Laut einer Studie der Thomson Reuters Foundation fürchtet jede dritte Deutsche, dass Kinder ihrer Karriere schaden. Die Frage ist: Woran liegt das? Mehr Betreuungsplätze oder mehr Frauen in Chefetagen können laut Susanne Fischer, Berliner Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), eine Lösung des Problems sein. Dennoch: Sie möchte einen Schritt weitergehen. Sie sieht die gesamte Gesellschaft in der Pflicht.
Vor einigen Jahren hatte ich plötzlich lauter tolle, motivierte Frauen in meiner Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), die sich einbringen wollten. Alle waren Mütter, und sie mussten feststellen, dass man von ihnen Abstriche erwartet. Ein Kind zu kriegen, bedeutet für Frauen viel zu oft, in Teilzeit zu gehen, während der Vater befördert wird, da er ja jetzt eine Familie zu ernähren hat.
Im Parteileben ist es die Annahme, dass sich eine junge Mutter aus der Politik zurückzieht und ihren Platz anderen überlässt.
Im Parteileben ist es die Annahme, dass sich eine junge Mutter aus der Politik zurückzieht und ihren Platz anderen überlässt. Woher kommt diese Einstellung? Ein Grund ist sicher, dass Frauen wesentlich mehr Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit verbringen. Sie kümmern sich um Kinder und Haustiere, putzen, kochen, räumen auf und organisieren den Einkauf.
Nicht selten haben berufstätige Frauen das Gefühl, arbeiten zu gehen, um Geld für Kinderbetreuung und Haushaltshilfe zu verdienen, die ihnen die Karriere ermöglichen. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten wir immer versuchen, durch Regelungen und Angebote das Leben von Familien und speziell Frauen zu verbessern: mehr Betreuungsplätze für Kinder, bessere Pflege für ältere Angehörige, weniger Dauerpräsenz und Überstunden am Arbeitsplatz, mehr Frauen in den Chefetagen.
Aber all das wird wenig ändern, wenn wir unsere Gesellschaft nicht ändern. Wer kümmert sich in unseren Familien um den Müll? Wer macht den Abwasch? Wer kümmert sich um Kinder oder Angehörige? Wenn die einzige Antwort eine Frau ist, sind wir ein Teil des Problems. Es muss normal und die Regel sein, dass Männer die Hälfte der Elternzeit nehmen, um sich um ihre Kinder zu kümmern.
Es muss selbstverständlich sein, dass sie ihre Eltern im Alter pflegen. Männer müssen unaufgefordert morgens den Müll runterbringen und unaufgefordert auf dem Heimweg Lebensmittel einkaufen, die im Kühlschrank fehlen. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen wir nicht nur gesellschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, wir müssen sie mit Leben füllen.
Wir müssen uns selbst fragen, wie wir Formate schaffen, die attraktiv sind und die Teilnahme von Frauen, gerade auch Müttern, begünstigen.
Einer Partei, der nur knapp 35 Prozent Frauen angehören, hat da noch viel Nachholbedarf. Wir dürfen nicht nur meckern, dass die Wirtschaft gesellschaftliches Engagement mit ihrer ständigen Präsenzpflicht einschränkt. Wir müssen uns selbst fragen, wie wir Formate schaffen, die attraktiv sind und die Teilnahme von Frauen, gerade auch Müttern, begünstigen.
Damit wir nicht wieder alle völlig überrascht sind, wenn die nächste Studie erscheint und uns erklärt, dass Frauen diese Gesellschaft am Leben halten, ohne dafür eine angemessene Entlohnung zu erhalten und sich daher fragen, ob sie sich eine Familie leisten können oder wollen.
Susanne Fischer
Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF)