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Berliner Stimme 5|2019: Sonntags geöffnet?

Für Matthias Traub von der SPD Mauerpark sind „Spätis“ aus den Kiezen nicht mehr wegzudenken. Er setzt sich für eine Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes ein, damit „Spätis“ auch sonntags unter bestimmten Voraussetzungen öffnen können. Die stellvertretende Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft verdi, Andrea Kühnemann, argumentiert dagegen, dass der Schutz der Arbeitsruhe an Sonntagen von grundsätzlicher Bedeutung sei und die Rechte der ArbeitnehmerInnen geschützt werden sollten.


PRO

Berlin verstehen – Spätis erhalten!

ArbeitnehmerInnen vor Ausbeutung zu schützen, ist sozialdemokratisch. An diesem Grundsatz wollen und werden wir nicht rütteln – es ist aber nicht sozialdemokratisch, inhabergeführten Unternehmen vorzuschreiben, wann und wie sie ihre Geschäfte öffnen. Deswegen ist die SPD Mauerpark dafür, das Berliner Ladenöffnungsgesetz zu ändern und es zu ermöglichen, dass „Spätis“ unter bestimmten Voraussetzungen sonn- und feiertags sanktionsfrei und rechtssicher öffnen dürfen.

Es ist für uns eine Frage der Teilhabe: Oft sind Spätis von UnternehmerInnen mit  Migrationsgeschichte geführt – für sie ist dieses eigene Geschäft oft die einzige Möglichkeit, eine gute und gesicherte Zukunft für sich und ihre Familien zu erwirtschaften. Das dürfen wir ihnen nicht verwehren. Die SPD hat Menschen immer ermutigt, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen – werden wir diesem Grundsatz wieder treu!

Es ist für uns eine Frage der Ehrlichkeit: Sonntagssonderöffnungen etwa vor Weihnachten, zur IFA oder zur Grünen Woche betreffen ArbeitnehmerInnen. Hier erlauben wir Sonntagsarbeit zu Lasten Dritter – in erster Linie betrifft dies Frauen und prekär Beschäftigte. Selbstgewählte Sonntagsarbeit wollen wir aber weiterhin untersagen. Das ist nur dann logisch, wenn wir allein Großunternehmen und die durchorganisierte ArbeitnehmeInnenschaft als PartnerInnen unserer Politik sehen.

Es ist für uns eine Frage der Glaubwürdigkeit unserer Partei: Wir wollen „Berlin verstehen“ und gehen mit diesem Slogan in Wahlkämpfe. Wenn wir kleinen Gewerbetreibenden ihre Existenz und den NachbarInnen im Kiez – gerade Älteren, Alleinstehenden und Armen – ihren Treffpunkt nehmen und Kaufkraft am Sonntag in den Einzelhandel an Bahnhöfen und in Tankstellen umleiten, verstehen wir Berlin nicht, sondern ignorieren unsere Stadt und ihre Wirklichkeit. In dieser Wirklichkeit sind auch Spätis von Verdrängung bedroht – schließen sie am Sonntag, können sie Mietsteigerungen nicht mehr abfangen und verschwinden aus dem Kiez. Berlin ist mehr, als das jetzige Ladenöffnungsgesetz zugestehen will und unsere Partei ist mehr, als sie sich aktuell zutraut: Wir sind dem Anspruch nach die „Berlinpartei“, die Partei der Menschen, die sich selbst organisieren und emanzipieren wollen, wir sind Kiezpartei, Partei des sozialen Aufstiegs, Partei der Integration und für alle, die in unsere Stadt kommen und hier leben wollen. Werden wir diesem Anspruch gerecht und treffen wir unsere Nachbarn am Späti. Auch und gerade am Sonntag und am Feiertag.

von Matthias Traub von der SPD MauerparkMatthias Traub

CONTRA

ver.di sagt „Nein“ zur Ladenöffnung an Sonntagen

Kranke und alte Menschen pflegen, Leben retten, Mobilität sichern, für Freizeitangebote sorgen – in zahlreichen Branchen wird am Sonntag gearbeitet. Aber ist das „Sonntagsshopping“ wirklich unverzichtbar?

Seit dem 17. November 2006 hat Berlin ein sehr weitgehendes Ladenöffnungsgesetz. An den Werktagen Montag bis Samstag können sämtliche Läden rund um die Uhr öffnen. Einzig geschützter Tag bleibt nach dem Grundgesetz und dem Arbeitszeitgesetz der Sonntag. Die bestehenden Ausnahmen für den Verkauf in Personenbahnhöfen, Tankstellen, Apotheken und von Reisebedarf für Touristen sowie die Genehmigung von Ladenöffnungen an bis zu 10 Sonntagen durch Allgemeinverfügung des Senats oder wegen eines Jubiläums oder Straßenfestes stellen die Versorgung sicher. Spätis haben sich danach zu richten. Es kommt eben nicht auf ein Verkaufsformat oder die Zuordnung zu einer Gruppe von Geschäften an, sondern darauf, dass die bestehenden Regeln für alle gleichermaßen gelten und die Einhaltung auch wirkungsvoll kontrolliert wird!

Allein im Berliner Einzelhandel sind 141.000 ArbeitnehmerInnen beschäftigt. Davon sind rund 70 Prozent weiblich, mehr als 60 Prozent arbeiten in Teilzeit. Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten in den letzten 30 Jahren hat vielen Beschäftigten eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen beschert. Arbeit zu ungünstigen Zeiten ist vielerorts die Regel. Gleichzeitig hat die Tarifbindung nachgelassen, wohl nur noch rund 30 Prozent der Beschäftigten sind in tarifgebundenen Betrieben des Einzelhandels tätig. In vielen Unternehmen, die nicht den Einzelhandelstarifvertrag anwenden, gibt es Haustarifverträge, aber der große Teil der in dieser Branche Beschäftigten arbeitet ohne Tarifvertrag. Das bedeutet: Sie erhalten keine tariflich vereinbarten Zuschläge wie z. B. für Wochenendarbeit. Das sind wichtige Gründe, warum ver.di stets gegen die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten war.

Der Schutz der Arbeitsruhe an Sonntagen ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil der letzte gemeinsame arbeitsfreie Tag der Woche für Erholung und Gesundheitsschutz, Schutz der Familien und Schutz der Demokratie durch Teilnahme am öffentlichen gesellschaftlichen Leben steht. Ausnahmen gelten natürlich z. B. für Krankenhäuser oder die Polizei – Aufgaben, die auch sonntags erfüllt werden müssen. Das gilt nicht für den Einzelhandel! Auch im online-Handel darf sonntags nicht kommissioniert werden. Weder das Umsatzinteresse von Händlern noch das Einkaufsinteresse von Kunden sind geeignet, eine Ladenöffnung an einem Sonntag zu begründen.

von Andrea Kühnemann, stellv. Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft ver.di Andrea Kühnemann