E-AutosSebastian Thomas/SPD Berlin

Berliner Stimme 1|2020: „Viele brauchen beruflich und privat ihr Auto“

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in urbanen Zentren, auch der Großteil der Wirtschaftstätigkeit und der energiebedingten Emissionen konzentriert sich dort. Was Metropolen wie Berlin für die Minderung von Emissionen und den Schutz ihrer Einwohnerinnen und Einwohner tun, ist deshalb ein zentraler Baustein wirksamer Klimapolitik. Für Michael Müller, SPD-Landesvorsitzender und Regierender Bürgermeister von Berlin, haben auch Autos in der Mobilitätswende einen festen Platz.

Der Wettbewerb um die besten Ideen rund um Elektromobilität, bessere Luft, City-Maut, energetische Sanierung und Autoverkehr hat in Berlin ordentlich Fahrt aufgenommen. Warum?

Michael Müller: Umweltpolitik ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Deshalb steht sie zu Recht ganz oben auf der politischen Agenda. Dabei müssen wir Klima und Mobilität immer zusammen denken. Denn ohne eine Mobilitätswende bleibt der Klimaschutz auf der Strecke. Dafür brauchen wir einen neuen, modernen Verkehrsmix.

Was heißt das konkret?

Eine wesentliche Säule einer angebotsorientierten neuen Verkehrspolitik ist der ÖPNV. Wir werden seinen ökologischen Vorsprung sichern und weiter ausbauen. Er fährt bereits zu rund 70 Prozent mit elektrischem Strom und ohne lokale Emissionen. Damit hat er eine Vorreiterrolle bei Abgasemissionen im Mobilitätssektor.

Sozial gerechte Mobilitätswende

Die BVG bezieht bereits heute zu 100 Prozent Ökostrom. Ziel muss es jetzt sein, für die Emissionen im Busverkehr bis 2030 CO2-Neutralität herzustellen. Dafür ist eine zügige Umstellung auf umweltfreundliche Antriebe erforderlich. Um eine umfassende Verbesserung der Emissionen der gesamten Busflotte der BVG zu erreichen, sollen schnellstens alle verfügbaren und erprobten Technologien zum Einsatz kommen.

Hierbei muss eine Strategie verfolgt werden, die auch den Wasserstoffantrieb im Blick behält. Zusätzlich zu unseren Investitionen in Milliardenhöhe müssen wir den Berlinerinnen und Berlinern aber auch mit günstigen Tarifen einen Anreiz für den Umstieg auf den ÖPNV bieten. Es geht darum, Impulse für die Zukunft der Mobilität zu setzen und zu zeigen, dass eine sozial gerechte Mobilitätswende möglich ist.

Eine sozial verträgliche Mobilitätswende ist das Stichwort. Was wurde bisher umgesetzt?

Wir haben mit dem neuen Firmenticket ein verbessertes Angebot geschaffen und die Basis gelegt, um Schritt für Schritt in Richtung 365-Euro-Ticket zu gehen. Mit einem solchen Jahresticket würde die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin nur noch einen Euro pro Tag kosten. So stellen wir die Weichen für ein sauberes und mobiles Berlin.

Bequeme, sichere und klimafreundliche Mobilität

Seit dem 1. August 2019 ist das Schülerticket in Berlin kostenfrei! Schülerinnen und Schüler können mit der „fahrCard“ das gesamte ÖPNV-Angebot im Tarifbereich AB kostenfrei nutzen, egal ob für den Schulweg oder in der Freizeit. Damit entlasten wir Familien zum Schuljahr 2019/2020 um mehr als 200 Euro im Jahr und stärken die klimafreundliche Nutzung von Bus und Bahn in unserer Stadt.

Michael MüllerTobias von dem Berge
Hat beim Klimaschutz die Einwohnerinnen und Einwohner von Berlin fest im Blick: Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin.

Bequeme, sichere und klimafreundliche Mobilität ist damit für alle Schülerinnen und Schüler möglich, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das ist soziale und gleichzeitig nachhaltige Verkehrspolitik. Gerade in Metropolen wie Berlin muss gezeigt werden, dass ein gutes Angebot die Menschen dazu bewegt, vom Auto auf die Öffentlichen umzusteigen.

Dieses Angebot werden wir durch bessere Preise, kürzere Takte, neue Tram-Linien und auch die Verlängerung von U-Bahnstrecken für eine bessere Anbindung zehntausender Berlinerinnen und Berliner schaffen. Auch beim Ausbau des Radverkehrs muss es konkrete Fortschritte geben.

Dennoch wird es auch in Zukunft Menschen geben, die nicht auf das Auto verzichten. Es gibt Ideen, in Berlin bis zum Jahr 2030 Verbrennungsmotoren zu verbieten. Wie stehst Du dazu?

Forderungen nach einem Aus für das Auto in der Innenstadt verunsichern die Menschen. Viele brauchen ihr Auto – beruflich, aber auch privat. Und sie können sich nicht mal eben einen neuen Elektrowagen leisten. Solche Schlagzeilen verspielen die Akzeptanz für die Verkehrswende, auf die wir dringend angewiesen sind.

Ich fordere, bis Ende 2021 mindestens doppelt so viele Ladepunkte zu realisieren.

Für mich gehört der Individualverkehr weiter dazu: Aber er muss CO2-neutral werden. Dafür und für einen emissionsneutralen Wirtschaftsverkehr brauchen wir gefühlt an jeder Ecke einen Ladepunkt. Nur dann wird sich die E-Mobilität schnell durchsetzen. Die knapp 2.000 für Ende 2021 geplanten Ladepunkte sind zu wenig.

Ich fordere, bis Ende 2021 mindestens doppelt so viele Ladepunkte zu realisieren. Berlin zeigt dem Bund hier schon länger, wie zielgerichtete Förderung funktioniert. Seit meinen Mobilitätsgesprächen gibt es das „Förderprogramm wirtschaftsnahe Elektromobilität“. Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe in Berlin erleichtern seitdem Förderungen – zusätzlich zur bundesweiten Kaufprämie – den Umstieg auf E-Mobilität.

Menschen laufen an der S-Bahn-Haltestelle Brandenburger Tor vorbei.Adobe Stock/TIMDAVIDCOLLECTION
Menschen laufen bei gutem Wetter an der S-Bahn-Haltestelle Brandenburger Tor vorbei.

Von dieser gezielten Förderung profitiert die Berliner Wirtschaft ebenso wie unser Stadtklima, denn beim Wirtschaftsverkehr werden die Fahrzeuge intensiv genutzt. Seit Sommer 2018 gab es mehr als 2.100 Anträge für das Programm und es wurden bereits 671 E-Fahrzeuge und 81 Ladepunkte gefördert.

Berlin hat sich um die Ausrichtung der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) beworben und ist jetzt mit Hamburg und München in der Endrunde. Warum willst Du die IAA nach Berlin holen?

In Zwickau wird das neue Elektroauto ID.3 von VW gebaut und in der Metropolregion Berlin-Brandenburg Tesla eine neue Gigafabrik errichten. Vor wenigen Monaten habe ich in Berlin die weltweit erste innerstädtische Teststrecke für automatisiertes und vernetztes Fahren eröffnet. Die Mobilitätswende findet im Osten Deutschlands statt.

Wir sehen neue Ideen, hunderttausende Messebesucher, die in unsere Stadt kommen.

Und Berlin ist mit seinen ineinandergreifenden, modernen Mobilitätsarten das beste Beispiel dafür. Wir sind Innovationsmotor, Wissenschafts- und Forschungszentrum Deutschlands. Wenn die IAA einen Neuanfang wagen und statt einer traditionellen Autoshow zeigen will, wie die Mobilität der Zukunft aussieht, dann kann sie dafür nur in eine Millionenmetropole gehen und dann gehört diese Messe genau hierher.

Wir sehen neue Ideen, hunderttausende Messebesucher, die in unsere Stadt kommen und hier übernachten, essen gehen, einkaufen und neue Impulse setzen. Und wer weiß, einige bleiben vielleicht hier und gründen ein Start-up, das unsere Verkehrswende mitgestaltet.

Welche neuen Wege und Chancen siehst Du noch?

Wir können den Klimaschutz im Bereich Infrastruktur noch mit vielen Maßnahmen voranbringen. Ein Beispiel: Die Dächer von U-Bahnhöfen und Bushaltestellen sind weitgehend ungenutzt. Wir wollen, dass die BVG unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes geeignete Dächer mit Solarmodulen zur Stromproduktion ausstattet.

Wie ermöglichen wir es allen, Klimaschutz zu unterstützen, ohne finanziell überfordert zu werden.

Nach erfolgreichem Pilotprojekt soll das Vorhaben auf alle geeigneten Berliner Bahnhofsgebäude in öffentlicher Hand ausgeweitet werden. Technisch nicht geeignete Dächer sollen soweit möglich mit bienenfreundlichen Pflanzen begrünt werden. Das dient über die Verdunstungsflächen dem Stadtklima und unterstützt den Artenschutz.

Die meisten Menschen bringen Klimaschutz mit höheren finanziellen Belastungen in Verbindung. Ist Klimaschutz Wohlhabenden vorbehalten?

Ein ganz klares Nein! Für uns muss immer entscheidend sein: Wie können wir den Wandel sozial gestalten? Wie ermöglichen wir es allen, Klimaschutz zu unterstützen, ohne finanziell überfordert zu werden. Als SPD werden wir den Verhaltenswandel nicht über Preisspiralen erzwingen. Verkehr, Energie, Ernährung müssen für alle genauso wie Wohnen und soziale Absicherung bezahlbar bleiben.

Es wird für die SPD also wichtig sein, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit in Einklang zu bringen. Beim Klimawandel stehen die Städte an vorderster Front. Wir müssen Chancen nutzen, ausbauen, bewahren. Wohnen – Arbeit – Gute Infrastruktur – Mobilität – Bildung für alle: Eckpunkte für unsere wichtigsten Projekte der Zukunft.

Das werden wir in diesem Jahr vorantreiben und wir werden zeigen, warum es auch nach 2021 gut sein wird, das Berlin sozialdemokratisch regiert wird.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN