Bettina König, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Berliner AbgeordnetenhausSPD-Fraktion/Sabrina Wagner

Equal Care Day 2022: Ein Fehler im System

Ursprünglich ist der 29. Februar als Equal Care Day gedacht. Dieses Datum gibt es jedoch nur alle vier Jahre – der Gedanke dahinter: Männer bräuchten vier Jahre, um so viele private und berufliche Sorgearbeit zu verrichten wie Frauen in einem Jahr. Bettina König, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, erklärt, wo sie die Ursachen dafür sieht, was Kindererziehung damit zu tun hat und was sie selbst als zweifache Mutter teilweise stresst.

BERLINER STIMME: Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege von Angehörigen: Frauen arbeiten im Schnitt pro Tag viereinhalb Stunden ohne Bezahlung. Warum ist Fürsorgearbeit immer noch größtenteils Frauensache?

Bettina König: Das ist meiner Meinung nach historisch bedingt. Früher wurde erwartet, dass sie Sorgearbeit umsonst erbringen oder dafür weniger Gehalt bekommen. Das hat sich etabliert und mit der Zeit stabilisiert. Die Erziehung und welche Normen und Werte, unbewusst oder bewusst, vermittelt wurden, taten ihr übriges. Als Kind in einer Kita sieht man fast nur Erzieherinnen und in der Grundschule als Schüler nahezu nur Lehrerinnen. Gerade diese Bereiche des täglichen Lebens sind noch sehr weiblich geprägt und diese Situation beeinflusst Kinder in ihrer Entwicklung.

Was denkst du kann man bei der Erziehung von Kindern anders machen, um sie für Gleichstellung zu begeistern?

Das finde ich schwierig. Ich bin kein Verfechter davon, dass Mädchen beispielsweise unter keinen Umständen mit Barbies spielen dürfen. Auch stelle ich meinen Töchtern jetzt nicht extra irgendwelche typischen Spielsachen für Jungs hin. Das wirkt, ehrlich gesagt, auch ein bisschen gezwungen. Eher sollte man den Kindern einfach alle Möglichkeiten bieten und aufzeigen, die die Welt so hat, ohne Schranken im Kopf.

Vor allem aber sollte man ihnen ein modernes und selbstbestimmtes Leben als Frau vorleben. Ich denke, dann entwickeln sich Kinder auch entsprechend, egal ob sie mal eine Barbie-Phase hatten. Meine Töchter spielen auch noch gerne mit dieser Puppe und ich habe ihnen das auch nie verboten. Ich habe es als Kind auch gerne gemacht (lacht). Dennoch verkörpere ich nicht dieses stereotype Bild einer Frau, sondern lebe meinen Töchtern vor, dass man Chancen im Leben ergreifen muss und auch umsetzen kann.

Wir sprechen gerade von unbezahlter Care-Arbeit. Was ist denn eigentlich bezahlte Sorgearbeit?

Das sind die typischen Care-Berufe, also Kita, Schule, Alten- und Krankenpflege. Darunter fallen zum Beispiel auch Physiotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen. Es sind genau die Jobs, in denen man mit Menschen arbeitet, sich um sie kümmert und ihnen hilft.

Warum glaubst du, sind die Berufe, die so nah am Menschen stattfinden größtenteils so schlecht bezahlt?

Das ist ein Fehler im System und es ist mir auch unerklärlich, warum man gerade diese Arbeit so wenig wertschätzt. Eine Krankenschwester verdient als Einstieg oftmals 2.500 Euro, während ein Facharbeiter, der am Band ein Auto zusammenschraubt, bei 4.500 Euro anfängt. Ich glaube auch, dass Frauen in Gehaltsverhandlungen oft nicht so stark und selbstbewusst auftreten.

Das ist natürlich ein Problem, weil sie sich über den Tisch ziehen lassen. Außerdem ist in den Care-Berufen die gewerkschaftliche Verankerung leider nicht so groß. Deshalb konnten sich Strukturen etablieren, die dazu geführt haben, dass man in den genannten Berufen weit weniger verdient. Das ist absolut nicht akzeptabel.

Wenn eine alleinerziehende Frau zuhause unbezahlte Care-Arbeit leisten – welche Folgen hat das für sie?

Für die betroffenen Personen ist das natürlich eine wahnsinnige Herausforderung, wenn nicht sogar ein massives Problem. Es ist sehr anstrengend, zumal wenn Kinder klein sind, sich um alles zu kümmern, die ganze Verantwortung zu tragen, den ganzen Druck auszuhalten und alles alleine planen zu müssen. Dabei musst du immer ansprechbar sein. Es ist eine große Belastung für die Frauen. Ich finde, da müsste das System für alleinerziehende Mütter, und Väter natürlich genauso, mehr Unterstützung und Entlastung bereithalten.

Du hast von einem Fehler im System gesprochen, der dazu führt, dass Frauen weniger verdienen. Bleiben sie deshalb auch mehrheitlich zuhause?

Paare schauen natürlich aufs Geld und Männer verdienen zumeist mehr. Andererseits glaube ich auch, dass viele Frauen zumindest ein bis zwei Jahr zuhause bleiben möchten, um sich um das eigene Kind zu kümmern. Dafür treten sie auch beruflich zurück oder setzen ein Jahr aus. Ich glaube, dass ist teilweise auch so eine akademische Debatte, wie wir sie führen. Wir gehen manchmal zu stark davon aus, dass Frauen das nicht wollen.

Ich glaube, es gibt schon einen nicht unerheblichen Anteil an Frauen, die diese erste Zeit mit ihrem Kind verbringen wollen. Das kann ich auch verstehen, weil, man hat dieses Kind im Körper getragen, hat die Geburt überstanden und dann will man ja nicht, ich übertreibe jetzt mal, am übernächsten Tag wieder am Schreibtisch sitzen.

Da sollten wir ganz genau hinhören und die Vielfältigkeit auch akzeptieren, und zwar in beide Richtungen. Wir müssen es auch anerkennen, wenn Familien sich für diesen Weg entscheiden und zwar nicht nur aus ökonomischen Zwängen, sondern eben, weil sie es gerne so möchten.

Die Entscheidung ist das eine, doch was ist mit den Folgen?

Natürlich sollte man sich das alles bewusst überlegen. Nicht falsch verstehen, ich bin nicht dafür, dass Frauen zehn oder 15 Jahre aus dem Berufsleben ausscheiden. Es ging mir tatsächlich um die Zeit nach der Geburt. Die Folgen sind natürlich enorm. Da wäre ein Karriereknick, denn wenn eine Frau nach ein bis zwei Jahren in ihren Job zurückkehrt, haben sie bereits Männer überholt, die diese Auszeit nicht hatten.

Es hat Folgen für die Rente, natürlich auch für eventuelle Beförderungen. Da braucht eine Frau mitunter zwei bis drei Jahre länger, bis sie zu dem vielleicht gleichaltrigen Kollegen wieder einigermaßen aufschließt. Wenn dann noch die Ehe scheitert oder die Partnerschaft auseinandergeht, wird es im Alter ganz schwierig.

Männer wenden gerne ein, dass sie ja auch unbezahlt den Garten auf Vordermann bringen und Reparaturen durchführen und dafür ebenso nicht bezahlt werden: Was erwiderst du?

Das stimmt ein stückweit. Es wäre ja auch schlimm, wenn sich ein Mann zu Hause überhaupt nicht einbringen würde. Aber es ist ja oftmals so, und das besagen auch viele Studien, im Vergleich deutlich weniger als das, was eine Frau leistet. Die Hauptlast liegt ganz oft bei ihr. Mal ein Beispiel: Was mich als Frau total stresst ist, dass du den ganzen Tag für die komplette Familie organisierst und planst. Kind A muss zum Kieferorthopäden, Kind B muss noch einen Kuchen irgendwo mitbringen und dann an einem bestimmten Ort abgeholt werden.

Das Abholen muss ich nicht selbst machen, doch ich muss sichergehen, dass mein Mann und meine Kinder diesen Plan auf dem Schirm haben. Dass jeder weiß, was er zu tun hat, wo und wann wer abgeholt wird und was er mitnehmen muss. Das leisten sehr viele Frauen neben ihrer eigentlichen Tätigkeit im Hintergrund mit und das ist wahnsinnig anstrengend. Viele Frauen bestätigen mir das auch im direkten Gespräch.

Wenn eine Frau dann noch alleinerziehend ist, kann das schnell sehr zeitraubend werden. Genau das machen Männer in dem Maße nicht. Ich will auch gar nicht pauschalisieren, es gibt auch Ausnahmen, aber diese ganzen Sachen, wie Arzttermine vereinbaren und dergleichen mehr, machen sehr viele Frauen. Männer bringen sich zwar in den Haushalt ein, aber es ist nach meiner Erfahrung deutlich weniger. Dennoch, und das sei vielleicht auch noch zuletzt gesagt, liegt es ja auch immer an jedem einzelnen Pärchen selbst, wie sie diese Arbeiten aushandeln und einen Ausgleich hinbekommen.

Erzähl doch mal von deinem Alltag als Abgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin: Hast du Fälle von unbezahlter Care-Arbeit erlebt und wie sahen diese Fälle aus?

Ich habe schon öfter Alleinerziehende im Bürgerbüro, die Hilfe brauchen, weil sie mit den Dingen des täglichen Lebens überfordert sind, wie beispielsweise eine Wohnung zu finden. Der schlimmste Fall war einmal eine alleinerziehende Frau, die mit ihren sechs Kindern in einer Einzimmerwohnung hauste. Diese Frauen kennen die ganzen Beratungs- und Unterstützungsangebote auch gar nicht, die es ja schon gibt. Dann informieren wir erstmal ein bisschen, was es für Möglichkeiten und Netzwerke für Frauen gibt. In Reinickendorf haben wir zum Beispiel die „Flotte Lotte“, die viele Beratungsangebote für Frauen bietet.

Wie könnte man dieses Problem der ungerecht verteilten Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern lösen?

Das ist schwer zu beantworten. Ich finde, das hat immer einen individuellen Charakter. Da gibt es keine Blaupause. Eine Frau sagt, dass sie ganz viel machen will, eine andere will es hingegen wieder fifty-fifty, eine weitere verlangt von ihrem Mann, dass er einen Großteil übernimmt. Es gibt eben nicht dieses eine Ideal, was man den Menschen überhelfen kann.

Der gesellschaftliche Diskurs muss weitergeführt werden. Man muss Frauen bestärken, Sachen zu hinterfragen und nicht nur hinzunehmen, sondern wirklich für sich rauszufinden, was will ich, um das dann auch mit dem nötigen Selbstbewusstsein in der Partnerschaft umzusetzen. Kurzum: Frauen oder Mädchen stark machen.

Liebe Bettina, ich danke dir für das Gespräch.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN