Mit Osteuropa und Russland im Gespräch bleiben

Literarische und politische Brückenschläge in der Akademie der Künste und im Fachausschuss Internationale Politik der SPD Berlin

Peter Lehrmann, stv. Vorsitzender des Fachausschusses

Am 9. April 2017 wäre der im ostpreußischen Tilsit, dem heutigen Sowetsk, geborene Lyriker und Erzähler Johannes Bobrowski 100 Jahre alt geworden. Der europäische Osten zwischen Weichsel und Ural, Ostsee und Schwarzem Meer, den er in Anlehnung an ein antikes Reitervolk „Sarmatien“ nannte, war bis zu seinem frühen Tod am 2.9.1965 das ihn bestimmende Thema.

Leben und Werk des Dichters wurden in den Tagen vor und nach seinem Geburtstag vielfach gewürdigt. Wichtige Werke Bobrowskis wurden neu aufgelegt: der Roman „Levins Mühle“, der Erzählband „Mäusefest“ und die „Gesammelten Gedichte“. Erstmals erschienen die Briefe Bobrowskis: vier umfangreiche Bände, ausführlich und kompetent kommentiert von dem Germanisten Jochen Meyer.

DAS WERK JOHANNES BOBROWSKIS ALS MITTEL DER VERSTÄNDIGUNG ZWISCHEN OST UND WEST

Bobrowski wuchs unter Deutschen, Litauern, Polen, Russen und Juden beiderseits der Memel auf, in Ostpreußen und Litauen. Im 2. Weltkrieg erlebt er als (mitwirkender) Soldat die Zerstörung seiner multi-ethnischen Heimat. Von 1945 bis 1949 ist er in russischer Kriegsgefangenschaft. Schon während des Krieges beginnt er zu schreiben. Er will die untergegangene osteuropäische Kultur im Wort retten und mit seinem Werk beitragen „zur Tilgung einer unübersehbaren historischen Schuld meines Volkes, begangen eben an den Völkern des Osten.“

Wenn er Bobrowski heute lese, sagte Durs Grünbein in der Akademie der Künste am 5. April 2017, trete aus den Zeilen noch immer die „Gestalt des reumütigen Landser“ hervor, der „die verlorene Landschaft, die verlorene Heimat beschwöre“, um in der Heimatlosigkeit der erlebten Gegenwart leben zu können. Adam Zagajewski ergänzte, dass Bobrowski dabei das Geheimnis der Landschaft und der Menschen bewahren und Haus und Heimat nicht bauen, sondern suchen wolle.

Anschließend an das Gespräch der Dichter verband der Filmmacher Volker Koepp in seinem Film „Wiederkehr“ frühere filmische Annäherungen an das Werk und die Landschaft Bobrowskis mit aktuellen Bildern und Gesprächen aus dem Gebiet Kaliningrad und dem litauischen Memelland. Volker Koepp hat seit Anfang der 70er Jahre, Bobrowski im Handgepäck, „Sarmatien“ bereist, die Schönheit der Landschaft ins Bild gesetzt, das Gespräch mit den Bewohnern gesucht, Vertrauen gefunden und ein überregionales Freundschaftsnetz gestiftet. Die Menschen in Kaliningrad und im litauischen Memelland können mit Bobrowski die Natur und die multi-ethnische Vorgeschichte ihrer Region kennenlernen. Die Menschen im heutigen „Sarmatien“ gewahren freilich auch die Wiederkehr von Grenzen und Spannungen.

Die Memel verbindet nicht mehr ihre Ufer, sondern trennt Russland und Litauen, Russland und die Europäische Union. Immerhin, Hoffnung stiftend, wurde beiderseits der Memel der 100. Geburtstag von Johannes Bobrowski gefeiert, am 4. April im Stadtmuseum von Sowetsk (Russland) und am 9. April in der Johannes-Bobrowski-Schule in Vilkyškiai (Litauen). In Vilkyškiai, früher Willkischken, verbrachte Johannes Bobrowski in den 1920er und 1930er Jahren viele Sommertage bei einer Tante. Heute befindet sich in Vilkyškiai das berühmte Arbeitszimmer des Dichters, für dessen Verbleib in Berlin 2012 weder das Land Berlin noch der Bezirk Köpenick bereit waren, Haushaltsmittel aufzuwenden. Das Arbeitszimmer ist nun dort, wo es in einem kleinen Museum Heimat fand.

CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN IM DIALOG MIT DEM HEUTIGEN RUSSLAND

Das Podium, das der Fachschuss Internationale Politik der SPD Berlin am 30.3.2017 im Haus der Russischen Wissenschaft zusammengebracht hatte, war sich darin einig, dass der deutsch-russische Dialog schwierig und notwendig sei, um die Spannungen nicht weiter eskalieren lassen. Martin Hoffmann, Sprecher für das Deutsch-Russische Forum und die Petersburger Gespräche, konstatierte die Existenz von zwei parallelen, sich einander ausschließende politischen Wahrheiten bzw. Erzählungen. Man brauche Verständigung über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen, müsse die unterschiedlichen Lesarten zur (völkerrechtswidrigen) Annexion der Krim, die russische Präsenz in der Ost-Ukraine und die Anwesenheit von NATO-Truppen in den baltischen Staaten – vorübergehend – ausklammern, um im Gespräch zu bleiben.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Franz Thönnes stellte heraus, dass weder Deutschland noch die EU noch Russland ein Interesse an der Verschlechterung der Beziehungen haben könnten. Besonders gelte dies aber für Russland. Russland habe große wirtschaftliche und ökologische Probleme, es beziehe 60 % der Staatseinkommen aus dem Verkauf von Öl und Gas, wickle 50 % des Außenhandels mit der EU ab, verfüge über kein funktionierendes demokratisches Kontrollsystem. Er räumte die Existenz von Falken in der NATO ein, forderte Nato und Russland auf, keine weiteren militärischen  Muskelspiele zu betreiben. In den von Martin Hoffmann angesprochenen zivilgesellschaftlichen Institutionen miteinander zu reden, sei wichtig, der Dialog zwischen Deutschland und Russland müsse aber auch konkrete Ergebnisse bringen. Als mögliche Handlungsfelder nannte er die 900 Hochschul-, die 100 Städte- und 100 Schulpartnerschaften, die es gäbe, den Ostsee-Rat und den Nato-Russland-Rat. Dringend notwendig sei eine europäische Sicherheitsstruktur, die von selbstbestimmten Staaten getragen würde und in der die großen Staaten nicht über die Köpfe der kleinen hinweg agierten.

Denis Mikerin, der Pressesekretär der russischen Botschaft in Berlin, bestätigte die von Martin Hoffmann angesprochenen unterschiedlichen Wahrheiten, nannte es aber auch unabdingbar, im Dialog zu bleiben. Höchste Priorität habe die Verhinderung eines militärischen Konflikts. Ein schlechter Friede (wie z. B. das Minsker Abkommen) sei besser als Krieg. Russland habe 2009 Vorschläge für eine europäische Sicherheitsstruktur gemacht, auf die EU nicht eingegangen sei. Russland wünsche sich eine einige EU als Verhandlungspartner. Wie schwierig eine Politik der kleinen Schritte sein kann, zeigte sich bei der der von beiden Seiten gewünschten parlamentarischen Zusammenarbeit. Denis Mikerin beklagte die Sanktionslisten für russische Abgeordnete. Man könne, hakte Franz Thönnes ein, die Zusammenarbeit zunächst mit unbelasteten Parlamentariern unter 35 Jahren beginnen.

Dimitri Geidel, SPD-Bundestagskandidat für Marzahn-Hellersdorf, betonte, wenn niemand Krieg wolle, solle auch niemand damit drohen. Man sollte vielmehr die zivilgesellschaftlichen Verbindungen, die es zwischen Berlin und Russland gäbe, fördern. In Marzahn-Hellersdorf lebten 25 000 bis 30 000 Menschen mit Wurzeln in der Sowjetunion bzw. Russland, die Kontakte zu Verwandten hielten, geschäftliche Verbindungen aufgebaut hätten und beim Schüleraustausch zwischen Berlin und Russland unterstützend mitwirkten.

Wenn Dimitri Geidel für Visa-Erleichterungen und den Ausbau von Erasmus-Programmen plädiert, so würde das auch im Sinne Bobrowskis sein, dem kleinen Grenzverkehr zwischen der russischen Enklave Kaliningrad, Litauen und Polen sowie allen Völkern Europas helfen.