Frauen gegen SexismusAdobe Stock/Feodora

Berliner Stimme 2|2020: „Unsere Gesellschaft diskriminiert Frauen nach wie vor“

Nenad Čupić leitet Workshops für Männer und geht dabei der Frage nach, warum gerade Sexismus kein Thema ist, das nur Frauen betrifft. Dabei sprechen die Teilnehmer auchüber ihre eigene Männlichkeit und sind nicht selten überrascht, wie sie mit ihrem sexistischen Verhalten Frauen benachteiligen – auch unbeabsichtigt.

BERLINER STIMME: Sie geben Workshops zum Thema Sexismus – und das für Männer. Warum?

Nenad Čupić: Ich möchte in einer Welt leben, die frei ist von Sexismus, die geprägt ist von Gerechtigkeit und Respekt sowie einer Achtung der Würde und Rechte aller Menschen. Solange Sexismus existiert, kann kein Mensch behaupten, Sexismus würde ihn nicht betreffen, weil Sexismus ein totales gesellschaftliches System, ein (strukturelles) Unterdrückungsverhältnis ist. Sexismus betrifft alle Menschen, also auch Männer.

Sexistisches Verhalten wird von Männern immer wieder – häufig unbewusst und ungewollt – (re)produziert.

Wenn wir uns als Männer nicht aktiv gegen Sexismus engagieren, dann stabilisieren wir ihn, wir tragen zu seiner Erhaltung und Fortführung bei. Wenn ich hier übrigens von Männern spreche, sind Cis-Männer gemeint, was bedeutet, dass das bei der Geburt zugewiesene (männliche) Geschlecht und Gender der Geschlechtsidentität (als Mann) entspricht.

Können Männer Ihrer Meinung nach auch unbeabsichtigt sexistisch gegenüber Frauen sein? Wenn ja, können Sie uns ein Beispiel geben?

Ja, denn Sexismus hat keine diskriminierende Absicht zur Voraussetzung, das heißt ein Mann kann sich sexistisch verhalten, obwohl er es gar nicht möchte. Sexistisches Verhalten wird von Männern immer wieder – häufig unbewusst und ungewollt – (re)produziert. Aber auch unbeabsichtigtes sexistisches Verhalten ist sexistisch und als solches zu erkennen, zu benennen und zu verlernen. Sexismus ist alltäglich, er hat Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln.

Was die verbale Kommunikation betrifft, gibt es folgende Beispiele: Männer behaupten häufig einfach etwas und stellen die Behauptung als Tatsache dar. Männer unterbrechen Frauen, fallen ihnen ins Wort, lassen sie nicht ausreden oder brechen häufiger das Gespräch ab und geben sich wenig Mühe, Frauen bei ihren Äußerungen zu unterstützen oder zu ermutigen.

Männer berühren Frauen häufig ungefragt.

Männer bestimmen in sehr viel größerem Umfang, wovon das Gespräch handelt. Männer finden es viel selbstverständlicher, dass ihnen zugehört wird. Was die Körpersprache und das Verhalten im (öffentlichen) Raum angeht, so machen sich viele Männer breit, sie sitzen oft breitbeinig da, was im öffentlichen Nahverkehr in der österreichischen Hauptstadt Wien übrigens verboten ist. Männer verletzen viel häufiger den Persönlichkeitsraum von Frauen, als umgekehrt. Männer berühren Frauen häufig ungefragt.

Wie ist Ihr Workshop aufgebaut? Wie gelangen die Teilnehmer zu der Erkenntnis, dass Ihr Verhalten im Alltag eventuell sexistisch sein könnte?

Wir gehen im Workshop der Frage nach, was es heißt als Mann sozialisiert zu sein. Wer oder was macht uns zum Mann? Und wie? Es geht also um die geschlechts- und genderspezifische Sozialisation. Wie haben sich herrschende, patriarchale Normen von Männlichkeit in unser Denken, Handeln und Fühlen eingeschrieben?

Viele Teilnehmer wollen das eigene unterschwellige sexistische Verhalten aufdecken und reflektieren.

Welche Privilegien bringt es mit sich, ein Mann zu sein? Nachdem wir untersucht haben, welche Rollenangebote es für Männer gibt, überlegen wir, wie alternative Formen von Männlichkeit aussehen könnten.

Wenn Sie Männern in Ihrem Workshop erzählen, welche alltäglichen Situationen sexistisch sein können: Wie reagieren die Teilnehmer? Sind die Männer dann überrascht?

Bislang zeigten sich alle Männer sehr offen, ihre (patriarchale) Männlichkeit und die gesellschaftlich dominanten Männerrollen in Frage zu stellen. Sie sind daran interessiert, sich selbstkritisch mit ihren männlichen Privilegien zu beschäftigen.

Viele Teilnehmer wollen das eigene unterschwellige sexistische Verhalten aufdecken und reflektieren, um sexismuskritisches Verhalten zu erlernen. Nicht selten sind sie überrascht, wenn sie erkennen, über wie viele Privilegien sie als Männer verfügen, wie sie mit ihrem sexistischen Verhalten Frauen verletzen oder die Sexismuserfahrungen von Frauen nicht ernst nehmen.

Es sind also insbesondere Männer aufgefordert, den Sexismus in unserer Gesellschaft abzubauen.

Sind Frauen und Männer in Ihren Augen gleichberechtigt oder haben wir als Gesellschaft noch einen (langen) Weg vor uns?

Unsere Gesellschaft benachteiligt und diskriminiert Frauen nach wie vor. Es gibt eine massive Überrepräsentation von Männern und Unterrepräsentation von Frauen in wichtigen Entscheidungs-und Führungspositionen. In allen Bereichen der Gesellschaft, zum Beispiel in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kulturbetrieb, Verwaltung sind machtvolle und wichtige Stellen meist mit weißen Männern aus der Mittel- und Oberschicht besetzt.

Sexismus schadet auch Männern, denn sie leiden ebenfalls unter den rigiden sozialen Geschlechterrollen, die sie in bestimmte Verhaltensmuster pressen.

Der Gender Pay Gap, also die Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern, ist nach wie vor Fakt, was bedeutet, dass gleiche Arbeit aufgrund des (sozialen) Geschlechts nicht gleich bezahlt wird. Hinzu kommt, dass die Haus-, Erziehungs- und Sorgearbeit, welche hauptsächlich von Frauen verrichtet wird, (monetär) nicht (ausreichend) wertgeschätzt wird.

Auch sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist immer noch ein Problem. Es sind also insbesondere Männer aufgefordert, den Sexismus in unserer Gesellschaft abzubauen und sich selbst dadurch mitzubefreien.

Mutproben, Trinkspiele, keine Schwäche zeigen: Belastet das, was heutzutage als typisch männlich gilt, Männer in der heutigen Gesellschaft?

Sexismus schadet auch Männern, denn sie leiden ebenfalls unter den rigiden sozialen Geschlechterrollen, die sie in bestimmte Verhaltensmuster pressen. Herrschende Männlichkeitsideale schädigen Männer auf körperlicher und psychischer Ebene. Männer sind beispielsweise in einigen Berufen auf Grund der harten körperlichen Arbeit schon vor dem Erreichen des Pensions- oder Rentenalters körperlich verschlissen.

Außerdem entmenschlicht jeder Mann auch sich selbst, wenn er eine andere Frau entmenschlicht und diskriminiert.

Männer bekommen vom Rauchen häufiger Lungenkrebs und sind häufiger Alkoholiker. Der Druck, Leistung zu erbringen sowie stark und erfolgreich zu sein, geht häufig mit der Unfähigkeit einher, andere Gefühle als Wut zu äußern. Insgesamt sprechen Männer seltener über ihre Gefühle, Unsicherheiten, Schwächen und (privaten) Probleme. Außerdem entmenschlicht jeder Mann auch sich selbst, wenn er eine andere Frau entmenschlicht und diskriminiert.

Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Diskriminierungskritik und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Er hat Theaterwissenschaft, Psychologie und Pädagogik studiert und war Lehrbeauftragter an verschiedenen deutschen Universitäten.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN