Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Im Interview mit der BERLINER STIMME steht eine Frage im Vordergrund: Gerät der Klimaschutz durch die Corona-Krise ins Stocken oder kommt er unter der derzeitigen Ausnahmesituation erst richtig in Schwung?
BERLINER STIMME: Die Denkfabrik Agora Energiewende hat verkündet, dass Deutschland aufgrund von Einschränkungen durch die Corona-Krise nun doch sein Klimaziel für 2020 erreichen wird. Teilen Sie diese Einschätzung? Warum?
Claudia Kemfert: Es ist zu früh, um dies beurteilen zu können. Die Emissionen sinken ja nicht aufgrund effektiver Klimapolitik, sondern weil die Wirtschaft wegen einer Pandemie nahezu komplett stillgelegt wurde. Ob und wie schnell sich die Wirtschaft wieder erholt und welche Effekte dies auf die Emissionen hat, ist unsicher.
Die neu eingerichteten temporären Fahrradstraßen sollten so schnell wie möglich verstetigt werden
Wenn es zu einer schnellen Erholung kommen sollte, bestünde die Gefahr, dass es sogenannte Reboundeffekten gibt, das heißt es kommt zu Mehremissionen aufgrund von Nachholeffekten. Ob und wie dies passiert, hängt auch davon ab, wie effektiv die gewählten Maßnahmen für Wirtschaftshilfen generell aber vor allem in Punkto Klimaschutz wirken.
Momentan nimmt das Fahrradfahren aufgrund der Corona-Krise zu. Hingegen fahren weniger Menschen wegen der noch bestehenden Ansteckungsgefahr Bus und Bus: Was bedeutet das für eine Metropole wie Berlin? Bringen die Auswirkungen von Covid-19 gar eine klimagerechte Verkehrswende ins Stocken?
Grundsätzlich ist es gut und richtig, dass mehr Menschen Fahrrad fahren, dies stärkt die Gesundheit und schützt zugleich die Umwelt und das Klima. Fahrrad fahren macht vor allem auf sicheren Fahrradwegen und bei sauberer Luft Spaß. Die neu eingerichteten temporären Fahrradstraßen sollten so schnell wie möglich verstetigt werden.
Von einer autogerechten hin zu einer menschengerechten Stadt
Fahrradverkehr und ÖPNV sind die tragenden Säulen der Stadtmobilität. Daher muss dem ÖPNV aufgrund wegbrechender Fahrgäste und Einnahmen finanziell umfassend geholfen werden. Der ÖPNV ist wichtig für alle Metropolen, daher sollte dieser gestärkt werden, auch dadurch, dass er für alle Menschen zugänglich und finanziell attraktiv ist. Zudem sollte man in allen Ballungszentren, auch in Berlin, wegkommen von einer autogerechten hin zu einer menschengerechten Stadt.
In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel vom 6. April, appellieren Sie, dass man nach einem Abflauen der Pandemie nicht einfach den „Reset-Knopf“ drücken sollte. Jetzt, zwei Monate später, wie schätzen Sie die Nachwirkung Ihres Appells ein? Wurde er beherzigt?
Ich würde durchaus sagen, ja. Zum einen sieht man, dass die Pandemie in vielen Bereichen zum Innehalten, Hinterfragen und Umdenken geführt hat. Nichts ist mehr wie vorher. Zum anderen wurden im Konjunkturpaket durchaus Nachhaltigkeits- und Klimaziele berücksichtigt, auch wenn ich mir mehr ökologischen Wumms gewünscht hätte.
Bei allem Leid und Schrecken können wir auch positive Lernerfahrungen mitnehmen, nicht nur aufgrund von geänderter, weniger klimaschädlicher Wirtschafts- und Verhaltensweisen. Besonders deutlich wurde jedoch, dass es in einer solchen Krise auf eine starke Demokratie und gesellschaftliche Solidarität ankommt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse fließen in politische Handlungsweisen ein, die Gesellschaft steht beieinander. Gelebte Solidarität ist der Schlüssel zur Bewältigung der Krise. Dies gilt ebenso zur Bewältigung der Klimakrise.
Für welche Maßnahmen sollte Berlin die Coronakrise gerade im Hinblick auf den Klimaschutz nutzen? Was könnte in Zukunft getan werden?
Die kommunale Daseinsvorsorge stärkt Teilhabe, Partizipation und Akzeptanz, dies ist ein wichtiger Baustein im Zuge der Bewältigung der Krise. Berlin hat in Punkto Klimaschutz einiges nachzuholen. Berlin sollte die temporären, sichere Fahrradwege dauerhaft einrichten, mehr Platz für Menschen und weniger für Autos ermöglichen durch eine effektive Parkraumbepreisung sowie eine streckenabhängige PKW Maut.
Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen
Zudem sollte die Elektromobilität in allen Facetten gefördert werden, neben Elektrobussen, Lastenfahrrädern oder Roller und dergleichen sollten alle Kranken, Feuer-, Liefer- und sonstige gewerbliche Fahrzeuge auf Elektrofahrzeuge umsteigen. Der ÖPNV mussgestärkt werden.
Zudem sollte die Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt werden, alle kommunalen Gebäude energetisch saniert und mit Solaranlagen ausgestattet werden. Die Nah- und Fernwärmeversorgung sollte ebenso nicht aus Erdgas sondern aus erneuerbaren Energien erfolgen.