Digital Gender Gap: Digitalisierung geht nur mit beiden Geschlechtern

Es gibt sie: die Lücke zwischen den beiden Geschlechtern bei der Möglichkeit der Teilhabe am digitalen Leben – kurz: Digital Gender Gap. Auch wenn behauptet wird, dass wir durch die Corona Krise einen Digitalisierungsschub erfahren haben, so wurde deutlich, dass Frauen und Männer unterschiedlich stark davon profitieren. Ein Gastbeitrag von Betül Özdemir, ASF-Vorsitzende in Berlin-Mitte.

Die Corona Krise hat uns gezeigt, wie wichtig die Teilhabe am digitalen Leben ist: In der Zeit des Lockdowns nutzten wir vermehrt digitale Tools wie Videokonferenzen zur zwischenmenschlichen Kommunikation und haben unsere Arbeit ins Home Office verlagert. Aktuell wird davon ausgegangen, dass wir durch die Corona-Krise einen Digitalisierungsschub erfahren haben. Corona hat uns in die Zukunft katapultiert.

Aber haben alle Menschen den gleichen Zugang zu den digitalen Geräten wie iPads und Laptops? Kann jeder und jede seine/ihre Arbeit auch im Home Office durchführen? Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen der Teilhabe an der Digitalisierung von Frauen und Männern, also den „Digital Gender Gap“?

Studien wie von der Initiative D21 haben belegt, dass Frauen und Männer unterschiedlich stark von dem Digitalisierungsschub profitieren, den wir durch die Corona Krise erfahren haben– und zwar sowohl im privaten und beruflichen, als auch im sozialen Leben. Es gibt den sogenannten „Digital Gender Gap“, der die Lücke zwischen den beiden Geschlechtern bei der Möglichkeit der Teilhabe am digitalen Leben unterstreicht.

Dieser „Gap“ befindet sich im Bereich der Aneignung der digitalen Kompetenzen, der Offenheit der Geschlechter gegenüber dem Wandel durch die Digitalisierung, aber auch bei den ungerechten Möglichkeiten, seine Arbeit digital beziehungsweise im Home Office durchführen zu können. Diese Chancenungleichheit von Frauen gegenüber den Männern ist auch im digitalen Leben vornehmlich ein strukturelles Problem, das auf die tradierten Rollenmuster zurückzuführen ist.

Das aktuelle Lebensmodell für Familien geht immer noch vom Mann als Haupternährer der Familie aus. Auch wenn viele Männer sich von diesem Modell in der Partnerschaft lösen und sich um die Gleichstellung bemühen, so kippt das Modell der Gleichstellung bei der Geburt eines Kindes wieder in ein traditionelles Rollenmodell.

Die Statistiken belegen, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes viel mehr unbezahlte Arbeit leisten als die Männer, wie zum Beispiel Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege der Angehörigen. Kinder im Haushalt beeinflussen die Eltern bei der Entscheidung für eine Voll- oder Teilzeitbeschäftigung.

Frauen mit Kindern arbeiten zu zwei Dritteln in Teilzeit. Frauen ohne Kinder sind zu 34 Prozent in Teilzeitbeschäftigung. Diese Form der Beschäftigung hat einen großen Einfluss auf den Digitalisierungsgrad und auch die Bereitschaft des Arbeitgebers, den oder die Beschäftigte mit mobilen Endgeräten für das Home Office auszustatten.

Home Office und mobiles Arbeiten = bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Obwohl die jüngeren und die höher gebildeten Frauen im Bereich der Digitalisierung bereits genauso gut oder sogar sicherer sind als die Männer, so gibt es große Unterschiede bei der Wahrnehmung der Chancen der Digitalisierung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Frauen zwischen 40 und 55 Jahren.

Auch wenn man davon ausgehen würde, dass mehrheitlich Frauen Home Office Arbeit nutzen würden, so sind es statistisch gesehen doch wieder die Männer, die Home Office nutzen und mobil arbeiten. Die Vereinbarkeitsmodelle scheinen eher noch bestehende Rollenbilder zu verstärken.

Betül Özdemirprivat
Betül Özdemir ist Vorsitzende der ASF Berlin-Mitte: „Frauen und Männer profitieren unterschiedlich stark vom Digitalisierungsschub“.

Wenn Frauen im Home Office arbeiten, so übernehmen sie auch vermehrt die Care- und Hausarbeit im Rahmen der Vereinbarung von Beruf und Familie. Während Männer die Vorteile der Vereinbarkeit genießen, werden Frauen durch das Home Office noch stärker in die Bewältigung des Haushaltes und in die hauptsächliche Kinderbetreuung gedrängt.

Das hat sich auch während des Lockdowns gezeigt, als Frauen neben der Arbeit zu Hause auch die Kinderbetreuung und das Home Schooling übernehmen mussten. Statistisch gesehen, wenden Mütter im Homeoffice drei Stunden länger für die Kinderbetreuung auf als Mütter ohne Homeoffice.

Die alltäglichen Arbeiten von Frauen und Männern müssen in der Partnerschaft gerechter aufgeteilt werden, wenn wir eine gleichberechtigte Nutzung des Home Offices aber auch von digitalen Tools für Frauen ermöglichen wollen.

Die positiven Effekte der Digitalisierung werden nicht erreicht, wenn Frauen das Home Office nutzen, um mehr Care-Arbeit neben dem Job leisten zu können und Männer dafür belohnt werden, dem Unternehmen ständig zur Verfügung zu stehen und sich digital weiterzubilden.

Warum die geringen digitalen Kompetenzen bei Frauen?

Frauen sind derzeit insgesamt noch weniger digital affin als Männer und haben statistisch gesehen ein geringeres Interesse an den digitalen Themen. Es liegt immer noch an der Berufswahl, die den Umgang mit und den Zugang zu der Digitalisierung fördert.

Und der „Digital Gender Gap“ ist immer noch auf die Tatsache zurückzuführen, dass Frauen im Vergleich zu den Männern immer noch eher in den nicht-technischen Berufen und auch öfter in Teilzeit arbeiten. Unternehmen geben ihren Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten weniger digitale Endgeräte wie Laptops und iPads, so dass die Möglichkeit, sich beruflich mit digitalen Tools zu beschäftigen für die Teilzeitbeschäftigten geringer ausfällt.

Diejenigen Frauen, die zusätzlich Kinderbetreuung und Berufstätigkeit gleichzeitig meistern müssen, zeigen eine geringere Bereitschaft, sich mit der Digitalisierung auseinander zu setzen. Außerdem ist der höhere Anteil der nichterwerbstätigen Frauen wie zum Beispiel Hausfrauen oder Rentnerinnen und Rentner durch die fehlende berufliche Tätigkeit nicht digital affin.

Die Generation über 65 Jahre ist nicht mit dem Internet aufgewachsen, so dass die Interessen eher im analogen Bereich angesiedelt sind. Es sei denn, sie werden für die zwischenmenschliche Kommunikation mit der jüngeren Generation auf die Nutzung der Videokonferenztools oder soziale Medien angesprochen und unterstützt.

Die Statistiken zeigen, dass wir im Bereich der Digitalisierung zielgruppenspezifische Weiterbildungen für Frauen benötigen, um bei ihnen relevante Kompetenzen für die digitale Welt zu entwickeln.  Ohne digitale Grundkenntnisse gibt es heutzutage kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Nicht nur im Arbeitsleben werden heutzutage digitale Kompetenzen benötigt, sondern auch immer mehr im alltäglichen Leben bei der Kommunikation mit Dienstleistern wie Krankenkassen, Versicherungen oder auch der öffentlichen Verwaltung wie im Online Bürgeramt.

Soziale Medien

Auch wenn Frauen im Arbeitsbereich weniger digitale Kompetenzen haben sollten, so zeigt sich, dass sie im Bereich der sozialen Medien und auch bei der zwischenmenschlichen Kommunikation über digitale Medien sehr ausgeprägte Kompetenzen haben.

Während Frauen aktiver in den sozialen Medien wie Instagram und Facebook sind, sind sie auf Twitter zurückhaltender bei der Positionierung ihrer politischen Meinung. Denn sie sind öfters „Cyber Stalking“ ausgesetzt sind, wenn sie sich öffentlich positionieren.

Laut Statistiken werden zwölf Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen über soziale Medien angefeindet. Das zeigt, dass Männer häufiger Opfer von Anfeindungen sind. Jedoch gaben die Frauen an, dass diese Anfeindungen sie auch psychisch langfristig belastet haben.

Bei Frauen handelte es sich bei den Anfeindungen vorwiegend um sexuelle und/oder degradierende Bemerkungen, die lange Zeit anhalten und auch von der Gesellschaft als „normal“ eingestuft werden. Dabei handelt es sich um rassistische oder sexistische Aussagen, oder im schlimmsten Fall Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

Oftmals wird den Frauen die Schuld für die Anfeindungen zugeschoben, zum Beispiel wegen ihrer Kleidung oder ihrer politischen Statements. Diese Anfeindungen schränken das digitale Leben der Frauen ein und schüchtern sie ein, sich in den sozialen Medien einzubringen. Man bezeichnet diese Strategie auch als „Silencing von Frauen“.

Um dem „Silencing von Frauen“ entgegen zu wirken, werden bessere Schutzmaßnahmen und ein generelles Bewusstsein für Anfeindungen von Frauen in sozialen Medien benötigt. Aber auch mehr rechtliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Verschärfung des Strafrechts oder des Gewaltschutzgesetzes im digitalen Raum würden es Opfern erleichtern, sich bei „Cyber Stalking“ wehren zu können.

Geschlechterrollen müssen modernisiert werden, damit wir auch den „Digital Gender Gap“ schließen können. Dafür braucht es den aktiven Einsatz von Politik, Arbeitgeber*innen und jedem Einzelnen. Die Arbeitswelt ist im Wandel und ohne digitale Kompetenzen haben Frauen und Minderheiten noch weniger Chancen weiter zu kommen.

Die Digitalisierung geht nicht ohne die Frauen. Wir müssen mehr „Digital Empowerment“ Weiterbildungen für Frauen und Mädchen anbieten, um ihr Interesse und ihre Motivation zur Beschäftigung mit digitalen Themen zu stärken.

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