Beschluss des SPD-Landesvorstands vom 10.8.2020:
Milieuschutzgebiete haben das Ziel der Vermeidung von Verdrängung der ansässigen Bevölkerungsstruktur durch starke Mietsteigerungen oder Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Unter den Instrumenten des Milieuschutzes hat sich das Vorkaufsrecht, dort wo es zum Einsatz kommt, als das wirksamste Instrument des Mieter*innenschutzes erwiesen. Damit steht das Instrument des Vorkaufs nicht im Wettbewerb mit den Instrumenten des allgemeinen Bodenankaufs und Neubaus, sondern dient der Stabilisierung der Sozialräume in innerstädtischer Lage, die Gefahr laufen zu überhitzen und somit nicht mehr für die breiten Bevölkerungsschichten bezahlbar zu sein. Es bleibt daher ein zentrales sozialdemokratisches Ziel das Vorkaufsrecht auf stabile Füße zu stellen und damit Verdrängung der einkommensschwächeren Schichten aus innerstädtischen Bezirken zu verhindern.
In der Praxis führt die aktuelle Ausgestaltung betreffend die Bereitstellung der zum Vorkauf erforderlichen finanziellen Mittel seitens des Landes jedoch zu Blockaden und Ungerechtigkeiten auf mehreren Ebenen: Im Jahr 2020 ist bereits zur Jahresmitte der „Vorkaufs-Finanzfonds“ des Landes ausgeschöpft. Der Großteil der Mittel ist in einen Bezirk geflossen, die Beteiligung der Wohnungsbaugesellschaften an den Vorkäufen ist bei jedem Einzelfall eine neu auszuhandelnde Zitterpartie. Dieses unsystematische Vorgehen gilt es durch klare Rahmenbedingungen des Landes zu durchbrechen und für die Bezirke handhabbar und planbarer zu machen.
Deshalb fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und die SPD-Abgeordnetenhausfraktion auf, für klare Rahmenbedingungen bei zukünftigen Vorkäufen in Milieuschutzgebieten zu sorgen.
Hierzu gehören:
- Eine vorausschauende und bereits vom Senat einzustellende haushälterische Absicherung. Die Absicherung soll verbunden werden mit einer Zielsetzung bzw. Strategie bezüglich der Kontingente, die das Land durch Vorkauf in öffentlichen Bestand überführen will.
- Eine Festlegung der Rahmenbedingungen unter denen das Land bereit ist sich an den Kosten des Vorkaufs zu beteiligen. Hierzu zählen beispielsweise die Maximalkosten (pro qm) bzw. maximale Sanierungs- und Modernisierungskosten.
- Eine vom Senat mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu verhandelnde Rahmenvereinbarung, die die Ziele des Landes bezüglich der zu erwerbenden Kontingente auf die einzelnen Gesellschaften aufgliedert.
- Eine Strukturierung des Vorkaufsfonds, die die Zuweisung von Teilkontingenten an einzelne Bezirke ermöglicht und zeitgleich einen Teil der Mittel für landesweite Verfügung übrig lässt. So können Bezirke eigenständige Entscheidungen über den Einsatz von ihren Mitteln treffen und besser planen. Bei einer verstärkten (Grundstücks-)Verkaufstätigkeit in einzelnen Bezirken würde dann der landesweite „Teiltopf“ zur Kompensation dienen.
Neben der vorgenannten Reform der Vorkaufspraxis anhand der genannten Kriterien gilt es auch die akuten Probleme im Jahr 2020 anzugehen. Die zahlreichen Verkäufe, die genau jetzt in Milieuschutzgebieten auftreten, sind nicht getrennt von der Corona-Krise zu betrachten. Mieter*innen, die mitten in der Corona-Krise vom Verkauf der Immobilie betroffen sind, trifft die Krise damit zu einem möglichst ungünstigen Zeitpunkt. Ein leerer „Finanztopf“ für mögliche Vorkäufe genau zum Zeitpunkt der Krise würde jeglichen Lösungsansätzen im Sinne der betroffenen Mieter*innen im Wege stehen.
Daher begrüßen wir die Beschlüsse zum Nachtragshaushalt 2020/2021 im Bereich Vorkaufsrecht. Wir wollen diesen Weg weiter gehen, um Vorsorge beim Vorkaufsfonds zu treffen, so dass in 2020 weitere Vorkäufe möglich sind damit die Folgen der Krise in Milieuschutzgebieten abgemildert werden können.
Begründung:
Bei dem – wie immer – begrenzten Vorkaufsfonds herrscht aktuell das Windhundprinzip, was dazu führt, dass manche Bezirke unverhältnismäßig von den zur Verfügung stehenden Mitteln profitieren (im Jahr 2020 sind bisher an die 90% der Mittel nach Friedrichshain-Kreuzberg geflossen). Bezirke, bei denen Vorkäufe zu späteren Zeitpunkten in Frage kommen, gehen entsprechen leer aus. Auch wenn zukünftige Verkäufe nicht vorhersehbar sind, können Bezirke besser den Mitteleinsatz planen und auf das Jahr aufteilen, wenn sie ein zugewiesenes Kontingent haben.
Zudem gibt es keine Vereinbarungen mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften wie viele zusätzliche Wohnungen potentiell durch die WBG zu erwerben sind. Dies führt zu ad hoc Entscheidungen durch die Gesellschaften und macht anfällig für nicht nachvollziehbare Priorisierungen und Blockaden, die sich nicht durch reine Wirtschaftlichkeitsabwägungen erklären lassen. Klare Rahmenvereinbarung zwischen Land und städtischen Wohnungsbaugesellschaften würde dazu führen, dass man sich zu einer gemeinsamen Zielsetzung bekennt bezüglich der zu erwerbenden Einheiten, die sowohl finanziell als auch kapazitiv für beide Seiten umsetzbar ist.
Nicht zuletzt jedoch ist die Höhe des Vorkaufsfonds aktuell eine willkürliche. Seit Beginn der aktuellen Legislatur wird der Vorkaufsfonds nicht strukturell und mit Zielen untersetzt aufgebaut, sondern findet wiederholt erst durch die parlamentarische Beratung eine relevante Aufstockung. Dieses Vorgehen führt zu einer Beliebigkeit und macht anfällig für Schwankungen. Spontane, teilweise überteuerte Käufe sind die Folge. Zielführender ist eine durch Senat formulierte, konkrete Zielsetzung bezüglich der potentiell zu erwerbenden Wohnungsbestände verbunden mit der haushälterischen Absicherung. Diese wird nie den Zweck haben können jeden einzelnen Vorkauf in Milieuschutzgebieten zu ermöglichen, aber einen Rahmen setzen, in dem das Land die Vorkäufe für sich als umsetzbar hält. Damit wird der Vorkauf in einem stärkeren Maße zu einem echten Teil der landesweitern Strategie für mehr öffentlichen Wohnraum und unser SPD-Slogan „Bauen – kaufen – deckeln“ auch beim Schlagwort „Kaufen“ auf sichere Füße gestellt.