Carola BrücknerSPD Berlin/Sebastian Thomas

Anderer Führungsstil: Die erste Frau an der Spitze Spandaus

99 Männer und jetzt zum ersten Mal eine Frau: Seit November vergangenen Jahres ist Carola Brückner die neue Spandauer Bezirksbürgermeisterin. Was sie vorhat, welche Themen sie beschäftigen und was Frauen in der Politik anders machen, erzählt sie im Gespräch mit dem vorwärtsBERLIN.

vorwärtsBERLIN: Welche drei Dinge verbindest du mit Spandau?

Carola Brückner: Ich verbinde mit Spandau offene und bodenständige Menschen. Außerdem einen hohen Erholungswert, auf der Havel und in den zahlreichen Parks kann man wunderbar entspannen. Was viele nicht wissen: Spandau besitzt wunderschöne Wiesen und Waldflächen, auch einen großen zusammenhängenden Forst. Darüber hinaus macht sich der Bezirk nicht nur dadurch bemerkbar, dass Pendlerströme rein- und wieder rausfließen.

Wir haben vergleichsweise immer noch etwas günstigeren Wohnraum, neben den bekannten Unternehmen auch innovative Startups und eine wachsende Kunst- und Kulturszene. Als Außenbezirk stehen wir im regen Austausch mit dem umliegenden Havelland. Es ist also nicht vermessen zu behaupten, dass Spandau viele angenehme Alleinstellungsmerkmale hat.

In der vergangenen Legislaturperiode war das Spandauer Bezirksamt eine reine Männerriege. Nun bist du nach 99 Amtsvorgängern die erste Bezirksbürgermeisterin: Was bedeutet dir diese Tatsache?

Wenn ich ehrlich bin, habe ich die Anzahl der Namen auf der großen Tafel vor meinem Büro noch nie nachgezählt (lacht). Doch um deine Frage zu beantworten: Ich glaube schon, dass das wichtig ist, weil man gewollt oder ungewollt eine gewisse Vorbildfunktion hat. Frauen sollten viel mehr in die Politik gehen, weil es um Entscheidungen geht und um Gestaltungsspielräume. Darum, wie ich mein Leben in der Gemeinschaft verbringen möchte.

Es ist absolut notwendig, dass sich mehr Frauen eine Rolle in der Politik zutrauen und hartnäckig genug sind, um ihre Sicht und Erfahrungen einzubringen. Hartnäckigkeit musste ich als junge Frau auch erst lernen. Das ist sehr wichtig für diesen Job. Grundsätzlich ist es für mich eine  Frage der Gerechtigkeit: Wir stellen die Hälfte der Bevölkerung und so gehört uns auch die Hälfte der Macht.

Ich würde mich freuen, wenn mehr Frauen in die Politik gehen würden. Leider ist die Entwicklung jedoch im Moment rückläufig. Umso mehr freut es mich, dass Berlin mit Franziska Giffey nun von einer Frau regiert wird.

Warst du mal an einem Punkt, an dem du gemerkt hast, dass du nicht weiterkommst und Hilfe brauchst?

Eher umgekehrt: Ich habe gemerkt, dass es sehr viel leichter ist, wenn man Förderer hat. Ich glaube es ist wichtig, dass man auf den Weg in die Politik von Frauen und Männern begleitet wird, die Nachwuchs fördern wollen und offen sind für deine Ideen. Ein gewisses Gespür für Veränderung und Flexibilität auch Neues auszuprobieren, sind immer gute Ratgeber.  Ich habe über viele Jahre in Gremien gesessen, wo ich oft die einzige Frau gewesen bin. Wir haben insgesamt sechs Bezirksstadträte. Ich bin davon eine Stadträtin. Die weiteren vier Stadträte sind Männer.

Ist das ein Problem? Benötige ich Unterstützung? Ganz klar nein, weil ich es gewohnt bin, aber auch weil ich über Verwaltungserfahrung verfüge und mir politische Spitzfindigkeiten nicht fremd sind. Allerdings empfinde ich als wohltuend, dass die Leiterin des Rechtsamts an den Sitzungen des Bezirksamts teilnimmt. Frauen in Führungspositionen sind auch wichtig, weil es ist einfach gut für die Arbeitsatmosphäre ist. Jedenfalls bekomme ich diese Rückmeldung sehr oft.

Was denkst du, musstest du dich als Frau anders durchsetzen als ein Mann?

Frauen haben einen anderen Blick auf Politik. Sicher kann ich nicht für alle Frauen sprechen, doch ich denke der Führungsstil von Frauen ist oftmals ein anderer als von Männern. Ich bin jemand, die stark im Team arbeitet. Erfahrungsgemäß wissen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen doch ohnehin, wo die Entscheidungskompetenz liegt, so dass ich das nicht immer zum Ausdruck bringen muss.

Ich finde ja, dass Männern oft die Souveränität fehlt. Da spricht man von flachen Hierarchien, einem kooperativen Führungsstil, die Arbeit im Team. Doch dann muss fast alles über den Schreibtisch des Vorgesetzten gehen. An manchen Stellen hat die Verwaltung noch Nachholbedarf.

Wie dein SPD-Kollege in Marzahn-Hellersdorf, Gordon Lemm, gehst du ein Bündnis mit der Tierschutzpartei ein. Warum bist du diesen Schritt gegangen?

In der Partei haben wir uns die Frage gestellt, auf wen wir zugehen. Zugegeben, bei der Tierschutzpartei mussten wir im Vorfeld etwas recherchieren. Die Ziele auf ihrer Website haben uns schließlich überzeugt, den Kontakt aufzunehmen. Wir verstehen uns selbst als einen fortschrittlichen und linken SPD-Kreis. Da die Tierschutzpartei sich auch eher als links versteht, haben wir keine Veranlassung gesehen, sie nicht in die Sondierungsgespräche einzubeziehen.

In Spandau gibt es keine Zählgemeinschaft. Es ist eher eine Zählgemeinschaft für die Wahl der Bezirksbürgermeisterin und der Bezirksstadträte gewesen. Die Gespräche im Vorfeld sind von der Spandauer Parteispitze so erfolgreich und klug geführt worden, dass wir für alle, sowohl für meine Person als Bezirksbürgermeisterin als auch für die Bezirksstadträte, eine breite Mehrheit hatten. Das hat mich sehr gefreut, weil es ein wichtiges Signal ist, dass wir im Sinne Spandaus auch gut zusammenarbeiten wollen.

Welche Themen werden dich in Spandau die nächsten fünf Jahre begleiten?

Ganz klar: Der Klimaschutz wird uns beschäftigen. Die BVV in Spandau hat Ende 2020 das Bezirksamt beauftragt, die Klimanotlage zu erklären. Meine Stabsstelle für Nachhaltigkeit & Klimaschutz hat Maßnahmen zur Umsetzung des BVV-Beschlusses erarbeitet, die nun in eine Beschlussvorlage für das Bezirksamt einfließen werden, dazu gehört zum Beispiel die Erarbeitung eines bezirklichen Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept.

Wir sind auch der einzige Bezirk in Berlin, der eine Klimawerkstatt in der Altstadt als zentrale Beratungsstelle für die Spandauer und Spandauerinnen anbietet. Bewusstseinsbildung und ein konkretes Beratungsangebot sind vor Ort sehr wichtig. Große Dinge können international, europäisch und national auf den Weg gebracht werden. Aber die Länder und die Kommunen müssen sich mit ihren Möglichkeiten daran beteiligen.

Das meine ich sehr ernst und ich möchte die Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Klimaschutz daher auch auf bessere Füße stellen. Begonnen habe ich damit, dass eine wichtige Stelle entfristet wurde, so dass wir nun einen hoch qualifizierten Experten für Nachhaltig fest an Bord haben.

Du hast anfangs von günstigem Wohnraum gesprochen.

Bezahlbares Wohnen ist ein zentrales Thema und das in allen Bezirken. Hier gibt es starken Rückenwind vom Senat. In Spandau wird viel gebaut und in der Vergangenheit sind bereits viele Wohnquartiere entstanden. Das ist zusammen mit der Mietpreisbindung der beste Schutz vor zu hohen Mieten. Was wir dabei immer mitdenken müssen, ist vor allem der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Wir sind ein Bezirk, der sich hauptsächlich durch Busse erschließt.

Uns fehlt der Ausbau der U7 bis Heerstraße Nord. Wir brauchen unbedingt die Wiederbelebung der Siemensbahn und ihre Verlängerung bis Hakenfelde. Ich freue mich sehr, dass die S-Bahn Falkensee kommt und geprüft wird, ob sie auch durch das Falkenhagener Feld geführt werden kann. Als Außenbezirk bist du in der Situation, dass du die zahlreichen Pendler und die eigenen Bewohnerinnen und Bewohner von A nach B bezahlbar, ökologisch verträglich und schnell transportieren musst.

Ich begrüße es daher sehr, dass der Senat versucht, die Planungsphase und den ganzen Vorlauf, bis es tatsächlich zum Bau kommt, zu verkürzen. Das Thema wird uns in den nächsten Jahren immer wieder begleiten.

Gibt es neben diesen großen Themen eine Sache, die dir besonders am Herzen liegt?

Wir müssen der Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie entgegentreten. Dieses Problem hat in der Pandemie leider deutlich zugenommen. Hier müssen wir gegensteuern. Dabei darf auch nicht Gewalt gegen Frauen in Einrichtungen aus dem Blick geraten. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist der Bereich Förderung der Integration und Partizipation von Menschen mit einer Fluchtgeschichte. Die Flüchtlingszahlen steigen wieder, aktuell müssen und wollen wir zudem den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine helfen.

Migrantinnen und Migranten brauchen Wohnungen. Das schließt das Thema bezahlbares Wohnen mit ein. Natürlich haben wir ein Netz von Trägern und Hilfestellungen im Bezirk, die bei der Wohnungssuche unterstützen, Sprachbarrieren abbauen, bei Ämtergängen und Formularen unterstützen. Doch für diese Familien angemessene und bezahlbare Wohnungen zu finden, ist extrem schwer.

Was möchtest du konkret gegen Gewalt gegen Frauen unternehmen?

Wir brauchen vor allem mehr Beratungsangebote für Frauen und das mit spezifisch qualifiziertem Personal. Diese Angebote brauchen geeignete Räume, auch um während der Beratung Kinder zu betreuen zu können, und natürlich angemessene finanzielle Mittel. Wir brauchen auch eine verlässliche Unterbringung von Frauen, wenn sie eine Familie verlassen müssen.

Die Unterkünfte müssen so ausgestattet werden, dass die Frauen mit Kindern gut und sicher leben können. Hier fehlt es an Plätzen. Ich hoffe, dass wir das Projekt Stadtteil ohne Partnergewalt – StoP auf den Weg bringen können. StoP setzt da an, wo Gewalt ausgeübt wird: am Wohnort und in der Nachbarschaft.

Was musst du jetzt und somit unmittelbar entscheiden?

Aktuell und akut ist die Lage in der Heerstraße Nord deutlich zu verbessern. Vor Kurzem habe ich zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Mit dabei waren unter anderem Mieterinitiativen, Mieterbeiräte, der bestehende Runde Tisch Wohnen, auf dessen Erfahrungen gut aufgebaut werden kann, das Quartiersmanagement, die Wohnungsbaugesellschaften und die Senatsverwaltung sowie Sozialstadtrat Gregor Kempert und Jugendstadtrat Oliver Gellert.

Ich habe mich sehr genau darüber informiert, wo die Probleme liegen, wollte aber auch wissen, was gut läuft. Mit den vorhandenen Angeboten, wie das Quartiersmanagement und der Gemeinwesenverein, der gefestigten Nachbarschaftsstruktur und der Vernetzung untereinander ist das Miteinander im Kiez gewachsen. Dennoch bekommt man die Probleme des Vandalismus und der Vermüllung nicht in den Griff und ich denke, es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden. Die Forderungen der Bewohnerinnen und Bewohner sind klar: Sicherheit, Sauberkeit, Erreichbarkeit.

Welche meinst du genau?

Vor Kurzem war ich mit Ülker Radziwill und Raed Saleh vor Ort. Wir wurden von Mieterinnen und Mietern durch das Quartier geführt. Die Zustände waren erschreckend. Es gibt in den Außenanlagen zu viele Ecken, die nicht beleuchtet sind. Die laden gerade dazu ein, dass Menschen, die nichts Gutes im Sinn haben, dort ihren Platz finden. Die Vermüllung der Außenanlagen, aber auch der Häuser selbst ist extrem hoch und die Wohnungsgesellschaften sind offenbar nicht so erreichbar, wie sie es sein sollten.

Es geht auch um die schnelle Beseitigung von Mängeln, wie defekte Beleuchtung und Türschlösser in den Häusern. Wer fühlt sich denn in solch stockdunklen Ecken sicher? Meines Erachtens fehlen Hausmeister, die zum Beispiel auch kleinere Reparaturarbeiten übernehmen könnten und auf Ordnung und Sauberkeit achten. Die Idee aus der eingangs genannten Gesprächsrunde, ein Willkommenscafé für neue Mieterinnen und Mieter anzubieten, finde sich sehr gut.

Wir müssen noch einmal gemeinsam überlegen, wie wir die Menschen dort mit ihren Problemen und Ängsten erreichen können. Die hohe Arbeitslosigkeit und damit einhergehend die Armut von Kindern ist natürlich ein großes Problem. Und zur Brandserie: Ich hoffe, dass die Polizei hier bald erfolgreich sein wird und den bzw. die weiteren Täter zu fassen bekommt. Ich kann die Forderungen nach einer Videoüberwachung im öffentlichen Raum und auch danach, den ehemaligen privaten Sicherheitsschutz wieder zu reaktivieren, nachvollziehen.

So wären neben der mobilen Wache der Polizei, die schon verstärkt die Straßen abfährt, regelmäßig zwei Personen vor Ort, die bis abends ansprechbar und auf der Straße präsent wären. Das schafft ein Gefühl von Sicherheit. Es handelt sich hier um eine grundlegende Forderung der Bewohnerinnen und Bewohner. Absolut warnen möchte ich davor, das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen zu wollen und zu einer sogenannten „nachbarschaftlichen Wache“ aufzurufen, wie es leider schon geschehen ist. Dies kann sehr schnell in die falsche Richtung laufen.

Was machst du, wenn du gerade nicht Bezirksbürgermeisterin bist?

Gerade bin ich aus dem Land der Samen (indigenes Volk, das nördlich des Polarkreises beheimatet ist; Anm. d. Red.) in Norwegen und Finnland zurückgekehrt. Es war Pandemie bedingt und natürlich auch wegen des Wahlkampfs im letzten Jahr der erste Urlaub seit langem und diese Reise habe ich sehr genossen. Außerdem interessiere ich mich für Kunst und Kultur und in meinem Garten kann ich entspannen.

Politik nimmt aber schon einen großen Raum in meinem Leben ein. Ich bin Abteilungsvorsitzende der SPD Gatow-Kladow und stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD-Spandau. Außerdem ist mir meine Familie sehr wichtig. Ich habe keine eigenen Kinder, aber ich bin ein Mensch, der das Glück hat, eine intakte Herkunftsfamilie zu haben, die sich einfach gut versteht und auf die Verlass ist. Der Rückhalt in meiner Familie ist das Wichtigste für mich. Das trägt mich sehr.

Liebe Carola, ich danke dir für das Gespräch.

Gordon Lemm, SPD-Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, ist für den Bezirk ein besonderes Bündnis eingegangen. Wie diese Zählgemeinschaft aussieht und was er in der Zukunft verändern möchte, erzählt Gordon Lemm im Interview.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN