Die Meinungen gehen – wie sollte es auch anders sein – auseinander, obwohl die Entscheidung in Präsidium und Vorstand einstimmig erging. Manche grummeln über den „rechten“ Olaf Scholz, der doch nicht zum gewünschten Links- und Anti-Groko-Kurs passe. Ich sage: Doch, gerade Olaf Scholz passt dazu – ein Kommentar.
Ich gratuliere Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, dass sie die persönliche Größe hatten, sich zurückzunehmen und im Interesse der Partei und letztlich des ganzen Landes Olaf Scholz vorgeschlagen haben. Natürlich ist keine Entscheidung für einen Kanzlerkandidaten risikofrei.
Und auch mit Olaf Scholz kann die Wahl verloren gehen. Doch das wäre auch bei jeder anderen Person so. In mehrfacher Hinsicht ist diese Entscheidung richtig: hinsichtlich des Verfahrens, des Zeitpunktes, der Inhalte und der Strategie.
Die anderen Parteien reagieren nervös
Das Verfahren: Endlich sind wir mal nicht in die Kanzlerkandidatenkür hineingestolpert. Ich erspare mir hier die Nacherzählung der grauenvollen letzten Verkündigungen der Kanzlerkandidaten. Diesmal hat die gesamte Parteispitze wochenlang „dichtgehalten“ bis die für den Vorschlag zuständigen Gremien eine klare Entscheidung gefällt haben.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen, aber nach den Erfahrungen mit selbstverliebten Führungsfiguren der Vergangenheit ein ausdrückliches: Bravo.
Der Zeitpunkt: Besser geht es nicht. Ein echter Coup: Die anderen Parteien sind getroffen, reagieren nervös. Dazu kommt: Die Partei hat jetzt ausreichend Zeit, um alle wichtigen technischen, organisatorischen, personellen, taktischen und vor allem inhaltliche Fragen gemeinsam zu klären.
Soziale Missstände sind zu beheben, etwa mit Blick auf die „Corona-Helden“, die nicht nur beklatscht werden, sondern konkrete Unterstützung erhalten müssen.
Die Inhalte: Das konkrete Programm muss von der gesamten Partei diskutiert und schließlich vom Bundesparteitag beschlossen werden. Klar ist: Es muss deutliche Reformanstrengungen beinhalten und unmissverständlich gesellschaftliche Verbesserungen beschreiben.
Olaf Scholz hat bereits bei seiner ersten Vorstellung als nominierter Kanzlerkandidat die richtigen Schwerpunkte beschrieben: Soziale Missstände sind zu beheben, etwa mit Blick auf die „Corona-Helden“, die nicht nur beklatscht werden, sondern konkrete Unterstützung erhalten müssen.
Dazu gehört, das ist dem Bundesfinanzminister ein Anliegen, die ordentliche Besteuerung derjenigen, die sehr viel Einkommen sowie Vermögen haben – wie auch der international agierenden Unternehmen. Der verstärkte Klimaschutz bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Entwicklung wird ein weiterer Schwerpunkt.
Und: ein handlungsfähiges Europa. Ein, angesichts der Probleme weltweit meiner Meinung nach, immer noch unterschätztes Thema. In der GroKo haben wir Vieles erreicht – aber Vieles ging eben auch nicht. Beides müssen wir deutlich machen.
In der Mitte Vertrauen genießen
Die Strategie: Die Kritik, der Kandidat aus der bürgerlichen Mitte passe nicht zur nötigen Linksausrichtung und zum gewünschten rot-rot-grünen Projekt, überzeugt mich nicht. Im Gegenteil können wir doch nur dann eine Mehrheit links von der CDU/CSU erhoffen, wenn eine Führungsfigur zur Wahl steht, die weit in die Mitte Vertrauen genießt und Zustimmung erreichen kann.
Der gut und mit Augenmaß regieren kann. Gleichzeitig müssen wir enttäuschte SPD-Wähler zurückgewinnen – das ist eine Teamarbeit, die nur von einer breit aufgestellten SPD erfolgreich geleistet werden kann, nämlich von Olaf Scholz gemeinsam mit unserem Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Nun kann man, wenn man möchte, Scholz als Agenda-Mann diskreditieren. Aber er hat nun seit Jahren gezeigt, dass er auch linke Politik kann und mit voller Kraft forciert: Als Bundesarbeitsminister das Kurzarbeitergeld, als Bürgermeister von Hamburg den sozialen Wohnungsbau und als Bundesfinanzminister die Grundrente – um nur drei Schlagworte zu nennen. Was ist das, wenn nicht voll sozialdemokratisch?!
Mit der Selbstzerfleischung aufhören
Es wird natürlich noch viele Diskussionen und auch politische Entwicklungen in den nächsten gut zwölf Monaten geben. Wir stellen uns breit auf, um die nächste Regierung anführen zu können. Das ist nötig für einen Wahlsieg, aber nicht hinreichend. Kevin Kühnert hat recht: Wichtig wird in jedem Fall sein, mit der Selbstzerfleischung aufzuhören.
Und diese Mahnung geht an alle in der Partei. Denn wir leben in sehr, sehr schwierigen Zeiten. Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir eine rechte Mehrheit. Und ich meine: wirklich rechts. Darum: Alle anpacken, damit wir im nächsten Jahr ein Reformbündnis anführen können.