Beschluss des SPD-Landesvorstands:
Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Wir sind überzeugt: Wenn wir diese Herausforderungen in Europa gemeinsam angehen, kann die Europäische Union gestärkt aus dieser Krise hervorgehen!
Am 9. April konnten sich die Finanzminister der Euro-Gruppe nach langwierigen Verhandlungen auf drei kurzfristig umzusetzende Maßnahmen einigen: die von der EU-Kommission vorgeschlagene befristete Arbeitslosenrückversicherung SURE (insbesondere zur Finanzierung eines europäischen Kurzarbeitergeldes), einen Garantiefonds bei der Europäischen Investitionsbank für kleine und mittelständische Unternehmen, der auf insgesamt 200 Milliarden Euro aufgestockt wurde, sowie eine Kreditlinie beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die Hilfsgelder bis zu 2 % des BIP eines Landes zur Finanzierung von direkten und indirekten Gesundheitskosten bereitstellt. Die ersten beiden Maßnahmen stellen einen ersten Schritt zu einer wahrhaft europäischen Antwort auf die Corona-Krise dar. Etwas anders sieht es beim zwischenstaatlichen ESM aus, der als „Rettungsschirm“ für einzelne in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Länder gedacht ist. Auch wenn jegliche Bedingung für die Inanspruchnahme der Hilfsgelder außer die ihrer Verwendung ausnahmsweise und eigentlich gegen den Zweck des Fonds ausgeschlossen werden soll, verbleibt die Befürchtung eines Stigmas für die Länder, die die Hilfeleistung beantragen würden. So wird der Fonds für Zwecke eingesetzt, die ihm fremd sind. Außerdem erscheint die auf Gesundheitskosten beschränkte Verwendung der Gelder eine sehr enge Limitierung bezüglich des vielfältigen Bedarfs, der durch die Pandemie entsteht.
Angesichts des Ausmaßes dieser Pandemie und des noch zu erwartenden wirtschaftlichen Einbruchs erscheint die erzielte Einigung jedoch vollkommen unzureichend. Die Maßnahmen insgesamt entsprechen mit 500 Milliarden Euro nicht einmal 4 % der Wirtschaftsleistung der EU. Der Bund stellt allein für Deutschland einen „Schutzschild“ jenseits der Billionengrenze zur Verfügung. Die Hauptlast der Krise muss also weiterhin von den einzelnen Nationalstaaten getragen werden. Jedoch ist der finanzielle Spielraum mancher EU-Staaten aufgrund ihrer Schuldenlast sehr eng und auch „Hilfsgelder“ in zweistelliger Milliardenhöhe werden hier nicht ausreichen. Sollten aber einzelne Euro-Staaten ins Wanken geraten, dann betrifft das die Stabilität der gesamten Eurozone und des Euro als Währung insgesamt. Und reißt diese Krise auch nur ein größeres Land wirtschaftlich in den Abgrund, so ist die gesamte EU gefährdet – insbesondere die deutsche Wirtschaft, deren Exporte zu etwa 60% in andere EU-Staaten gehen.
Die Corona-Pandemie stellt für die EU insgesamt eine nie dagewesene Bewährungsprobe dar, deren Bewältigung nicht wieder der EZB überlassen werden darf! Es geht auch nicht darum, einzelnen Staaten zu „helfen“, zumal solche als „Hilfe“ gemeinte Kredite – etwa durch den ESM – diese Staaten an den Finanzmärkten gleich als „Krisenstaaten“ stigmatisieren. Der Grund für diese Krise liegt jedoch nicht in einzelnen Ländern, sondern in einem Virus, das sich auf dem gesamten Globus ausgebreitet hat. Wir stehen alle vor einer gemeinsamen Herausforderung! Nur wenn wir diese auch europäisch angehen, kann die Europäische Union an dieser Krise wachsen!
Der von den Finanzministern der Euro-Gruppe – als eine vierte, weitergehende Maßnahme – in Aussicht gestellte „Recovery Fund“ zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung ist daher wohl das wichtigste Signal, das vom gestrigen Abend ausgeht. Wir brauchen in Europa ein gemeinsames Programm zur wirtschaftlichen Stabilisierung nach Corona, und zwar für alle EU-Staaten! Leider besteht jedoch sowohl über das Gesamtvolumen des Fonds als auch über dessen Finanzierung nach wie vor keine Einigkeit unter den nationalen Regierungen. Dabei kommt es gerade in dieser Phase der Krise darauf an, ein Programm mit einem ausreichenden Volumen aufzulegen, um nicht im Nachhinein die in der Krise durch unzureichende Hilfeleistung verursachten Schäden durch viel höhere Summen wieder ausgleichen zu müssen.
Wir fordern daher die deutsche Bundesregierung auf, aktiv an der Umsetzung des von Frankreich vorgeschlagenen Fonds zum wirtschaftlichen Wiederaufbau mitzuwirken! Die Ausgestaltung des „Recovery Fund“ soll sich dabei nach den folgenden Kriterien richten:
- Er soll als befristeter gemeinschaftlicher Fonds der EU gegründet und vom Europäischen Parlament kontrolliert werden.
- Neben dem von allen EU-Staaten eingezahlten Kapital speist sich der Fonds aus gemeinsamen europäischen Anleihen mit langer Laufzeit, die von einer EU- Gemeinschaftsinstitution ausgegeben werden.
- Die an die einzelnen Staaten (proportional zur Bevölkerungszahl) ausgezahlten Gelder sind nicht auf die jeweilige nationale Staatsverschuldung anzurechnen.
- Das Gesamtvolumen des Fonds soll bei etwa einer Billion Euro liegen – auch damit ein wirkliches Signal von europäischem Zusammenhalt an die Märkte ausgehen kann.
- Der Fonds soll Kriterien der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigen und einen Beitrag zur Umsetzung des Europäischen Green Deal leisten.
Die Verhandlungen zur Einrichtung dieses Fonds müssen unverzüglich beginnen. Die Fehler in der sogenannten Eurokrise dürfen sich nicht wiederholen. Wer heute zögert, setzt die Zukunft Europas aufs Spiel, zumal die Erholung der Wirtschaft nach der Krise insbesondere vom Überleben der Unternehmen und dieses von ihrer rechtzeitigen finanziellen Rettung entscheidend abhängt! Der bislang ideologisch geführte Streit über gemeinsame europäische Anleihen muss endlich beigelegt werden. Auch die Angst vor zu hohen Zinsen ist unbegründet! Da die gesamte volkswirtschaftliche Kraft der EU hinter gemeinsamen Euro- Anleihen steht, werden diese im Gegenteil zu einer attraktiven Anlagemöglichkeit und daher Kapital nach Europa locken. Auch die deutsche Wirtschaft hätte dadurch neue Finanzierungsmöglichkeiten; die Abhängigkeit vom Dollar könnte verringert und der Euro zu einer richtigen Reservewährung aufgewertet werden.
Es sollte schließlich auch überlegt werden, ob das gemeinsame Instrument eines Recovery Funds zur Unterstützung dritter Länder – wie z.B. afrikanischer Staaten – sinnvoll im Namen der Solidarität genutzt werden könnte.
Wir fordern unsere SPD-Minister*innen und alle unsere Entscheidungsträger*innen in der Bundesregierung dazu auf, ihren Einfluss zu nutzen, um eine wahrhaft europäische Antwort auf diese Pandemie zu ermöglichen. Lasst uns die Chancen dieser Krise nutzen und einen mutigen Schritt zu einer tieferen europäischen Integration wagen!
Die Pressemitteilung zum Beschluss finden Sie hier.