Michael MüllerSPD Berlin | Tobias von dem Berge

Berliner Stimme 4|2019: Fit für die Zukunft: Innovationsstandort Berlin

Wissenschaftssenator Michael Müller im Gespräch: Für die Zukunft der Arbeit werden Wissenschaft und Forschung eine entscheidende Rolle spielen

Berliner Stimme: Du hast die Wissenschaft und Forschung vor über zwei Jahren in die Senatskanzlei geholt, der Regierende Bürgermeister ist seither zugleich Wissenschaftssenator.  

Michael Müller: Das mag damals manche überrascht haben. Aber es war eine sehr bewusste Entscheidung und auch rückblickend die absolut richtige. Wir sind Deutschlands größter und inzwischen stärkster Wissen- schaftsstandort, mit über 250.000 Menschen, die hier studieren und an den mehr als 40 Hochschulen und 70 Forschungseinrichtungen arbeiten, von der Professorin bis zum Hausmeister. Darin steckt ein unglaublich großes Potenzial. Wenn wir Berlin voranbringen wollen, müssen wir auf Wissenschaft und Forschung setzen, davon bin ich fest überzeugt. 

Gibt es Themen, die dem Wissenschaftssenator besonders am Herzen liegen? 

Mir war von Anfang an wichtig, dass wir die Grundfinanzierung unserer Hochschulen und der Charité deutlich erhöhen. Die Budgetsteigerungen von insgesamt 760 Mio. Euro sind bundesweit beispielhaft, waren aber auch dringend nötig. Zugleich haben wir die Investitionen in Bau und Sanierung auf bereits über zwei Mrd. Euro hochgefahren. Damit ver- bessern wir die Rahmenbedingungen für Studium, Lehre und Forschung und schaffen zusätzliche Kapazitäten, etwa für den massiven Ausbau in der Lehrkräftebildung für unsere Schulen oder für neue Studiengänge in der Pflege. Nicht zuletzt ermöglichen wir neue Schwerpunktsetzungen in der Gesundheitsforschung und beim großen Thema Digitalisierung.

Für die Gesundheitsstadt Berlin 2030 hat die Expertenkommission unter der Leitung von Karl Lauterbach kürzlich Empfehlungen vorgestellt. Wo geht die Reise hin?

Dilek Kalayci und mir ist wichtig, das einmalige Potenzial Berlins als Gesundheitsstandort noch besser zu nutzen. Im Wesentlichen geht es dabei um eine strukturierte Kooperation zwischen der Charité Universitätsmedizin und Vivantes. Durch eine bessere Verknüpfung zwischen medizinischer Spitzenforschung und Versorgung auf höchstem Niveau wollen wir Berlin zu einem führenden Gesundheitsstandort machen. Auch der Aufbau eines neuen Universitären Herzzentrums gehört dazu, genauso wie die Weiterentwicklung des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung.

In der Digitalisierung ist Berlin führend, bestätigt der Digitalisierungsindex der Bundesregierung. Kritiker meinen, das gelte nicht für die Verwaltung. Wo müssen wir noch besser werden?

Ich finde das Eindreschen auf die Berliner Verwaltung unanständig. Da sind Zig- tausende Beschäftigte, die täglich daran arbeiten, die Anforderungen einer bald Viermillionenstadt zu erfüllen. Viele Prozesse laufen bereits besser, wir haben mehr Stellen geschaffen und die digitalen Angebote für Bürgerinnen und Bürger ausgeweitet. Natürlich geht noch mehr, keine Frage. Dabei profitieren wir von der Expertise aus der Wissenschaft. Berlin gehört inzwischen mit über 100 Professuren und neuen Forschungszentren zu den Vorreitern der Forschung zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Ihre Erkenntnisse wollen wir noch besser für unsere Bedarfe einbinden, etwa über das CityLab, das ich kürzlich am Flughafen Tempelhof eröffnet habe. Hier kommen Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und Stadtgesellschaft zusammen, um Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Ohne die Wissenschaft hätten wir die Arbeitslosigkeit nicht halbieren können – das sagtest Du kürzlich im Abgeordnetenhaus. 

Und ich sagte auch, dass wir ohne sie nicht von den 7,8 Prozent weiter runterkommen. Warum kommen große Weltkonzerne wie Siemens nach Berlin, warum ist Berlin Hauptstadt der Startups? Sie alle sagen: Ihr habt ein einzigartiges Innovationsumfeld und hervor- ragend ausgebildete Absolventinnen und Absolventen. Das hat wesentlich mit unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu tun und ist längst ein harter Standortfaktor, aus dem Tausende neue Arbeitsplätze entstehen. Das gilt für viele Zukunftsbranchen, aber eben auch traditionelle Industriezweige und Betriebe. 

Zugleich klagt die Wirtschaft aber auch über Fachkräftemangel. 

Das ist in manchen Bereichen tatsächlich ein Problem, übrigens nicht nur in der Wirtschaft. Wir brauchen mehr gut ausgebildete Fachkräfte in vielen Bereichen, in den Bauämtern, bei der Polizei, oder bei den Unternehmen. Die Berliner Fachhochschulen leisten hier einen wichtigen Beitrag und wir arbeiten gemeinsam daran, die dualen Studiengänge, die Studium und Praxis auf besondere Art verbinden, noch besser an diesen Bedarfen auszurichten.

Gute Arbeit ist ein zentrales Thema der SPD. Wo drückt der Schuh in der Wissenschaft?

Befristungen und die Verläufe der wissenschaftlichen Karrierewege sind ein großes Thema. Auch deshalb war es mir wichtig, dass wir den Hochschulen durch die neuen Hochschulverträge und zusätzliche Mittel eine bessere Planungssicherheit ermöglichen – und zugleich Mindestquoten für unbefristete Stellen vereinbaren. Wir haben neue gesetzliche Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Karrierewege geschaffen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt. Sachgrundlose Befristungen drängen wir konsequent zurück, das gilt auch für die Wissenschaft. Und wir haben dafür gesorgt, dass ausgegliederte Arbeitseinheiten wieder in die öffentliche Hand zurückkehren, wie etwa die CFM GmbH an der Charité. Wir haben auch die Verhandlungen für den neuen Tarifvertag für studentische Hilfskräfte unterstützt, als diese ins Stocken gerieten. Heute ist er wieder der beste bundesweit. Eine gute Zwischenbilanz für gute Arbeit, aber es bleibt noch mehr zu tun.

Wir sind keine Ein-Themen- Partei oder Klientelpartei. Uns geht es für alle Bereiche um ein soziales Miteinander und gutes Zusammenleben.

Apropos SPD: Die Partei ist in einer schwierigen Lage …

Ja, da gibt es nichts zu beschönigen und da gibt es auch keine einfachen Antworten. Umso mehr hat es mich bei unserem Mitgliederforum des Landesverbandes gefreut, dass der Schwerpunkt der Debatte bei den Inhalten  lag und es weniger um Personal ging. Deutlich ist: Wir sind keine Ein-ThemenPartei oder Klientelpartei. Uns geht es für alle Bereiche um ein soziales Miteinander und gutes Zusammenleben. Zum Beispiel Mieten und Wohnen. Das ist schon lange nicht allein ein Berliner Thema! Die SPD Berlin hat hier mit dem Mietendeckel den richtigen Aufschlag gemacht – ein Instrument, das zusätzlich zu Kaufen und Bauen von Wohnungen den Markt entspannen soll. 

Aus der Berliner SPD kommt der Wunsch nach einem neuen Grundsatzprogramm!

Es gibt aktuelle Fragen, die in den letzten Jahren eine hohe Dynamik aufgenommen haben und auf die wir – wie bei der Digitalisierung und Globalisierung – zeitgemäße Antworten geben müssen. Die Prozesse müssen so gesteuert werden, dass die gesellschaftliche Teilhabe gestärkt wird und es ein Mehr an Verteilungsgerechtigkeit gibt. Das Gegenteil ist aber derzeit global der Fall: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wissenschaft und Forschung werden für die Zukunft eine wichtige Rolle spielen: Ihre Entwicklungen sind zum Beispiel für die Gestaltung der Arbeitswelt existenziell. Deshalb war mir auch so wichtig, dass das Ressort in Berlin bei der SPD liegt.

Wo soll Berlins Wissenschaft in 30 Jahren stehen? Ein deutsches Oxford?

Vor 30 Jahren fiel mit der Berliner Mauer auch die Trennung der beiden Wissenschaftsstandorte. Was unsere Wissenschaft heute ausmacht, ist ihre große Vielfalt und die ausgeprägte Kultur der Kooperation, sowohl innerhalb der Stadt als auch mit internationalen Partnern. Ein Beispiel dafür ist die Bewerbung unserer Universitäten im Exzellenz- wettbewerb von Bund und Ländern als Berlin University Alliance. Ich sehe darin ein Zukunftsmodell für Berlin als Wissenschaftsstandort und damit verbunden die Aufgabe an die Politik, sowohl die einzelnen Institutionen, als auch ihre Zusammenarbeit zu fördern. Sich von Spitzenunis wie Oxford dabei etwas abzugucken, ist sicher nicht verkehrt, zumal die britische Universität selbst die Zusammenarbeit mit Berlin ausweitet und wir im guten Dialog sind. Aber manches wollen wir dann doch ganz bewusst anders machen. Studiengebühren zum Beispiel wird es mit mir und der SPD in Berlin nicht geben.