Ina Czyborra

Berliner Stimme 4|2019: Wissenschaft in Berlin

Aus dem Elfenbeinturm in die Stadt

Längst hat die Berliner Politik aufgehört, Wissenschaft und Forschung als reine Kostenträger zu sehen und begriffen, dass für jeden investierten Euro gut 2,5 Euro in unsere Stadt zurückfließen. Wir wissen, dass unsere erfolgreiche Hochschul- und Forschungslandschaft enorm positive Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze hat und zwar in vielen Beschäftigungsfeldern und Qualifikationsniveaus.

Wissenschaft und Forschung sind bei der Lösung sowohl der globalen als auch der regionalen Probleme unabdingbar. Der sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft wird ohne die ganze Bandbreite der Disziplinen nicht gelingen können. Viel zu lange wurden alte Technologien geschützt und der Erforschung und Entwicklung neuer Technologien, aber auch der Entwicklung der Sozialsysteme und der Erforschung der globalen Verteilungsprobleme, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und dafür nicht die notwendige Finanzierung bereitgestellt. Auch Dank der Friday for Future-Bewegung, jetzt unterstützt von Scientists for Future, und den Bewegungen für Nachhaltigkeit an den Hochschulen, werden diese Zusammenhänge noch deutlicher. Die demonstrierenden Schüler*innen haben die Erkenntnisse der Klimaforschung in die breite Öffentlichkeit getragen – nicht die Medien und nicht die Politik. Plötzlich steht die Wissenschaft im gesellschaftlichen Fokus.

 Der Berliner Klimaforscher Carl-Friedrich Schleussner hat für die Fridaysfor-Future-Schüler*innen eine Vorlesungsreihe initiiert und an vier Freitagen im Mai und Juni zu Vorträgen von Klimawissenschaftler*innen an der Humboldt-Universität und im Naturkundemuseum eingeladen – nach der Demo. Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll: Wissenschaft nimmt die Menschen ernst und gibt uns das Handwerkszeug, Probleme im Großen wie im Kleinen zu bewältigen.

Auch wenn wir in Berlin schon länger umsteuern und den Universitäten jährlich 3,5 Prozent mehr Geld in den Hochschulverträgen bis 2021 garantieren – bei uns sind die Investitionsbedarfe in Sanierung und Neubau der Lehr- und Forschungsgebäude für die mittlerweile 195.000 Studierenden groß und liegen bei mindestens 5 Mrd. Euro. Manche Gebäudeteile sind gesperrt und warten auf Sanierung, während die Hochschulen immer teurer anmieten müssen, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Berlin ist als Ort zum Studieren hoch attraktiv, muss es aber auch bleiben: Wir sind dringend auf den Zuzug von Studierenden und Auszubildenden angewiesen, damit wir den demografischen Wandel der nächsten Jahre bewältigen können.

Obwohl Berlin bei den Verhandlungen über die Pakte auf Bundesebene sehr erfolgreich verhandelt hat und sowohl bei Dritt- und Exzellenzmitteln als auch beim Hochschulbau und der Ansiedlung von Forschungsinstituten eine sehr gute Bilanz vorweist, ist es doch so: Der Anteil des BIP, den Deutschland in Wissenschaft und Forschung steckt, ist verglichen mit anderen Ländern wie Großbritannien, den USA oder in Skandinavien mit 1,2 Prozent im Vergleich zu bis zu 2,6 Prozent zu gering, um die Zukunft zu bewältigen.

Wir brauchen zwei Prozent des BIP für Wissenschaft und Forschung statt für Rüstung. Das sollte sich die SPD im Bund auf die Fahnen schreiben, damit wieder ein solides Fundament an Grundfinanzierung inklusive guter Arbeit in der Wissenschaft und guter Lehre stattfinden kann. Das manchmal ungesunde Verhältnis von Grundfinanzierung und Drittmitteln, die mit hohem Zeitaufwand und Bürokratie eingeworben werden und die Zeit fressen für die Betreuung von Studierenden aber auch den Dialog mit der Stadtgesellschaft und die gemeinsame Problemlösung – wie z. B. bei Themen wie Umwelt und Wohnen –  muss ins Lot kommen.

Dafür muss die Wissenschaft ihre Räume öffnen und tut dies zum Beispiel mit der jedes Jahr sehr gut besuchten Langen Nacht der Wissenschaft. Sie sucht sich neue Orte der Vermittlung und der Debatten. Die Verortung von Wissenschaft in der Stadt gehört ebenso selbstverständlich zum Bildungsauftrag einer Wissensgesellschaft wie Theater und Museen. Für den gesellschaftlichen Diskurs über wissenschaftliche Erkenntnisse braucht es Orte, die die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzubringen. Solche Orte gilt es auch in unserer Stadt Berlin zu identifizieren. Im Südwesten sind es die Dahlemer Museen, die nach wie vor auf eine neue Bestimmung warten. In Neukölln geht das Wissenschaftszentrum in die Kieze und diskutiert dort Ergebnisse ihrer Sozialwissenschaftlichen Studien, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Und für uns Sozialdemokrat*innen gilt bei allem Kostendruck weiterhin: Wir stehen für gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule!

Autor:in

Ina Czyborra

Stellvertretende Landesvorsitzende

Ina Czyborra ist stellvertretende Vorsitzende der SPD Berlin, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege und Mitglied des Abgeordnetenhauses

Ina Czyborrq