Landesvorstand: Kein Unterlaufen der Tariftreue bei Flüchtlingsunterkünften!

Beschluss des SPD-Landesvorstands vom 12.2.2024:

Die Berliner SPD fordert die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und im Abgeordnetenhaus auf, für Verwaltungen und landeseigene Unternehmen zu Ausschreibungen und Vergaben von Flüchtlingsunterkünften Regelungen zu schaffen, die dem Unterlaufen von Tarifverträgen bei den Unterkunftsbetreiber:innen vorbeugen.

Insbesondere ist auszuschließen, dass tarifgebundene Unternehmen mit lediglich mindestlohngebundenen Unternehmen einen Preiswettbewerb bei den Personalkosten führen. Aufgrund der steigenden Bedeutung der menschenwürdigen und fachgerechten Unterbringung von Geflüchteten werden dann Betreiber :innen mit besser bezahlter Tarifbeschäftigung benachteiligt, so dass den Absenkungen bei der Betreuungsqualität bei den Geflüchteten, der Entwertung von Arbeit in sozialen Berufen und zugleich Tariffluchtsignalen an die Branche vorzubeugen ist.

Durch Korrekturen bei Ausschreibungen und Vergaben, durch Inanspruchnahme der zentralen Kontrollgruppe des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes ferner durch entsprechende Schulung der Mitarbeitenden in den Vergabestellen ist die Vermeidung der Ungleichbehandlung aufgrund tarifbezogener Personalentlohnung sicherzustellen.

Die anstehende Evaluation des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes soll für die o.g. Korrekturen zum Anlass genommen werden.

Begründung:

Die seit 1. Dezember 2022 geltende Tariftreueverpflichtung im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) gibt öffentlichen Auftraggebern die Wahl zwischen Auftragnehmer:innen, die ihren Beschäftigten wenigstens das gesetzliche Mindestentgelt nach dem Mindestlohngesetz zahlen, und Auftragnehmer:innen, die ihre Beschäftigten nach allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag entlohnen. Die Aufgaben beim Betrieb von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sind vorrangig soziale Leistungen für Geflüchtete wie Beratung, Information und Betreuung, Unterstützung bei der Regelung des Zusammenlebens, Konfliktbewältigung, Beschäftigungs- und Freizeitgestaltung. Für Bedarfsgruppen wie Familien, Frauen, Kinder und LSBTIQ ist dies besonders wichtig. Das Personal für jene sozialen Aufgaben setzt sich zusammen aus Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Sozial- und Kinderbetreuenden. Der Betrieb von Unterkünften mit solch umfassender sozialer Betreuung aber auch weitere Aufgaben, Facility Management, Ehrenamtskoordination, Verwaltung, verlangen einen hohen Personalanteil.

Betreiber:innen mit Tarifverträgen entohnen Beschäftigte in der Regel besser. Dazu zählen insbesondere Sozial- und Wohlfahrtsverbände, karitative und diakonische Träger:innen. Die Tarifbindung sorgt für höhere Beschäftigungskontinuität und damit auch zu höherer Qualität, um ein menschenwürdiges und fachgerecht betreutes Leben in den Einrichtungen zu gewährleisten. Mit tariflicher Bezahlung wird zugleich die Attraktivität von Arbeit gerade in sozialen Berufen gestärkt und mit Wertschätzung verbunden. Bei einem Preiswettbewerb – der vor allem über die Löhne geführt wird – sind tarifgebundene Unternehmen gegenüber Tarifungebundenen im Nachteil. Bei den wirtschaftlich notwendigen mehrjährigen Laufzeiten sind bei tarifgebundenen Arbeitgeber:innen zudem Tarifanpassungen zu berücksichtigen. Beim Preiswettbewerb verschärft sich deren Nachteil gegenüber tariflosen Konkurrenten ohne vergleichbaren Lohnanpassungsdruck.

Die faktische Benachteiligung tarifgebundener höher bezahlenden Unternehmen gegenüber tarifungebundenen Wettbewerbern begünstigen Tarifflucht und Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Das ist ein falsches Signal an öffentliche Auftragnehmer:innen und widerspricht dem zuletzt im Berliner CDU-SPD-Koalitionsvertrag verankerten Festhalten an der Tariftreue im BerlAVG.

Die Vermeidung der beschriebenen Ungleichbehandlung verlangt Bewertungs- bzw. Verfahrenskorrekturen bei Ausschreibungen und Vergaben für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. Die öffentlichen Auftraggeber im Land Berlin haben bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen das BerlAVG zu beachten und nach Auftragserfüllung zu überprüfen, ob dessen vertraglich vereinbarte Bestimmungen (z.B. Tarif- oder Mindestlöhne, Frauenförderung, ILO Kernarbeitsnormen) bei der Ausführung des Auftrags eingehalten wurden. Die zentrale Kontrollgruppe unterstützt sie bei der Beachtung des BerlAVG und Überprüfung vertraglicher Bestimmungen. Sie kontrolliert vorgabegemäß 5 Prozent der öffentlichen Aufträge Berlins. Die Maßnahmen dürften auch Schulungsbedarf bei den Mitarbeitenden in den Vergabestellen zur Folge haben. Für das BerlAVG steht koalitionsvereinbarungsgemäß 2024 ohnehin eine Evaluation an.