Protestplakat des AK Antifa der Jusos BerlinAK Antifa/Jusos Berlin

Berliner Stimme 5|2020: Hygienedemos: Einfache Feindbilder statt komplexer Lösungen

Ende März waren es noch wenige: Zur ersten „Hygienedemo“ in Berlin kamen anfangs 40 Menschen. Trotz Versammlungsverbot und Abstandsregeln wurden es mit der Zeit immer mehr. Mitte Mai treffen sich Tausende Menschen, um gegen die Eindämmungsmaßnahmen zu demonstrieren. Gegenprotest formiert sich – darunter auch Mitglieder des AK Antifa der Jusos Berlin. In ihrem Gastbeitrag berichten sie von Gesprächen – auch mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der „Hygienedemos“.

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen werden zum Teil von rechtsradikalen Akteurinnen und Akteuren getragen. Es sind prominente Personen wie beispielsweise der Vegan-Koch Attila Hildmann und Musiker Xavier Naidoo vertreten. Hierbei reicht das Spektrum der Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker von dem Glauben an eine jüdische Weltverschwörung bis hin zu Reichsbürgern.

Die Gründe für die Proteste sind vielfältig, unter anderem verunsichert die Menschen das Wegfallen des Alltages und ein pandemiebedingtes Gefühl von Machtlosigkeit. Die Versammlungen bieten die Möglichkeit der Selbstbestätigung, dass die Maßnahmen nicht nötig seien. Eben jener Krankheitserreger zeigt jedoch die bereits bestehende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft besonders deutlich.

Diese hängt mit einer ungleichen Verteilung von Ressourcen und Macht zusammen. Hierzu konstruktive Lösungsansätze zu formulieren ist umfangreich und komplex. Auf dieser Grundlage ist es leicht für Verschwörungsideologinnen und -ideologen sowie rechte Akteurinnen und Akteure mit einfachen Feindbildern, Menschen zu mobilisieren.

Ein weiteres großes Problem: Vordergründig erscheint es, als ob es sich lediglich um einen Protest gegen die Verordnungen zur Eindämmung von Covid-19 handelt. Schaut man genauer hin, erkennt man klassische antisemitische Narrative wie etwa die Behauptung, dass sich die Regierung, der Staat und das Finanzkapital gegen die Bevölkerung verschwören.

Dabei werden Bedrohungen durch bekannte Feindbilder geschürt: Es kristallisierten sich immer deutlicher Jüdinnen und Juden als die scheinbaren Verantwortlichen heraus und eine Relativierung der Shoa. Indem sich rechte Akteurinnen und Akteure unter die Demonstrantinnen und Demonstranten mischen, können sie ihre Feindbilder zunächst ungehindert verbreiten, sie legitimieren und so den öffentlichen Raum Stück für Stück einnehmen.

Nichtsdestotrotz gibt es durchaus Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich gegen Antisemitismus aussprechen. Wir hatten die Möglichkeit, mit einigen in eine tiefere Auseinandersetzung über verschiedene antisemitische Narrative zu gelangen. Im Gegensatz zu klassischen Anti-Nazi-Demos, welche klar erkennbare Frontlinien haben, muss man sich auf ein breiteres Spektrum des Protestmilieus vorbereiten, um antisemitische Narrative zu widersprechen.