Soldaten der Bundeswehr

Berliner Stimme 4|2020: „Wir haben deutlich unterschiedliche Denkansätze“

Sie saß bis zum Oktober 2017 im Deutschen Bundestag, war Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und ist bis heute bekennende Pazifistin. Er gehört seit 2013 dem höchsten deutschen Parlament an, ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. In der Coronakrise treffen Ute Finckh-Krämer und Fritz Felgentreu aufeinander – per Videokonferenz. Das Gespräch soll eine halbe Stunde dauern. Zwei Thesen stehen zur Diskussion. Schnell wird klar: Beide Gesprächspartner trennt an diesem Tag nicht nur die Örtlichkeit.

Das Streitgespräch im Video:

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Das Streitgespräch in Wort und Schrift:

BERLINER STIMME: Ute, an dich geht die erste These zu den Friedensbewegungen. Diese lautet: Nach rechts teilweise offen, marginale Rolle, kaum jüngere Teilnehmerinnen und Teilnehmer – die Liste der Vorwürfe gegen Ostermärsche ist lang. Jüngere demonstrieren heute eher für Klima- und Umweltschutz auf Demonstrationen von „Fridays for Future“. Davor feierten schon strategisch gut konzipierte und konkrete Kampagnen, wie beispielsweise Proteste gegen das Freihandelsabkommen TTIP große Erfolge: Das Handelsabkommen ist auf absehbare Zeit Geschichte. Und die Ostermärsche? „Frieden statt Aufrüstung“ lockt zwar Hunderte, aber nicht mehr Tausende auf die Straße. Haben Verantwortliche der traditionellen Märsche einfach den Moment verpasst die Bewegung zu verjüngen, mit aktuellen Forderungen auszustatten und auch gegen eventuelle neurechte Tendenzen in den eigenen Reihen vorzugehen?

Ute Finckh-Krämer: Wenn man zu Demonstrationen einlädt, kann man nie ganz ausschließen, dass da Leute kommen, die man lieber nicht dabeihätte. Das ist bei jeder Demonstration so. Das war auch bei der großen Klimademo im Juni vergangenen Jahres der Fall. Das kann auch bei Demonstrationen zu ganz anderen Themen passieren.

Richtig ist, ist, dass die klassischen Ostermärsche nicht mehr die Massenveranstaltungen sind, die sie in der Zeit des NATO-Doppelbeschlusses waren. Es stimmt aber auch, dass es eine junge Friedensbewegung gibt, zwar klein, aber mit sehr fachkundigen und originellen Veranstaltungen sowie öffentlichkeitswirksamen Aktionen.

Ute Finckh-KrämerSPD-Parteivorstand/Susie Knoll
Das Thema Frieden im Fokus: Ute Finckh-Krämer saß während ihrer Zeit im Bundestag unter anderem im Ausschuss für Menschenrechte.

Es gab zum Beispiel als der Atomstreit zwischen den USA und Nordkorea hochkochte, eine Menschenkette von der nordkoreanischen bis zur US-amerikanischen Botschaft. Begleitet wurde die Aktion mit kleinen Theaterspielen und eine ganze Reihe an Aktivitäten am Brandenburger Tor, wo mit Masken, selbstgebastelten Pappraketen und Ähnlichem Aufmerksamkeit erzeugt wurde.

Die vielen jungen Menschen, die sich punktuell in die Bewegung einbringen, sind für mich das Entscheidende. Ich denke da an ICAN – die deutsche Sektion der internationalen Kampagne gegen Atomwaffen -, die ja 2017 den Friedensnobelpreis bekommen hat.

Aber auch die Jüngeren, die sich für Friedens- und in Freiwilligendiensten engagieren und ebenso diejenigen, die Friedens- und Konfliktforschung studieren. Insofern sehe ich da eine Verschiebung, nämlich den Wandel der Friedensbewegung von einer Massen- hin zu einer Fachbewegung.

Fritz Felgentreu: Das ist eine sehr gute Beschreibung, unter welchen veränderten Bedingungen die Friedensbewegung heute aktiv ist. Ihre Stärke ist zugleich ihre Schwäche, nämlich ihre lange Tradition. Aus meiner Sicht sind Friedensbewegungen eine relevante Stimme in der friedens- und sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland. Jedoch hat das Thema heute keine Massenbasis mehr wie in den 80er-Jahren.

BERLINER STIMME: Ute, da nochmal eine Frage an dich: Soll die Friedensbewegung wieder eine Massenbewegung werden?

Ute Finckh-Krämer: Also da die Friedensbewegung immer dann eine Bewegung war, wenn die Lage wahrnehmbar bedrohlich war, kann ich mir nur wünschen, dass sie keine Massenbewegung mehr sein muss. Ich wünsche mir eher, dass die Friedensbewegung mehr gehört wird, also in dem Sinne das auch die wahrgenommen werden, die über Prävention von Krisen und Konflikten sprechen.

Da gibt es momentan übrigens eine interessante Parallele zum Umgang mit Covid-19, dass nämlich dann, wenn Präventionsmaßnahmen greifen und es in der Folge Personen gibt, die sagen, alles sei ja nicht so schlimm und fragen, warum die Maßnahmen so streng sind. So ähnlich ist es im Bereich der Friedens- und Konfliktbearbeitung: Da lautet der gängige Vorwurf, dass zu viel Geld in präventive Maßnahmen gesteckt wird, obwohl oft nichts passieren würde.

Fast identisch läuft es in der Friedens- und Konfliktforschung: Da gab es mal in der vergangenen Wahlperiode aus der CDU den Vorwurf, man hätte konkrete Konflikte nicht vorausgesehen. Was dabei jedoch nicht beachtet wurde: Da sind Bedingungen beschrieben worden, die Krisen wahrscheinlicher machen und umgekehrt, was man tun kann, um Konflikte weniger denkbarer zu machen.

Insofern haben die Friedensbewegung und die Friedens- und Konfliktforschung im Augenblick das Problem, dass es keine konkret bedrohliche Lage existiert, was natürlich gut ist. Heute haben wir eine eher diffusere Bedrohung. Die Friedensbewegung ist ungefähr in der Situation wie die Klimademos es vor zwei Jahren gewesen wären, wenn es im Sommer nur geregnet hätte.

Dann wäre die Dringlichkeit des Kampfes gegen den Klimawandel auch nicht annähernd so deutlich geworden. Doch der heiße Sommer kam und mit ihm sind Böden und Bäume vertrocknet. Die Diskrepanz ist immer: Wenn eine Massenbewegung nötig ist, dann ist das Kind schon halb in den Brunnen gefallen. Wenn hingegen eine Fachbewegung erfolgreich ist, dann ist das sehr positiv.

Fritz Felgentreu: Ich möchte da gar nicht unbedingt widersprechen, würde es nur ein wenig ausweiten: Die Zeiten sind weltweit so unsicher geworden, dass es für uns alle besser wäre, wenn wir wieder eine breitere gesellschaftliche Debatte über Friedens- und Sicherheitspolitik hätten. Mir fehlt manchmal das Bewusstsein, dass wir nicht mehr in den relativ stabilen und friedlichen Verhältnissen der Nullerjahre leben.

Sondern die Dinge sind weltweit im Fluss und entwickeln eine Dynamik, welche die Risiken für bewaffnete Auseinandersetzungen vergrößert. Europa kann solche globalen Entwicklungen nicht abgekoppelt betrachten, sondern wir müssen uns damit auseinandersetzen und analysieren, was das konkret für unsere Politik bedeutet.

Fritz FelgentreuSPD Parteivorstand/Susie Knoll
Verteidigung und Sicherheit ist sein Thema – auch außerhalb des Parlaments: Fritz Felgentreu ist Reserveoffizier der Bundeswehr.

Das finde ich ist im öffentlichen Bewusstsein noch wenig angekommen. Da gebe ich Ute recht: Eigentlich ist es gut, wenn Menschen das Gefühl haben, dass die Verhältnisse so sicher sind, dass sie sich als Einzelner nicht unbedingt mit diesem Thema beschäftigen müssen. Doch ich glaube, dass ist nicht die richtige Wahrnehmung, denn die Lage hat sich so verändert, dass es uns allen guttun würde, wenn wir uns mehr mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Da würde ich das Spektrum über die klassischen Themenschwerpunkte der Friedensbewegung hinaus gerne ausweiten. Ute sprach von Expertinnen und Experten für Friedens- und Konfliktforschung in akademischen Einrichtungen. Was wir wirklich gar nicht an deutschen Universitäten haben, ist War Studies, zu deutsch Kriegswissenschaften.

Das wird eben an den Hochschulen nicht untersucht und da sind wir auch kein Teil der akademischen Debatte. Ich denke, es wäre eine gute Sache, wenn sowohl das öffentliche als auch das akademische sowie politische Bewusstsein größer wäre.

Ute Finckh-Krämer: Eine Sache haben wir immerhin: Wir haben in Europa eine große Expertise für Abrüstungs- und Rüstungskontrolle. Durch den Vorstoß des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich zu den Atomwaffen in Büchel ist ein Thema wieder ganz oben auf der Agenda. Wir haben die sogenannte „Deep Cuts Commission“, eine trilaterale Wissenschaftskommission.

Darin sind seit 2013 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Russland, den USA und Deutschland engagiert. Sie diskutieren, wie man Atomwaffenarsenale deutlich reduzieren könnte. Die Stärke dieser Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht darin, dass sie bis heute aktiv sind. Sie haben über den Konflikt in der Ostukraine oder die Übernahme des US-Präsidentenamts durch Donald Trump hinweg weitergearbeitet.

Die Stärke dieser Kommission besteht in der Tatsache, dass deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach wie vor mit ihren russischen und US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt stehen. Die Vorteile dieser Gruppe sollten wir auf jeden Fall nutzen.

BERLINER STIMME: Fritz, an dich geht die zweite These. Eine Studie der Friedensorganisationen „Conciliation Resources“ und „Alliance for Peacebuilding“ untersucht die öffentl iche Meinung zu Friedensförderung, unter anderem in Deutschland. Darin stufen 82 Prozent der Deutschen die Friedensförderung als wichtig ein. Kampfeinsätze der Bundeswehr lehnt ein Großteil hingegen ab. Was die Frage aufwirft: Sollte die Bundeswehr zu Einsätzen ins Ausland überhaupt noch geschickt werden?

Fritz Felgentreu: Diese Frage kann man nicht abstrakt beantworten. Man kann immer nur jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr für sich bewerten. Gerade im Bundestag sind wir doppelt in der Pflicht, weil wir letztendlich darüber entscheiden, ob sich die Bundeswehr an einem Auslandseinsatz beteiligt oder nicht. Ich denke, dass die Grundlage, auf der wir die Entscheidung für eine Teilnahme an einem Auslandseinsatz treffen, auf jeden Fall richtig ist.

Diese lautet nämlich: Wir schicken deutsche Soldatinnen und Soldaten nur im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit zu einem Kampfeinsatz, das heißt wenn entweder ein UN- oder ein EU-Mandat vorliegt. Das ist ein politisch richtiger Impuls, der da von Deutschland ausgeht, denn mit unserem Handeln wollen wir den Multilateralismus und die sicherheitspolitische Kooperation stärken.

Insofern glaube ich, dass wir gute Grundlagen haben, sodass wir uns in einer Krisenlage auch guten Gewissens mit einem Einsatz beteiligen und unsere Entscheidung mit ebenso gutem Gewissen in die Öffentlichkeit tragen können. Das ist aber, wie gesagt, nur der theoretische Rahmen.

Ich bin aus persönlicher Überzeugung Pazifistin.

Ute Finckh-Krämer

Ansonsten ist jeder Auslandseinsatz nur für sich zu betrachten und kann nur daran bemessen werden, ob er zum Zeitpunkt, an dem er begonnen wurde, Sinn hat, die Durchführung zweckmäßig ist und ebenso, ob er überhaupt noch weitergeführt oder nicht schon beendet werden sollte. Das lässt sich aus meiner Sicht jedoch nicht so abstrakt beantworten.

Ute Finckh-Krämer: Ich bin aus persönlicher Überzeugung Pazifistin und habe keinem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt. Das hat mich jedoch nicht davon abgehalten jeden Einsatz individuell zu analysieren und mich dann gegebenenfalls in der Fraktion und in Einzelfällen öffentlich zu äußern.

Ich sehe die Ergebnisse der Umfrage als klares Votum aus der Bevölkerung, dass Deutschland zwar internationale Verantwortung übernehmen soll, aber nicht unbedingt in militärischer Hinsicht. Da ist dann natürlich die Frage, was käme an diese Stelle und das ist ganz klar die Diplomatie. Da hat Frank Walter-Steinmeier im Herbst 2014 etwas Zukunftsweisendes gemacht, nämlich die diplomatische Mediation ins Spiel gebracht.

Das ist ein Streitschlichtungsverfahren, das wir in Deutschland seit 20 Jahren bei Konflikten in der Familie, in der Nachbarschaft oder im Beruf kennen. Das wurde in anderen Ländern als Methode auf die diplomatische Ebene gehoben. Dieses Vorgehen hat Frank Walter-Steinmeier im Auswärtigen Amt etabliert.

In der Praxis sind deutsche Mediatorinnen und Mediatoren mit ihren Teams, in denen verschiedene Kompetenzen zusammenkommen, in über 30 Ländern der der Welt unterwegs. Ich habe das Gefühl, dass das sehr geschätzt wird und dass Deutschland einer der wenigen mittelgroßen Staaten ist, der diese Expertise international bereitstellen kann.

Das Ganze hat jedoch einen kleinen Haken: Man kann in einem Konflikt nicht militärisch beteiligt sein und einer Konfliktpartei nahestehen und gleichzeitig Mediator, Mediatorin sein. In der Mediation ist man gegenüber den Konfliktparteien unparteiisch, jedoch nicht gegenüber dem Ergebnis. Das Resultat muss für alle fair sein und gewisse Grundwerte enthalten.

Diese stehen in der internationalen Gemeinschaft nicht zur Debatte, wie zum Beispiel Menschenrechte. Im Sinne der Parteinahme muss eine Äquidistanz zu den verschiedenen Konfliktparteien da sein. Das ist alles sehr schwierig zu erreichen. Eine Mediation scheint bis zu einem gewissen Grad in Afghanistan gelungen zu sein.

Dort sind inzwischen alle kriegsmüde geworden. Im Irak wurde eine Mediation zunehmend schwieriger. Das konnte ich in meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete noch miterleben. Wo es andererseits weiterhin eine verfahrene Situation gibt ist in Mali.

In Ländern, wo hingegen ein Blauhelmeinsatz mit einer klaren Aufgabe durchgeführt wird und eine Situation vorherrscht, in der nicht mehr aktiv gekämpft wird, wie das beispielsweise beim Konflikt in Liberia der Fall war, da ist eine Mediation völlig unproblematisch. Kurzum, immer dann, wenn eine Mission als gewaltreduzierend und nicht mehr als parteinehmend wahrgenommen wird, käme eine Mediation in Frage.

Da halte ich es mit Matthäus 23, 23: Du sollst das eine tun und das andere nicht lassen.

Fritz Felgentreu

Deshalb habe ich im Hinblick auf die Stärke Deutschlands im Bereich der Mediation zum Teil sehr grundsätzliche Bedenken, wenn es gleichzeitig darum geht, mit deutschen Truppen vor Ort zu sein. Sie können eben nicht ebenso eine gewisse Äquidistanz halten wie diejenigen, die versuchen eine diplomatische Lösung zu finden.

Fritz Felgentreu: Gegen die vielfältige Kompetenz, die Deutschland nicht nur auf dem Feld der Mediation und anderer friedenssichernder Maßnahmen hat, spricht aus meiner Sicht nichts. Das ist in der Tat eine große Stärke, die wir bei jeder Gelegenheit nutzen sollten. Wir sprechen in Bereichen, wo wir uns an militärischen Einsätzen beteiligen, ja auch nicht umsonst immer von der Bedeutung des vernetzten Ansatzes. Also da halte ich es mit Matthäus Kapitel 23 Vers 23, du sollst das eine tun und das andere nicht lassen.

Ich denke man muss sich der Realität stellen. Nämlich, dass es Konflikte gibt, die sich nicht kurzfristig durch Mediation in einen Waffenstillstand überführen lassen. Wir haben einfach die historische Erfahrung gemacht, dass es Krisen gibt, wo man ein Feuer austreten muss und das auch unter Anwendung von Gewalt.

Wenn Deutschland in einer solchen Situation, wo sich eigentlich in einer Analyse alle wohlmeinenden Kräfte einig sind, sagt: „Macht ihr das mal mit der Gewalt, wir machen das mit der Mediation“ – dann verliert Deutschland an Gewicht, weil es so aussehen würde, als wollten wir unseren Partnern die unangenehme Aufgabe überlassen, während wir nur das machen, was Spaß macht.

Das ist etwas, was nicht gut gehen kann. Wir können uns in einer solchen Situation nicht komplett raushalten. Das deutsche Engagement, als sich der IS auf den Vormarsch in das Kurdengebiet im Nordirak befand, ist dafür ein schönes Beispiel.

Es war in dieser Situation richtig, zum einen die Kurden zur Selbstverteidigung zu befähigen, dazu auch, einen Gegenschlag zum IS zu führen, und zum anderen sich gleichzeitig militärisch zu engagieren, in diesem Fall durch eine Ausbildungsmission. Eine Kampfmission hat die Bundeswehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nicht.

Ute Finckh-Krämer: Da will ich gerne nochmal einhaken. Aus meiner Sicht ist es wichtig zu analysieren, welche Folgen ein Bundeswehreinsatz hat. Als nämlich der eigentlich geringfügige Aufwand im Rahmen des IS-Einsatzes in Syrien, Luftüberwachung und -betankung, beschlossen wurde, hatte dies unmittelbare Folgen: Der Handlungsspielraum Deutschlands in einem ohnehin mühsamen Dialogprozess wurde eindeutig eingeschränkt.

Im Auswärtigen Ausschuss haben wir im Nachhinein immer weniger darüber gehört, was die Bundesrepublik in dieser Situation noch leisten kann, weil Deutschland vom Assad-Regime nicht mehr als unparteiisch angesehen wurde. In solchen Konflikten sollte man genau überlegen, ob sich dieser Beitrag, also die paar Tankflugzeuge, überhaupt lohnt.

Gleichermaßen wirft es die Frage auf: Ist es richtig den stärksten Akteur, also Deutschland, aus dem für Basisverhandlungsprozess herauszunehmen? Immerhin ging es dabei um Waffenstillstände, humanitäre Hilfe, Wiederaufbau von Infrastruktur und der Gesellschaft.

Diese mehr als wichtige Aufgabe hat man dann Schweden, der Schweiz und Norwegen überlassen und das bloß, um zu zeigen: Deutschland kann sowohl militärisch aktiv werden als auch am Verhandlungstisch sitzen. Das habe ich damals für grundlegend falsch gehalten und halte es auch jetzt noch für grundlegend falsch.

Das Prinzip „Do no harm“, also dass man nicht durch eigenes Handeln ungeplanten und unbeabsichtigten Schaden anrichtet, ist in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr aus meiner Sicht überhaupt noch nicht etabliert. Da könnte der Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums noch sehr viel von den Kolleginnen und Kollegen des BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Anm. d. Red.) lernen.

Diese nämlich planen ihre weltweiten Aktivitäten und das ist an dieser Stelle auch das Entscheidende. Oder anders gesagt: Wenn man schon davon redet irgendetwas zu vernetzen und voneinander zu lernen, dann ist das genannte Prinzip wichtig. Im Hinblick auf Mali haben wir beide es ja einmal aus der Nähe gesehen. Du Fritz, sicher bei einem Vor-Ort-Besuch und ich durch Gespräche in Berlin.

Es war beklemmend zu sehen, wie sich die malische Regierung darauf verlassen hat militärische Unterstützung zu bekommen. Dabei hatte sie das Problem, das zu der bewaffneten Auseinandersetzung geführt hat, ja selbst herbeigeführt. Es war ja nicht so, dass der Konflikt im Norden des Landes einseitig von den Tuareg geschürt wurde, sondern der hatte auch etwas mit der Ressourcenverteilung im Land zu tun.

Dieser ganze Konflikt hat die Regierung nicht mehr interessiert, denn sie hatten ja jetzt Alliierte auf ihrer Seite. Dadurch ist die Auseinandersetzung immer weiter eskaliert und hat immer größere Teile des Landes erfasst. Da kann man nicht einfach sagen, der Konflikt wäre auch so eskaliert. Man hätte die malische Regierung in die Pflicht nehmen und auf Verhandlungen setzen müssen.

Ebenso hätte man sich in der EU und der NATO einig sein müssen, dass man der Regierung in Mali alle Unterstützung bei Gesprächen mit der anderen Konfliktpartei anbietet. Genauso hätte man beim Aufbau eines Polizeisystems helfen können, das gegen lokale terroristische Gewalt vorgeht.

Können wir bitte auf die Verteilung der Redezeit achten.

Fritz Felgentreu

Denkbar wäre auch der Schutz bestimmter besonders gefährdeter Städte durch stabile polizeiliche, weniger durch militärische Maßnahmen gewesen. Dann wäre aus meiner Sicht die Chance auf einen Kompromiss im Land größer gewesen. An dieser Stelle hatten die Tuareg das Gefühl, dass die malische Regierung einfach mal die Franzosen zu Hilfe holt.

Im Gegenzug haben sie sich Verbündete gesucht, die bereit waren zu helfen und das waren leider Gruppen, die terroristisches Potenzial in das Land gebracht haben, das wir eigentlich in dieser Region nicht haben wollten. Und da ist dann ein weiterer Punkt, der noch nicht vollends ausdiskutiert ist …

Fritz Felgentreu (lächelt in die Kamera, hebt die Hände): Können wir bitte auf die Verteilung der Redezeit achten.

Ute Finckh-Krämer (lächelt): Nur noch ganz kurz. Wir müssen unseren Verbündeten, also den Briten, den Franzosen, den US-Amerikanern, bei bestimmten Strategien, die sie verfolgen, klar sagen, dass aus unserer Sicht falsch ist, was sie da versuchen.

Fritz Felgentreu: Um die Situation in Mali im Detail zu analysieren, fehlt uns glaube ich die Zeit. Auf eine Sache möchte ich jedoch gerne hinweisen: Das MINUSMA-Mandat für die Mission in Mali ist ja ein Mandat der Vereinten Nationen. In dieser Situation geht es uns eben nicht darum europäische Machtpolitik zu betreiben, sondern die Autorität der UN in diesem Teil der Welt als eine friedenssichernde Kraft zu stärken.

Das darf als Aspekt nicht vergessen werden. Was den Counter-Daesh-Einsatz (gemeint ist der Bundeswehreinsatz in Syrien, Anm. d. Red.) angeht, möchte ich nur darauf hinweisen, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat einen eigenen Beitrag zu leisten. Schon aus der Tatsache heraus, nach dem begonnenen Genozid an den Jesidinnen und Jesiden einen Völkermord an den Kurden im Nordirak zu verhindern.

Das wäre ohne eine Gewaltanwendung in dieser Kriegssituation nicht möglich gewesen. Manchmal ist das so, das strebt niemand an. Doch wenn die Situation sich so darstellt, wie sie ist, dann muss man auch ehrlich damit umgehen, die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen und demgemäß handeln. Genau das haben wir in diesem Fall getan und das war richtig.

Ute Finckh-Krämer: Ich denke wir haben deutlich gemacht, dass wir unterschiedliche Denkansätze haben. Wir hoffen, dass bei denen, die es lesen oder ansehen, deutlich wird, dass es sehr unterschiedliche Perspektiven bei der Außen- und Friedenspolitik sowie bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gibt. Ich vertraue darauf, dass das zur Diskussion in der Partei Willy Brandts beitragen wird.

Fritz Felgentreu: Partei Willy Brandts ist ein wunderbares Stichwort. Eine Voraussetzung für die Ostpolitik Anfang der 70er-Jahre, also genau in der Kanzlerschaft Willy Brandts, war eine Position der Stärke. Mit dieser Voraussetzung ging man nicht nur auf die Sowjetunion, sondern auch auf Länder wie Polen und die DDR zu.

In der Regierungszeit von Willy Brandt von 1970 bis 1974 stieg unter den Verteidigungsministern Helmut Schmidt und Georg Leber der Anteil am Bruttosozialprodukt, der für Rüstung beziehungsweise Verteidigung ausgegeben wurde, von 3,1 auf 3,6 Prozent. Von diesen Zahlen sind wir heute zum Glück weit entfernt und da will keiner wieder hin.

Doch es zeigt eben auch, dass Willy Brandt vollkommen klar war, dass man mit Russland am besten aus einer Position der Stärke heraus verhandelt, und das war erfolgreich.

Ute Finckh-Krämer: Ich habe jetzt nicht parat, wie stark der Verteidigungsetat der DDR in dieser Zeit gestiegen ist. Doch ich glaube mich zu erinnern, dass eine massive Aufrüstung auf beiden Seiten betrieben wurde. Doch für mich ist etwas anderes entscheidend: Was wir bis heute von der Ostpolitik Willy Brandts lernen können ist, dass er 1969 in seiner berühmten Regierungserklärung die Entspannungspolitik angekündigt hat, und das, nachdem ein Jahr zuvor sowjetische Truppen in Prag einmarschierten.

Das war eine ganz massive Aggression beziehungsweise Gefahrensituation, die durch die Sowjetunion hervorgerufen wurde. Was wir als Grundidee für die Entspannungs- und Ostpolitik mitnehmen können sind zwei Dinge. Das eine ist, wenn die Situation bedrohlicher wird, wenn die Anzahl der Unruheherde auf der Welt wächst, dann sollte man erst recht auf die anderen Seiten zugehen.

Fritz Felgentreu: Genau.

Ute Finckh-Krämer: Das hilft gemeinsame Interessen zu finden, um so die Gefahr zu reduzieren. Das zweite und das hat Willy Brandt zusammen mit Egon Bahr immerzu geschafft, ist, den Grund dafür zu finden, warum eine Seite so handelt, wie sie handelt. Das ist eine Sache, die ich bei manchen Außenpolitikerinnen und Außenpolitikern weltweit vermisse und was wir als Deutsche auch einbringen können – nicht nur beim Umgang mit Russland.

Sicher, einerseits muss man analysieren, warum machen die etwas und andererseits, warum halten wir das für falsch. Das ist so ganz grob meine Strategie gewesen. Diesen Denkprozess muss man einmal wagen, bevor man urteilt und schließlich agiert.

Fritz Felgentreu: Das gilt übrigens auch im Umgang mit unseren eigenen Verbündeten, wie zum Beispiel den USA. Also in dieser Sache sind wir uns absolut einig.

BERLINER STIMME: Eine letzte Sache noch und hierfür bitte ich euch einmal folgenden Satz in euren eigenen Worten zu beenden: „Frieden ist … .“

Fritz Felgentreu: Frieden ist ein dauerhafter Zustand eines stabilen Interessenausgleichs.

Ute Finckh-Krämer: Frieden ist ein Prozess zu weniger Gewalt, weniger Not und weniger Ungerechtigkeit.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN