Umarmt, schikaniert, verfolgt: Die Ostberliner SPD von 1946 bis 1961

Auch Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist heute oft nicht mehr bekannt, dass die Berliner SPD bis Mitte 1961 in Ostberlin legal politisch tätig war.

Aufgrund des alliierten Status der Stadt war die SPD seit Mitte 1946 auch in Ostberlin wieder als Partei offiziell zugelassen. Sie war in allen (damals) acht Ostberliner Bezirken, denen acht SPD-Kreise als Organisationseinheit entsprachen, als Teil der Berliner Landesorganisation politisch aktiv.

Die politische Arbeit der Partei wurde – verstärkt nach 1948 – von der sowjetischen Besatzungsmacht und von der SED behindert, das Bekenntnis der Mitglieder zur SPD führte zu Schikanen und ein großer Teil des Organisationslebens fand – besonders seit den fünfziger Jahren – in Westberlin statt.

Dennoch bekannten sich noch Mitte 1961 über 5.000 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ostberlin zur SPD – rund 12 Prozent aller Berliner Mitglieder. Nach dem Mauerbau in Berlin beschloss der Berliner Landesvorstand der SPD am 23.August 1961, die acht SPD-Kreisorganisationen in Ostberlin aufzulösen, da die gemeinsame politische Arbeit in einem Landesverband nicht mehr möglich war.

Die SPD gab jedoch ihren Anspruch, auch in Ostberlin wieder politisch aktiv zu werden, nie auf. Rund 600 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beriefen sich auf ihre frühere Mitgliedschaft in der Ostberliner SPD, als sie 1989/90 wieder in die SDP/SPD eintraten.

Im Frühjahr 1946 hatten die Sozialdemokraten in den Westsektoren Berlins in einer Urabstimmung darauf beharrt,  eine Vereinigung mit der KPD abzulehnen (in Ostberlin war die Urabstimmung untersagt). Dennoch entstand wenig später durch eine „Zwangsvereinigung“  die SED.

Danach wußten viele Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zunächst nicht, wie es mit der Partei weiter gehen sollte, obwohl sie durch alliierten Beschluss in allen vier Sektoren weiter tätig sein durfte, also auch in Ostberlin. In den drei Westsektoren war diese Unsicherheit schnell behoben, da hier die Parteiorganisation intakt geblieben war.

In Ostberlin galt das nicht für alle Kreise: während in Pankow die Organisation ohne Probleme wiederbelebt wurde, gab es in Weißense, Köpenick und Treptow größere Schwierigkeiten. Aber schon im Herbst 1946 – und noch vor den Wahlen am 20. Oktober – zeigte sich, dass die Verunsicherung nur kurze Zeit angehalten hatte.

Ende des Jahres 1946 hatte sich die Partei-Organisation auch in Ostberlin weitgehend stabilisiert, allerdings auf einem – gemessen an der Mitgliederzahl – niedrigerem Niveau. Zu der Stabilisierung hatte natürlich auch der große Erfolg der SPD bei der letzten Gesamtberliner Wahl (bis 1990) zur Stadtverordnetenversammlung und zu den Bezirkverordnetenversammlungen am  20. Oktober 1946 beigetragen.

Die SPD hatte in ganz Berlin über 48 Prozent der Stimmen erhalten, auch in Ostberlin war die SPD  – trotz der eindeutigen Bevorzugung der SED durch die sowjetische Besatzungsmacht – in allen Bezirken stärkste Partei geworden und stellte deshalb auch überall in den Ostberliner Stadtbezirken die Bezirksbürgermeister und viele Stadträte.

Die Zahl der Mitglieder nahm beeindruckend zu: im September 1947 erreichte die Mitgliederzahl in ganz Berlin mit fast 56.000 ihren höchsten Stand. Besonders in Ostberlin waren die acht Kreisbüros – Kreisgeschäftsstellen – mit ihren wenigen bezahlten Mitarbeiter wichtige Zentren der bezirklichen Parteiarbeit.

Aber bereits im Jahre 1947 nahmen die Behinderungen der Partei durch die sowjetische Besatzungsmacht zu. Unter fadenscheinigen Vorwänden wurden die SPD-Bezirksbürgermeister von Friedrichshain und – etwas später – von Prenzlauer Berg entlassen. 

Die Ende 1948 Realität gewordene Spaltung der Stadt stellte die Berliner SPD ein weiteres Mal – wie schon 1946 – vor die Frage, ob sie es verantworten kann, die Parteiorganisation auch in Ostberlin weiter aufrechtzuerhalten.

Der alliierte Status der Stadt erlaubte es immer noch, aber es war klar, daß die SPD als politische Kraft in der Ostberliner Stadtpolitik nichts mehr mitgestalten konnte. Behinderungen und Gefährdungen der Mitglieder waren absehbar.  Die Auflösung der Partei in Ostberlin aber kam nicht in Frage.

Dafür war vor allem die eindeutige Haltung der Ostberliner Parteimitglieder maßgeblich, die trotz ungewisser Aussichten die Organisation am Leben halten wollten. Immerhin vertraten seit 1953 mit Kurt Neubauer aus Friedrichshain und Gretel Heise (später: Berger) aus Weißensee zwei einflussreiche Ostberliner Kreisvorsitzende die Interessen der Ostberliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Bonn.

Der Text ist eine knappe Zusammenfassung mehrerer Aufsätze des Autors zum Thema. Für eine ausführliche Darstellung und für Belege: Siegfried Heimann, Im Osten schikaniert – im Westen vergessen?  In: Sterben für Berlin – Die Berliner Krisen 1948 : 1958, Berlin 2000, S. 153 ff.

Die Tatsache, dass die beiden Bundestagsabgeordneten mit ihren Ostberliner Personalausweisen und ihren westdeutschen MdB-Ausweisen zwischen Ost- und Westberlin hin- und herfuhren, und die Ostberliner Behörden das – wenn auch hin und wieder mit großem Erstaunen bei einigen Volkspolizisten –  akzeptierten, stellte nicht nur ein Kuriosum in der gesamtberliner Anomalität dar.

Sie dokumentiert auch den großen Stellenwert, den die bloße Existenz einer selbständigen Sozialdemokratie auf dem Gebiet der DDR, wenn auch nur in Ostberlin, hatte. Das Wechselspiel der Ostberliner Behörden und der SED im Umgang mit der Ostberliner Sozialdemokratie – mal Umarmungsstrategie, mal Schikanen und Verfolgungen oder auch alles zugleich – war natürlich nicht zufällig.

Es folgte den Zäsuren in der DDR-Geschichte, die wiederum wesentlich von der Politik der Sowjetunion geprägt waren. Der davon bestimmte Umgang mit dem „Sozialdemokratismus“ in den eigenen Reihen hatte auch Auswirkungen auf die Politik gegenüber der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik einschließlich Westberlins, damit zugleich aber auch auf die Haltung gegenüber der Ostberliner SPD.

Umarmungsversuche waren allerdings keine Garantie dafür, dass Schikanen gegen einzelne Sozialdemokraten und gegen die SPD als Organisation deswegen unterblieben. Und schließlich gab es fast jedes Jahr auch Verhaftungen und Verurteilungen von Ostberliner Soziademokraten: es traf Funktionäre der Partei genauso wie einfache Parteimitglieder.

Im Jahre 1960 waren 71 Sozialdemokraten aus Berlin in Haft, allein 29 davon waren im Jahre 1959 neu inhaftiert worden. Im Jahre 1961 gab es erneut 29 Verhaftungen, davon 21 nach dem 13. August. In den Augen der SED war die Ostberliner SPD zu keiner Zeit eine zu vernachlässigende Größe und das Ministerium für Staatssicherheit beobachtete deshalb auch die Aktivitäten der Partei mit besonderer Akribie.

Die Intensität der Beobachtung durch die Staatssicherheit belegt aber auch, dass es auch noch bis 1961 – und danach – nicht wenig zu beobachten gab. Die Ostberliner SPD war also  auch noch in den fünfziger Jahren keine bloße Fiktion mit Symbolcharakter. Der Mauerbau zwischen Ost- und Westberlin am 13. August 1961 überraschte auch die Berliner Sozialdemokraten.

In der Nacht vom 22. zum 23. August 1961 wurde Westberlinern das Betreten von Ostberlin verboten. Das letzte Band zwischen der Ostberliner und der Westberliner SPD war gewaltsam zerschnitten. Der Berliner SPD-Landesvorstand fasste darauf hin – im Beisein von Herbert Wehner –  am 23. August 1961 den Beschluss, die acht Ostberliner Kreisorganisationen sofort aufzulösen.

Zugleich aber bekräftigte die SPD, daß sie an dem Recht festhalte, „die Sozialdemokratische Partei im Ostsektor wieder herzustellen“ und sie verpflichtete sich, „jederzeit treu zu diesen ehemaligen Mitgliedern zu stehen“.

Aber die Ostberliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verloren nicht ganz den Kontakt zur Westberliner Sozialdemokratie. Das Betreuungsbüro – Betreuungssekretariat – im Kurt-Schumacher-Haus der Berliner Partei sorgte unter oft schwierigen Umständen – bis 1989 – dafür, dass die Verbindungen – so sie weiter gewünscht wurden – nicht ganz abrissen.

Westdeutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren dabei eine große Hilfe. Die Berichte über die Besuche geben darüber Auskunft, dass selbst nach 1961 noch ein Zusammenhalt der Ostberliner Sozialdemokraten vorhanden war. Man traf sich in kleinen Freundeskreis in Privatwohnungen, machte gemeinsame Feiern und Ausflüge. Sie waren eine „Solidargemeinschaft“ geblieben, die freilich immer kleiner wurde und nur noch im Verborgenen blühte.

Autor:in

Siegfried Heimann

Historiker und Politikwissenschaftler