Urlauber in Richtung Westen flohen – nach Österreich oder in die Botschaft der Bundesrepublik in Prag. Die Ankündigung der freien Ausreise für die Prager Botschaftsflüchtlinge durch Außenminister Genscher ist zum historischen Dokument geworden.

Für die Ungarn und die Urlauber aus beiden Teilen Deutschlands sind die seligen Zeiten am Plattensee längst nur noch ein Nostalgie-Kapitel. In Berlin erinnerte das Collegium Hungaricum vor zehn Jahren noch einmal an die gesamtdeutschen Zeiten, als die Welt stets einen Sommer lang auf dem Kopf stand. Fotos, Videos und Tagebücher wurden zusammen- getragen und gaben ein Bild von der Besonderheit dieser Zeiten inmitten  der ungarischen Steppe. Doch nicht nur die politischen Verhältnisse, auch die Preise für einen Aufenthalt am Plattensee haben sich dramatisch verändert.

 Die Kleinstadt Hévíz ist inzwischen der bekannteste und beliebteste Kurort am stiller gewordenen Plattensee. Seit 1998 sorgen österreichische und deutsche Unternehmen dort für den Kurbetrieb. Franz Lehar und die ungarischen Komponisten Emmerich Kálmán und Paul Abraham hätten gewiss ihre Freude in Hévíz. „Meine Liebe, deine Liebe“ klingt ebenso durch den Weinkeller wie „Ja, so ein Mädel, ungarisches Mädel!“. Und der temperamentvolle Geiger hat keine Probleme, Kálmáns „Nimm Zigeuner, deine Geige“ zu intonieren, während die Gäste sich ein Zigeunerschnitzel servieren lassen.

 Political Correctness scheint fremd in Orbans Ungarn, und die Tourismusbranche achtet ausschließlich auf den Wohlfühlpegel der Gäste. Ganz offen- kundig wollen sich die ungarischen Tourismus-Strategen angesichts der schwindenden Gästezahlen nicht auch noch in ideologische Auseinandersetzungen verstricken. „Wir wollen Harmonie“ lautet die einstimmige Antwort.

Seit 1968 ist die Kleinstadt Héviz ein Kurort – mit einem Heil- und Badesee, der als der größte der Welt gilt. Die Temperatur des Sees sinkt selbst im  Winter nicht unter 24 Grad Celsius.

Die Bezeichnung „Freudentränenpalast“ war für den Plattensee als Gegenstück zum traurigen Abschiedsort am Berliner Bahnhof Friedrichstraße gedacht. Freude und Trauer von gestern.

Das Fernsehen hat mehrfach versucht, das gemeinsame Vergnügen der getrennten Deutschen am Plattensee in Szene zu setzen. Der ZDF-Dreiteiler „Honigfrauen“ war ein solcher – nicht unbedingt gelungener – Versuch. Denn „Honigfrauen“ war in jenen Tagen die Bezeichnung für DDR-Urlauberinnen, die Sommergäste aus dem Westen Deutschlands besonders süß fanden. Auch an diesem TV-Dreiteiler wurde deutlich, wie sehr sich die Zeiten seit 1989 gewandelt haben.

Autor:in

Alexander Kulpok

Jahrgang 1938, war Reporter, Redakteur, Moderator und Kommentator für Hörfunk und Fernsehen des SFB und der ARD, Dozent am Publizistischen Institut der FU und Redenschreiber für Willy Brandt