Landesarchiv Berlin - F Rep. 290 (02) Nr. 0020536

Auszugraben aus Ruinen

Eine Spurensuche jüdischen Lebens in der Weddinger Müllerstraße 163

Ähnlich wie bei einer archäologischen Grabung, bei der Schicht für Schicht des Erdreichs freigelegt werden, begaben sich im übertragenen Sinne Studierende der Universität Potsdam auf eine historische Expedition, um Spuren ehemaliger jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner im Wedding ausfindig zu machen. Sie konzentrierten sich auf das Grundstück Müllerstraße 163 – einst ein Mietshaus in jüdischem Besitz, heute die Landesgeschäftsstelle der Berliner SPD.

Bei der sogenannten Luftschlacht um Berlin im November 1943, der fast 20 Prozent der Berliner Bebauung zum Opfer fiel, wurde auch das Gebäude in der Müllerstraße 163 zerstört. Damit schienen auch die Biografien einiger ihrer Bewohnerinnen und Bewohner verschüttet.

Im Sommersemester 2023 begannen die Recherchen in einem Seminar an der Universität Potsdam, für das sich über 30 Studierende aus den Fachbereichen Geschichte, Jüdische Studien, Kultur und Medien, Politik und Soziologie einschrieben. So vielfältig wie die Disziplinen, die sich zusammenfanden, so unterschiedlich gestaltete sich auch die Forschungsarbeit. Neben den unterschiedlichsten Quellen, die zu durchstöbern waren, bildeten Intuition, Kreativität, Kombinationsgabe und vor allem Langmut wichtige Voraussetzungen. Durchhaltevermögen war insbesondere bei der Sichtung der umfangreichen Adressbücher, Transportlisten und Karteikarten nötig – ganz zu schweigen von abertausend Seiten Aktenmaterial der Oberfinanzdirektion, der Wiedergutmachungsämter, anderer Behörden und Korrespondenzen. Am Ende konnten die Lebensgeschichten von drei Familien freigelegt werden: die des Eigentümerehepaares Salo und Lisa Wolff sowie ihrer zwangsweise einquartierten Untermieter Familie Freundlich und Ehepaar Gold. Letzteres überlebte die menschenverachtende Politik des NS-Staates. Für das Ehepaar Wolff und die Familie Freundlich war die Müllerstraße 163 die letzte Anschrift vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager.

Neben der Bebauungsgeschichte der Müllerstraße 163 liegt der Fokus einer erarbeiteten Ausstellung auf den Lebensgeschichten der drei jüdischen Familien, die bis 1942/1943 dort wohnten.

Die Ausstellung war bis bis 25. März in der Landesgeschäftsstelle der Berliner SPD in der Müllerstraße 163 und ist vom 5. April bis 7. Juli im Mitte Museum Berlin in der Weddinger Pankstraße 47 zu sehen.

Elke-Vera Kotowski

Die Autorin Elke-Vera Kotowski forscht und lehrt seit 1994 an der Universität Potsdam und sie ist Chefkuratorin der Moses Mendelssohn Stiftung in Berlin.