Matthias Brandt, Jahrgang 1961 und Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, hat die 1970er-Jahre als Teenager erlebt. In seinem Coming-of-Age-Roman „Blackbird“ geht es dem jugendlichen Ich-Erzähler Morten, genannt Motte, genauso.
Erste Liebe, die Trennung der Eltern und ein Nazi-Sportlehrer. Als junger Mensch ist man solchen Zumutungen mitunter in unerbittlicher Gleichzeitigkeit ausgesetzt. Wenn dann auch noch der beste Freund ins Krankenhaus muss und sich sein Zustand stetig verschlechtert, wem würden da nicht die pubertären Nerven schwach werden?
Erinnerungen an das Schreiben des ersten Liebesbriefes
Der 16-jährige Morten, Hauptprotagonist des Debütromans „Blackbird“ von Matthias Brandt, muss all diese Unwägbarkeiten durchleiden, intellektuell verarbeiten und dabei die ohnehin schwierigen Jahre der Adoleszenz meistern. Wer selbst einmal jung war, kann sich vielleicht auch noch an Formulierungshürden des ersten Liebesbriefes oder die Gleichgültigkeit im Umgang mit den eigenen Eltern erinnern, weil andere Dinge für den Moment wichtiger erscheinen.
Im retrospektiven Vergleich der eigenen Jugendzeit mit der Mortens, kommt man nicht umhin, ob der Selbstvergewisserung des eigenen Erwachsenseins die bloße Dankbarkeit darüber zu verspüren, dass die Jahre des Wartens auf eine aufregende Zukunft endgültig der Vergangenheit angehören.
Meinungsstärke des Protagonisten wirkt widersprüchlich
Möglicherweise liegt ja der Reiz von Coming-of-Age-Geschichten ganz generell in dem Wissen, selbst glimpflich die Zeit der emotionalen Selbstfindung überstanden zu haben oder es wenigstens von sich selbst zu behaupten. Mortens Diktion ist entsprechend juvenil, manchmal nervös und unsicher, mitunter trotzig.
Trotzdem oder gerade deshalb wirkt seine Meinungsstärke widersprüchlich und dadurch auch wieder authentisch. Das Leben ist nicht einfach mit sechzehn. Nach seiner 2016 erschienenen weithin gelobten Geschichtensammlung „Raumpatrouille“, ist das Romandebüt des erstklassigen Schauspielers Matthias Brandt insbesondere für diejenigen eine echte Empfehlung, die die 1970er-Jahre ebenfalls als Jugendliche erlebt haben.
Dunkle Jahreszeit gibt Raum für nostalgische Gedanken
Doch auch alle anderen werden sich an ihre Jugend erinnern, über manchen Gedankengang Mortens schmunzeln und mit ihm leiden. Die durchaus sympathische Hauptfigur des Romans ist eine gute Projektionsfläche für Erinnerungen an das eigene Heranwachsen. Im Beatles-Klassiker „Blackbird“ heißt es: „Dein ganzes Leben lang hast Du nur darauf gewartet, dass dieser Moment anbricht.“ (All your life, you were only waiting for this moment to arise).
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einem bei der Lektüre des gleichnamigen Romans von Matthias Brandt diese Zeile nicht aus dem Kopf geht. Auch Morten hat lange gewartet und lässt uns nun an seinen entscheidenden Momenten teilhaben. Gerade in der dunklen Jahreszeit ist viel Raum für melancholische und nostalgische Gedanken.
Genau die richtige Stimmung für „Blackbird“, das inzwischen auch als Hörbuch erhältlich ist, gelesen von Matthias Brandt.
Lust auf einen weiteren Kulturtipp? Die Rezension aus der vergangenen Ausgabe findest du hier.
Felix Bethmann
Schreibt für die BERLINER STIMME und den vorwärtsBERLIN