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Berliner Stimme 2|2020: „Berlin ist in Sachen Gleichstellung spitze“

Gleichstellung im Beruf, Null-Toleranz-Politik bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen: Das Land Berlin hat laut Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci schon viel erreicht. Was ihr noch fehlt, erklärt sie im Interview.

BERLINER STIMME: Liebe Dilek, wie ist das Land Berlin im Hinblick auf die Gleichstellung von Frau und Mann Deiner Meinung nach aufgestellt?

Dilek Kalayci: Berlin ist in Sachen Gleichstellung in vielen Punkten bundesweit spitze. Wir haben uns beispielsweise mit dem Landesgleichstellungs- gesetz (LGG) verpflichtet, den in Verwaltung und Unternehmen des Landes beschäftigten Frauen gleiche berufliche Chancen zu sichern. Und die Zahlen zeigen, dass das wirkt.

Bei Inkrafttreten des LGG 1991 waren erst 33 Prozent der Beschäftigten im höheren Dienst Frauen. Jetzt liegt ihr Anteil seit einigen Jahren bei 60 Prozent. Ein sehr positiver Trend ist auch beim Frauenanteil in Führungspositionen im öffentlichen Dienst des Landes zu verzeichnen. In den obersten Landesbehörden können wir einen kontinuierlichen Anstieg in den Leitungspositionen feststellen.

Bei der Besetzung von Professuren mit Frauen liegt Berlin im Vergleich der Bundesländer weiterhin vorne.

Seit 2016 stiegen die Quoten für Referatsleitungen zuletzt von 43 auf 47 Prozent und für Abteilungsleitungen von 39 auf 44 Prozent. Bei der Besetzung von Professuren mit Frauen liegt Berlin im Vergleich der Bundesländer weiterhin vorne. 2018 waren 45 Prozent der Neuberufungen weiblich.

Mit einem Professorinnenanteil von insgesamt 33 Prozent sind wir von unserem politischen Ziel der Parität aber noch weit entfernt. Daher brauchen wir auch zukünftig Sonderprogramme wie das Berliner Chancengleichheitsprogramm (BCP). Außerdem sind wir sehr aktiv in der Prävention gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Null-Toleranz-Politik bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

Wir verfolgen hier eine Null-Toleranz-Politik und flankieren diese auch mit konkreten Maßnahmen, wie der Muster-Dienstvereinbarung zur Prävention und zum Umgang mit sexueller Belästigung. Sie kann anderen Dienststellen bei der Vorbereitung eigener Dienstvereinbarungen als Orientierung dienen und bekräftigt die Haltung des Senats.

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2016 befürchten Frauen mit der Geburt von Kindern einen Rückfall in traditionelle Geschlechterrollen: Er als Hauptverdiener, sie als Zuverdienerin und nebenher beschäftigt mit der Sorgearbeit. Wie lässt sich dieser Befürchtung entgegenwirken?

Umfragen zeigen uns deutlich, dass immer mehr junge Eltern eine Arbeitsteilung wollen, die die traditionellen Geschlechterrollen hinter sich lässt. Sie wollen Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen. Dafür brauchen sie aber verlässliche Rahmenbedingungen. Erstens müssen die Arbeitszeiten in einer Partnerschaft,  die Schul- und Kitazeiten der Kinder und die Freizeit unter einen Hut gebracht werden.

Wir müssen aber noch mehr dafür tun, dass Mütter auch die Arbeitszeiten realisieren können, die sie sich wirklich wünschen.

Zweitens steht die Mutter heute nicht mehr selbstverständlich zur Verfügung, wenn das Kind krank wird oder der Partner ungeplant Überstunden machen soll, wie es in Westdeutschland lange der Fall gewesen ist. Außerdem verdienen Männer nach wie vor mehr als Frauen.

Ich kann die Sorge junger Mütter, am Ende für die Familie im Berufsleben zurückstecken zu müssen, also durchaus nachvollziehen. Mit der Weiterentwicklung des Elterngeldes und dem Kitaausbau hat die Politik viel getan, um hier bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Insgesamt sind heute mehr junge Mütter erwerbstätig.

Wir brauchen aber auch eine modernere Unternehmenskultur.

Das ist ein Erfolg. Wir müssen aber noch mehr dafür tun, dass sie auch die Arbeitszeiten realisieren können, die sie sich wirklich wünschen. Im Idealfall arbeiten in einer Partnerschaft beide phasenweise in Teilzeit. Das Modell der Familienarbeitszeit unterstützt die Partnerschaftlichkeit. Wir brauchen aber auch eine modernere Unternehmenskultur.

Mit der Kampagne „Gleichstellung gewinnt“ setze ich mich deshalb für einen Kulturwandel in der Berliner Wirtschaft ein. Denn gerade in kleinen Unternehmen kann die Unternehmenskultur einen großen Beitrag für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie leisten.

Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayciddp images/Clemens Bilan
Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci

Im August 2019 sorgte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin für Aufsehen, als sie die Idee einer viertägigen Arbeitswoche und eines sechsstündigen Tages aufwarf: Kann Arbeitszeit ein Hebel sein, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen?

Die Arbeitszeit ist zweifellos ganz zentral, wenn wir die Gleichstellung von Frauen und Männern voranbringen wollen. Genauer gesagt: die Arbeitszeitsouveränität von Beschäftigten. Hier müssen wir unterscheiden zwischen der zeitlichen Flexibilität im Alltag, das heißt wie flexibel Unternehmen auf die Arbeitszeitwünsche ihrer Mitarbeitenden eingehen.

Brückenteilzeit ist ein wichtiger Schritt

Das können Engpässe und Notfälle bei der Kinderbetreuung sein, aber auch grundsätzlich die Bereitschaft der Unternehmen, individuelle Arbeitszeitmodelle zu finden, wenn ihre Mitarbeitenden mehr Flexibilität brauchen. Aber ich sehe auch Bedarf, Beschäftigten mehr Flexibilität zu geben, wenn es darum geht, ihre Arbeitszeit in bestimmten Lebensphasen zeitweilig zu reduzieren oder wieder aufzustocken.

Unternehmen können nur davon profitieren, dass sie familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle fördern

Die Brückenteilzeit ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Gleichzeitig gilt auch hier wieder: Kleine Unternehmen tragen vor allem durch eine moderne Unternehmenskultur dazu bei, dass ihre Mitarbeitenden auch langfristig Familie und Beruf miteinander vereinbaren können.

Unternehmen können nur davon profitieren, dass sie familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle fördern, denn zufriedene und gesunde Mitarbeitende sind für Unternehmen selbst ein Gewinn.

Laut einer aktuellen Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung plagen Frauen mit geringem Einkommen vor allem finanzielle Sorgen und ein unsicherer Arbeitsplatz. Im Gegenzug bleibe diesen Frauen laut den Autorinnen zu wenig Zeit mit Familie und Freunden. Teilzeit könnte zwar eine Lösung sein, nur kommen Frauen dieser Personengruppe dann in finanzielle Nöte. Wie kann der Staat an dieser Stelle gegensteuern?

Familien mit geringem Einkommen haben natürlich dieselben Zeitnöte wie andere Familien. Wir haben hier also das Problem, dass die Reduzierung der Wochenarbeitszeit für diese Familien ohne weitere monetäre Unterstützung seltener überhaupt eine realistische Möglichkeit ist, den Zeitstress auch nur temporär zu verringern.

Unterstützung für das Modell der Familienarbeitszeit

Ich unterstütze deshalb das Modell der Familienarbeitszeit, das genau diese Unterstützung vorsieht. Teilzeit kann für viele Frauen zu einer Falle werden. Deshalb reden wir auch von der „Teilzeitfalle“.

81 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des BKA von 2018. Was unternimmt das Land Berlin, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen?

Berlin nimmt seine Verantwortung der 2018 in Kraft getretenen Istanbul-Konvention des Europarats sehr ernst. Die Istanbul-Konvention beinhaltet eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, mit denen das bereits bestehende differenzierte Berliner Hilfesystem weitere Unterstützung bekommt.

Es gilt, die Angebote sukzessive an den Bedarf und die Anforderungen der Istanbul Konvention anzupassen. Der Schwerpunkt liegt hierbei im Ausbau der Schutzplätze. An deren Umsetzung wird innerhalb meines Hauses mit Hochdruck gearbeitet. Mit dem Haushalt für 2020/2021 konnte eine Aufstockung der Mittel zur Finanzierung neuer Schutzplätze erreicht werden.

Das Ziel ist, jeder betroffenen Frau und ihren Kindern eine auf ihre spezielle Situation zugeschnittene, passgenaue Hilfe und Unterstützung anbieten zu können.

Außerdem arbeiten wir kontinuierlich daran, die Anti-Gewalt-Angebote im Bereich der häuslichen Gewalt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiterzuentwickeln. Das Ziel ist, jeder betroffenen Frau und ihren Kindern eine auf ihre spezielle Situation zugeschnittene, passgenaue Hilfe und Unterstützung anbieten zu können.

Derzeit haben wir 301 Plätze in sechs Frauenhäusern, 298 Plätze in 45 Zufluchtswohnungen sowie 130 Plätze in 46 Zweite-Stufe-Wohnungen. Zentraler Bestandteil der Angebotsstruktur sind zudem die fünf Frauenberatungsstellen, die betroffene Frauen sowie Unterstützerinnen und Unterstützer telefonisch und persönlich beraten.

Alle Beratungsstellen arbeiten eng zusammen mit der BIG-Hotline, die im Rahmen telefonischer Erstberatung und Krisenintervention von häuslicher Gewalt betroffene Frauen in das Berliner Hilfesystem weitervermittelt. Zudem unterstützt das Projekt Hestia die Wohnraumvermittlung bei der Wohnungssuche und Vermittlung in eigenen Wohnraum nach dem Frauenhaus.

Was muss in Zukunft noch getan werden, damit die vollständige Gleichstellung von Frau und Mann Wirklichkeit wird?

Auch wenn der Trend steigt und die Zahlen sich sehen lassen können, haben wir die vollständige Parität bei den Führungspositionen von Frauen und Männer im Land Berlin noch nicht erreicht. Das Ziel sind 50 Prozent Frauen in allen Leitungsfunktionen. Bis das nicht erreicht sind, müssen wir weiter konsequent mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln weiterkämpfen.

Zugleich mache ich mich aber auch für eine Aufwertung der klassischen Frauenberufe, also beispielsweise bei den Erzieherinnen und in den Pflegeberufen, stark.

Also mit gesetzlichen Regelungen, mit Programmen und mit Kampagnen. Es ist da noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Im Bereich der MINT-Berufe, vor allem in der Ausbildung, sind die Zahlen beispielsweise noch nicht zufriedenstellend: Insgesamt zwölf Landesunternehmen bilden in technischen Berufen aus.

Die Frauenquote bei den technischen Berufen beträgt nur 16 Prozent. Ich setze mich deshalb dafür ein, das Interesse von Mädchen und jungen Frauen an einer Karriere in den besser entlohnten MINT-Berufen zu wecken. Zugleich mache ich mich aber auch für eine Aufwertung der klassischen Frauenberufe, also beispielsweise bei den Erzieherinnen und in den Pflegeberufen, stark.

Deshalb gilt es, die schon lange geführten Überlegungen über ein Berliner Paritäts-Gesetz zu konkretisieren.

Ein wichtiger Punkt ist für mich auch die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den Parlamenten. Bei einem aktuellen Frauenanteil von nur 33 Prozent im Berliner Abgeordnetenhaus ist hierfür noch viel zu tun. Mit freiwilligen Vorgaben sind wir leider in den vergangenen Jahrzehnten nicht weitergekommen.

Ganz im Gegenteil, wir sind im Rückwärtsgang – dies zeigt auch der Anteil der Frauen im Deutschen Bundestag, der mit 30,7 Prozent so niedrig ist wie vor 15 Jahren. Nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im vergangenen Jahr ist auch dort die Frauenquote jeweils gesunken.

Diese Entwicklung kann auf keinen Fall hingenommen werden. Deshalb gilt es, die schon lange geführten Überlegungen über ein Berliner Paritäts-Gesetz zu konkretisieren. Ich werde daher mit aller Entschlossenheit dafür kämpfen, dass so schnell wie möglich ein Entwurf für ein solches Gesetz erarbeitet wird.

BIG Hotline: Hilfe bei häuslicher Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder: Täglich von  8 bis 23 Uhr unter (030) 611 03 00 – auch am Wochenende und an Feiertagen. Die Hotline ist ein Unterstützungsangebot für alle Frauen und deren Kinder, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben, nach ihrer Trennung immer noch von ihrem Ex-Partner bedroht und belästigt werden oder Übergriffen ausgesetzt sind

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN