Gaby Bischoff, MdEPWaldemar Salesski

Wohnungsnot in der EU: „Nicht mehr nur an Profiten orientieren“

Wohnraummangel und die in Folge stark gestiegenen Angebotsmieten prägen seit langem die öffentliche Debatte. Dazu kommt die sinkende Fluktuation in den Ballungszentren, das heißt Mieterinnen und Mieter wechseln immer seltener ihre Wohnungen. Dabei ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Städten kein rein deutsches Problem. Gaby Bischoff, SPD-Europaabgeordnete für Berlin, erklärt im Interview mit der Berliner Stimme, welche Maßnahmen die EU ergreift.

Berliner Stimme: Liebe Gaby, inwieweit kann die EU überhaupt auf ihre Mitgliedsstaaten einwirken, um Wohnungsnot zu bekämpfen?

Gaby Bischoff: Die EU hat keine spezifische Zuständigkeit im Bereich Wohnen. Die nationalen Regierungen entwickeln ihre eigene Wohnungspolitik. Trotzdem stehen viele EU-Staaten vor den gleichen Herausforderungen rund um das Thema Wohnungsnot. Deshalb stehen der soziale Wohnungsbau und die Bekämpfung von Obdachlosigkeit auf der sozialpolitischen Agenda der EU. Die EU kann also nicht selbst tätig werden, aber unterstützt nationale Vorhaben im Bereich des sozialen Wohnungsbaus und fördert die Energieeffizienz von Wohngebäuden.

In vielen Ländern der EU lebt die Mehrheit der 18- bis 34-Jährigen noch bei ihren Eltern.

Gaby Bischoff

Welche Ursachen hat die Wohnungsnot in der EU?

Eine Ursache für die Wohnungsnot in der EU ist, dass in fast allen Staaten Wohnungen in finanzielle Vermögenswerte umgewandelt wurden. Viele Menschen investieren in Zweitwohnungen, um zum Beispiel für die Rente vorzusorgen. Ausländische Investitionen haben die lokalen Immobilienpreise in die Höhe schießen lassen und Plattformen wie Airbnb verringern das Angebot an Wohnraum, besonders in Stadtzentren.

Gleichzeitig gibt es EU-weit eine jährliche Investitionslücke von 7 Milliarden Euro im sozialen und erschwinglichen Wohnbau. Das ist eine toxische Kombination, die dazu geführt hat, dass sich Menschen mit geringen Einkommen kaum noch eine Wohnung leisten können. Die Mieten sind in den vergangenen Jahren um 14 Prozent gestiegen. Den traurigen Rekord stellt Estland auf, wo Mieter:innen zwischen 2010 und 2020 mit einem Anstieg der Mieten um 145 Prozent konfrontiert waren.

Besonders betroffen sind junge Menschen, für die es in vielen EU-Ländern eine Art „Wohnungsfalle“ gibt. Die Mieten sind zu hoch und Wohneigentum ist keine Möglichkeit, weil sie nicht als kreditwürdig gelten. Gleichzeitig gibt es nicht genug Sozialwohnungen. Deshalb lebt in vielen Ländern die Mehrheit der 18- bis 34-Jährigen noch bei ihren Eltern: 66 Prozent der jungen Italiener:innen, 58 Prozent der Portugies:innen und 74 Prozent der Slowak:innen wählen „Hotel Mama“ nicht aus Bequemlichkeit, sondern haben keine andere Chance auf bezahlbaren Wohnraum.

Im Jahr 2020 haben 7,8 Prozent der EU-Bevölkerung 40 Prozent oder mehr ihres verfügbaren Einkommens für die Miete ausgegeben.

Gaby Bischoff

Wie hoch ist der Anteil der EU-Bevölkerung, die mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnraum ausgeben müssen?

Für viele Haushalte stellen die Wohnkosten die größte Ausgabe im Monat dar. Im Jahr 2020 haben 7,8 Prozent der EU-Bevölkerung 40 Prozent oder mehr ihres verfügbaren Einkommens für die Miete ausgegeben. Besonders betroffen sind die Menschen in Dänemark (14,1 Prozent der Bevölkerung), Bulgarien (14,4 Prozent) und Griechenland (33,3 Prozent). EU-weit zeichnet sich ab, dass besonders Städter:innen durch die hohen Wohnkosten belastet sind. Am schlimmsten ist die Lage in dänischen, deutschen und griechischen Städten.

Welche Maßnahmen ergreift die EU, um Wohnungsnot zu bekämpfen?

Die EU leistet vor allem finanzielle Hilfe im Kampf gegen die Wohnungsnot. Zwischen 2012 und 2019 hat die Europäische Investitionsbank rund 150 Milliarden Euro in Form von Darlehen für sozialen und erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung gestellt. Damit wurde der Bau von Sozialwohnungen, Studentenwohnungen und Pflegeheimen unterstützt.

Auch über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds werden sozialer Wohnungsbau und die Förderung der Energieeffizienz kofinanziert. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten EU-Gelder erhalten, aber einen Eigenanteil beisteuern müssen. Die Förderung der Energieeffizienz dürfen wir nicht unterschätzen. Viele Mieter:innen machen sich angesichts der steigenden Energiepreise große Sorgen vor dem kommenden Winter.

Wer im Berliner Altbau wohnt, weiß, wie schwer und teuer es ist, die Wohnung warm zu halten. Über den Europäische Sozialfonds (ESF) können EU-Staaten Dienstleistungen für wohnungslose und von Ausgrenzung bedrohte Menschen finanzieren. Damit leistet die EU Hilfe für Menschen, für die Wohnungsnot eine bittere Lebensrealität ist.

Am 21. Januar 2021 nahmen die EU-Abgeordneten eine Entschließung an, in der sie die Mitgliedsstaaten auffordern, angemessenen Wohnraum als grundlegendes Menschenrecht anzuerkennen, das durch Rechtsvorschriften durchsetzbar ist: Welche konkreten Inhalte wurden in dieser Entschließung festgeschrieben?

Wohnen ist ein Menschenrecht – das muss in jedem EU-Staat anerkannt werden. Damit dieses Recht für alle Europäer:innen in greifbare Nähe rückt, fordern wir in einer Entschließung des Europäischen Parlaments erhebliche Investitionen in erschwinglichen, sozialen und energieeffizienten Wohnraum. Gleichzeitig müssen spekulative Investitionen eingeschränkt und der Mieter:innenschutz gestärkt werden. Der Wohnungsmarkt darf sich nicht mehr rein an Investor:innen und Profiten orientieren, sondern muss im Sinne der Menschen reguliert werden, die in Häusern und Wohnungen wohnen wollen.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN