Hoher Altersdurchschnitt, sinkende Mitgliederzahlen: 130 Jahre nach ihrem Entstehen hat der Verein Freie Volksbühne Berlin mit Problemen zu kämpfen. Dabei „verdient die Freie Volksbühne Unterstützung – besonders von der Sozialdemokratie“, meint unser Autor Eckhardt Barthel. Seine Begründung hat er in seinem Kulturtipp für die BERLINER STIMME aufgeschrieben.
Es war ein großartiges Fest in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Protagonisten der ehemaligen Volksbühnen Ost und West vereinigten sich auf der Bühne in einer Piscator Revue, die den Blick zurück, aber auch nach vorne öffnete. Volksbühne eben.
1890 von dem Schriftsteller und Philosophen Bruno Wille gegründet, gilt der Volksbühnen-Verein als erste kulturpolitische Massenorganisation und hochpolitische, kulturelle Emanzipationsbewegung der deutschen Arbeiterbewegung mit dem Ziel: „Die Kunst dem Volke“. „Ein Bündnis von Kulturpolitik und Ästhetik, Sozialismus und Moderne“ sollte es werden.
Das erwartete Arbeiterpublikum kam in Massen in die Theatervorstellungen, etwa zu Ibsens Ein Volksfeind gleich in der ersten Spielzeit, oder Die Weber von Gerhart Hauptmann – der 1905 die Ehrenmitgliedschaft erhielt. Die Volksbühnen-Angebote beschränkten sich nicht nur auf das Theater.
Auch die Volksbühnen-Konzerte und Sonntag-Mittag-Veranstaltungen fanden großen Zuspruch. Besonders Beethoven, dessen Musik als „Inbegriff revolutionärer Energie“ galt, verkörperte die Volksbühnen-Ideale: „Die Millionen hatten den Weg zur Neunten, und die Neunte endlich den Weg zu den Millionen gefunden“, so Kurt Eisner.
Nicht überraschend, dass es auch in der Volksbühnen-Bewegung Richtungskämpfe gab, die zu Spaltungen und Wiedervereinigungen führten: Soll die Volksbühne eine klassenkämpferische Ausrichtung zur Emanzipation des Proletariats haben? Oder versteht sie sich als Bildungseinrichtung, die auch die Klassik pflegt und für die arbeitenden Menschen Unterhaltung bietet?
Sollte sie eine Bindung an die Partei, die SPD, haben oder unabhängig sein? 1892 spaltete sich der Volksbühnen-Verein, Bruno Wille gründete die Neue Freie Volksbühne – 18 Jahre später vereinigten sich beide wieder. Dass die Nationalsozialisten 1933 die Volksbühne erst übernahmen, gleichschalteten – „im Sinne der National-Regierung“ – und dann zerschlugen, ist nicht überraschend.
Für ein nur gemütliches Theater braucht man kein neues Haus
Willy Brandt
Die „sozialdemokratisch geführte Volksbühne“, so die NS-Presse, habe „eine Kunst- und Theaterpolitik betrieben, die alles andere als wahrhaft volkstümlich und deutsch angesprochen werden konnte“. 1947, nach Kriegsende, entstand zunächst in jedem Sektor der Stadt eine Volksbühne. Ziel war aber die Wiedergründung einer Freien Volksbühne Berlin.
Doch waren die politischen Differenzen zu groß, vor allem bestand die Befürchtungen einer Unterordnung unter die Kontrolle von FDGB und Kulturbund. So entstand eine Volksbühne in West- und eine in Ost-Berlin. Letztere wurde 1953 aufgelöst. 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, erhielt die Freie Volksbühne eine eigene, aus Mitgliederspenden und -darlehen finanzierte Spielstätte in Wilmersdorf.
Willy Brandt formulierte zur Eröffnung seine Erwartung an das neue Theater: „Für ein nur gemütliches Theater braucht man kein neues Haus“. In der Freien Volksbühne wurde Theatergeschichte geschrieben. Große Aufführungen, berühmte Autoren, Intendanten, Regisseure und Schauspieler, von Andrea Breth zu Peter Zadek, von Bernhard Minetti zu Peter Weiss und natürlich Erwin Piscaror prägten den Charakter des Hauses. Doch währte diese große Zeit nur etwa 30 Jahre.
Lautete das Ziel vor 130 Jahren „Die Kunst dem Volke“, so heißt es heute „Kultur für alle“
Öffentliche Mittel wurden gestrichen, das Haus an einen Veranstalter verpachtet, der eigene Spielbetrieb eingestellt und das Theater danach an einen privaten Investor verkauft. Heute gehört es als „Haus der Berliner Festspiele“ dem Bund. Mit dem Verlust eines eigenen Theaters stellte sich immer häufiger die provokante Frage: Benötigen wir noch die Volksbühnen-Organisation?
Eine schnelle, negative Antwort wäre fatal. Die Volksbühnen-Bewegung hat sich – wenn notwendig – immer wieder erneuert und ihr Handeln immer an den gegebenen gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben orientiert. Und diese sind keineswegs erfüllt. Lautete das Ziel vor 130 Jahren „Die Kunst dem Volke“, so heißt es heute „Kultur für alle“, ein Motto, das der bedeutende sozialdemokratische Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann geprägt hat und grundsätzliche Zustimmung gefunden hat.
Die Volksbühnen-Organisation ist kein bloßer „Kartenverteiler“, sie versteht sich als Kulturvermittlerin und Partnerin der vielen Kulturveranstalter in Berlin und Potsdam. Sie erleichtert den Zugang und erhöht die Freude an Kunst und Kultur. Als Besucherorganisation bietet sie preislich günstige Karten für jährlich etwa 10.000 Veranstaltungen an, die auch portofrei verschickt werden.
Aber sie ist und bietet mehr: „Ein ganzes Programm aus einer Hand“. Sie informiert über kulturelle Angebote, gibt individuelle Tipps, organisiert Vorstellungsbesuche und Gespräche mit Künstlerinnen und Künstler sowie Kritikerinnen und Kritiker. In ihrer Geschäftsstelle veranstaltet sie eigene Konzerte, Liederabende, Vorträge, Lesungen.
Die Freie Volksbühne, oder „Kulturvolk, Das Publikum“ wie sie sich jetzt nennt, ist eine erfolgreiche und unverzichtbare Institution der Kulturellen Bildung. Aber sie hat große Probleme, die auch, aber nicht nur mit der Pandemie zusammenhängen. Die Finanzsituation der Volksbühne ist besorgniserregend, bekommt sie doch keine öffentlichen Mittel.
Der hohe Altersdurchschnitt und die sinkende Zahl der Mitglieder sind existenzgefährdend. Die Freie Volksbühne benötigt und verdient Unterstützung – besonders von der Sozialdemokratie. Angesichts der Tradition, der sozialdemokratischen Verankerung in ihr, der Verdienste, die sie sich erworben hat und ihrer kulturpolitischen Arbeit, die sie für Berlin leistet, spricht eigentlich alles auch für eine wachsende Mitgliedschaft durch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
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