Stefanie Elies

Berliner Stimme 8|2019: „Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“

Uta Kletzing und Kim Krach sind Referentinnen für Geschlechter- und Familienpolitik bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Wenn beide über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen, wünschen sie sich echte Wahlfreiheit für Eltern und haben eine ganz grundlegende Forderung an Führungskräfte.

„Wir leben in einer Arbeitswelt, die die Sorgearbeit zu wenig mitdenkt“, sagt Uta Kletzing, Referentin für Geschlechter- und Familienpolitik, gleich zu Anfang des Gesprächs. Zusammen mit Kim Krach ist sie im Forum Politik und Gesellschaft bei der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig.

„Firmenchefinnen und –chefs denken meist, dass die Familienarbeit einer Angestellten beziehungsweise eines Angestellten jeweils von der Partnerin oder dem Partner gemacht wird und nicht von dem- oder derjenigen, der oder die selbst bei dem Unternehmen angestellt ist“, erklärt sie.

Traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau erodieren

Sorge- oder Care Arbeit – ein Begriff, der im Gespräch noch häufiger fallen wird: Er meint die Betreuung von Kindern, Angehörigen und das Kümmern um den Haushalt. Vielfach kommen diese Aufgaben – ob berufstätig oder nicht – noch den Frauen zu, so Kim Krach, obwohl „die traditionellen Rollenbilder von Frau und Mann erodieren“. Mehr noch: Die Konstellation Haupternährer plus Zuverdienerin breche auf, zumindest in den Köpfen und Wunschvorstellungen von Frauen und Männern.

„Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“ 1SPD Berlin/Sebastian Thomas
Kim Krach von der Friedrich-Ebert-Stiftung kritisiert das bestehende Normarbeitsverhältnis.

Dennoch gehen die Strukturen des Arbeitsmarktes und häufig auch immer noch politische Maßnahmen „von dem Modell des Alleinverdieners aus“, sagt die 36-Jährige. Problematisch sei außerdem, dass die Lösungen für eine bessere Vereinbarkeit dann zu individuellen Lösungen und zu einer rein privaten Angelegenheit – meistens der der Frauen – gemacht werden, obwohl es strukturelle Lösungen braucht. „Das ist unfair und überfordert Frauen und Familien“, sagt Kim Krach.

„Studien zeigen, dass sich junge Menschen vor der Familiengründung noch ein sogenanntes partnerschaftliches Erwerb-Sorge-Modell vorstellen, also ein Modell, was bei beiden das Arbeits- mit dem Familienleben verbindet“, erklärt Uta Kletzing. Doch sobald Paare Kinder bekommen, würden laut der 44-Jährigen traditionelle Rollenbilder aufleben und das „obwohl beide vorher sehr gleichberechtigt miteinander zusammengelebt haben.“

Frauen befürchten nach Geburt Rückfall in alte Geschlechterrollen

Ihre Aussagen decken sich mit den Ergebnissen der Studie „Was Frauen wollen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2016: Gerade Frauen befürchten mit der Geburt von Kindern einen Rückfall in traditionelle Geschlechterrollen. Einer der Hauptgründe liegt für die befragten Frauen in der fehlenden Lohngerechtigkeit, dass Männer und Frauen für gleichwertige Tätigkeiten unterschiedlich entlohnt werden. Außerdem kritisieren die jungen Frauen eine mangelnde Familienfreundlichkeit und fordern laut den Autoren mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten.

Doch wie kann ein Rückfall in traditionelle Rollenbilder verhindert werden? Dafür gibt es unterschiedliche Maßnahmen, so Kim Krach: „Ein finanzieller Hebel kann Menschen zum Umdenken bewegen, wie sie ihr Leben strukturieren.“ Als konkretes Beispiel nennt sie die Einführung eines „Vaterschaftsurlaubs“ nach der Geburt eines Kindes oder das Elterngeld – eine zeitlich befristete Lohnersatzleistung für Familien.

„Das ist in seiner Ausgestaltung schon ganz gut, könnte aber reformiert werden, um mehr Anreize für eine verlängerte Väterzeit auch jenseits der Mittelschicht zu schaffen.“ Denn in ihren Augen ist es ein Unterschied, ob in einer Krabbelgruppe zwei oder gar fünf Väter sitzen. „Neben Geld ist auch Zeit ein Steuerungsmittel“, erklärt Uta Kletzing.

„Wenn man einmal die Rush Hour des Lebens, also die Zeit von 30 bis 40 Jahren, durchlaufen hat und sagt, jetzt möchte ich beruflich wieder durchstarten, dann ist das nicht mehr möglich.“

Uta Kletzing

„40 Stunden sind in bestimmten Lebensphasen, beispielsweise mit kleinen Kindern, definitiv zu viel – selbst wenn man sich das partnerschaftlich teilt, bleibt nicht genug Zeit für die Fürsorge von Kindern, geschweige denn für irgendwas Anderes.“ So müsste es laut der 44-Jährigen die Möglichkeit geben, dass man, bis das Kind ins schulfähige Alter kommt, weniger arbeitet.

„Leider gibt es da zweierlei Einbußen, wenn das derzeitige Normarbeitsverhältnis weiter so bestehen bleibt.“ Das eine seien Einkommenseinbußen der Gegenwart und später auch in der Rente – da müsste man über Lohnersatz- und auch Rentenersatzleistungen nachdenken, so Uta Kletzing.

Die andere Einbuße betreffe die Karriere: Mit jenseits der 40 werde es schwer, unterbrochene Karrieren wiederaufzunehmen. „Wenn man einmal die Rush Hour des Lebens, also die Zeit von 30 bis 40 Jahren, durchlaufen hat und sagt, jetzt möchte ich beruflich wieder durchstarten, dann ist das nicht mehr möglich.“ Als Gründe nennt sie die starren Karrieremodelle und dass auf kontinuierliche Präsenz am Arbeitsplatz Wert gelegt wird.

Vorherrschende Rahmenbedingungen versperren Männern Zugang zum Familienleben

„Das Normalarbeitsverhältnis ist einfach unsozial, weil es diejenigen schlechter stellt, die sich um andere Menschen kümmern“, ergänzt ihre Kollegin Kim Krach. Für sie ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. „Auch der Politik und Gesellschaft würde es guttun, wenn wir Erwerbs- mit Sorgearbeit zusammen denken und zwar – und das ist wichtig – für beide Geschlechter“, bestätigt die 36-Jährige.

„Die momentan vorherrschenden Rahmenbedingungen versperren den Zugang zum Familienleben vor allem für Männer, auch wenn sie gerne mehr an diesem Teil des Lebens teilhaben möchten.“ Im Gegenzug verschließe es die Möglichkeiten für Frauen, sich eher der Erwerbstätigkeit zuzuwenden.

„Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“ 2SPD Berlin/Sebastian Thomas
Für Uta Kletzing sind die teilweise starren Karrieremodelle ein Grund dafür, warum Ehepaare ihre Familie und den Beruf schwierig miteinander verbinden können.

Doch Familien steht laut Uta Kletzing nicht nur das vorherrschende Normarbeitsverhältnis im Weg, um Sorgearbeit und Beruf miteinander zu vereinen: „Auch in nicht wenigen Kindertageseinrichtungen und Schulen kommt Eltern die Erwartung entgegen, dass da schon jemand zuhause oder in einer Zuverdiener-Rolle sein wird, um das Mittagessen bereit zu stellen oder bei Hausaufgaben oder Ähnlichem zu helfen.“ Da sei man in Berlin gut aufgestellt, denn in der Stadt gebe es Ganztagsschulen oder auch Kitas mit längeren Öffnungszeiten – aber längst nicht überall.

Alleinerziehende als Lackmustest für Veränderungen

Dabei hat die 44-Jährige eine ganz bestimmte Personengruppe als Gradmesser für einen Wandel in der Gesellschaft ausgemacht: alleinerziehenden Mütter und Väter. „Wenn diese Gruppe gut zurechtkommt, dann heißt das, dass die Arbeitswelt die Sorgearbeit und die Einrichtungen für Kinderbetreuung die Berufswelt ausreichend mitdenken.“

Das müsse der Normalfall sein. „Mir ist es dabei nicht wichtig, ob es eine gleichgeschlechtliche oder eine Hetero-Beziehung ist. Mir geht es schlicht um die Arbeitsteilung“, betont sie. Die gesellschaftliche Norm müsste sein: Beide sollten beides machen.

„Doch dann erst hätten Eltern eine echte Wahlfreiheit“, ergänzt Kim Krach. Mehr noch: „Das angesprochene Erwerb-Sorge-Modell sollte als Grundlage für politische Entscheidungen und auch von Personalpolitik gesehen werden, weil alles andere verschließt sich der Realität“, sagt sie. Als Beispiel nennt sie ein Elternpaar, wo beide 40 Stunden arbeiten gehen und es allein der Frau obliegt, einen Babysitter und eine Putzhilfe zu organisieren.

„Echte Vereinbarkeitspolitik wäre gerade für Frauen mit geringem Einkommen enorm wichtig.“

Uta Kletzing

„Das ist noch ein privilegiertes Beispiel. Prekärer wird es bei einer Kassiererin oder Bäckerin, die sich die Auslagerung von Betreuungsarbeit nicht leisten können“, erklärt die 36-Jährige.„Wenn dann noch die Kita Gebühren kosten, wird es noch schwerer, was in Berlin glücklicherweise nicht der Fall ist.“

Ihre Kollegin Uta Kletzing sieht es ähnlich: „Echte Vereinbarkeitspolitik wäre gerade für Frauen mit geringem Einkommen enorm wichtig.“ Sie würden zumeist in Arbeitsverhältnissen stecken, die Erwerbs- nicht zusammen mit der Care Arbeit denken. Gerade diese Frauen würden in Schichtdienst arbeiten, zu unregelmäßigen und/oder zu Randzeiten und hätten viele unbezahlte Überstunden.

Sie verweist auf eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich genau mit dieser Personengruppe befasst hat. Laut der Untersuchung plagen Frauen mit geringem Einkommen vor allem finanzielle Sorgen und ein unsicherer Arbeitsplatz. Im Gegenzug bleibe diesen Frauen laut den Autorinnen zu wenig Zeit mit Familie und Freunden.

„Wir brauchen außerdem eine lebensphasenorientierte Personal- und Arbeitsmarktpolitik“

Kim Krach

Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Frauen in prekären Einkommensverhältnissen würden die aktuelle Politik anzweifeln und neigen zur Politikverdrossenheit. „Gerade bei dieser Personengruppe spielt auch Teilzeit eine ganz große Rolle“, erklärt Uta Kletzing. „Wenn eine Frau mit geringem Einkommen in Teilzeit geht, um mehr Care Arbeit zu leisten, kommt sie in finanzielle Nöte.“

Würde sie hingegen Vollzeit arbeiten und noch dazu einen Schichtjob oder einen Beruf mit vielen Überstunden leisten, dann hätte sie wieder nicht genug Zeit für die Familie. Ein ausreichender Mindestlohn ist hier ein gutes gleichstellungspolitisches Instrument, ist sich Kim Krach sicher. „Wir brauchen außerdem eine lebensphasenorientierte Personal- und Arbeitsmarktpolitik“, sagt Kim Krach.

Vereinbarkeit von Familie und Job sollte Kompetenz von Führungskräften werden

In diesem Zusammenhang kehrt Uta Kletzing zur anfangs erwähnten Aussage zurück und formuliert eine ganz grundlegende Forderung an die Arbeitgeberseite: „Damit die Arbeitswelt die Sorgearbeit mitdenkt, muss die Vereinbarkeit eine Führungsanforderung und -kompetenz in allen Organisationen werden.“

Die Denke solle eben nicht mehr sein, dass die eigenen Angestellten keine Fürsorgeverpflichtungen haben. „Ich finde auch, dass der Umgang mit Vereinbarkeitsbedarfen der Mitarbeitenden ein verbindliches Beurteilungskriterium für Führungskräfte werden sollte.“ Damit geht einher, auch Führungskräften selbst Vereinbarkeitstüren zu öffnen.

Das betreffe nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Politik und Verwaltung. „Wie Führungskräfte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen, ist keine Privatsache, sondern ein professioneller Anspruch“, sagt sie.

Mehr zum Thema Vereinbarkeit: Wie Eltern Familie und Beruf besser miteinander verbinden können, erklärt Familienministerin Franziska Giffey im Interview.