Emanuel Wyler ist Biochemiker am Max-Delbrück-Centrum (MDC) in Berlin-Mitte. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen momentan Zellen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Dabei arbeitet er mit dem Team des bekannten Virologen Christian Drosten zusammen. Wie das genau aussieht und warum gerade jetzt ein Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit stattfinden muss, erklärt er im Interview.
BERLINER STIMME: Emanuel, an was genau forschst du am Max-Delbrück-Centrum?
Emanuel Wyler: Am MDC machen wir biomedizinische Grundlagenforschung, das heißt wir betrachten molekular-biologische Prozesse in verschiedenen Körperteilen, auch in verschiedenen Tiermodellen. Der Fokus des MDC liegt unter anderem auf der Krebsforschung. Wir haben nicht direkt mit Viren zu tun.
Jedoch gibt es einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MDC, unter anderem mich selbst, die schon seit Jahren modernste, am Institut angewandte oder entwickelte Technologien auf die Virusforschung übertragen. Bisher haben wir mit Herpesviren gearbeitet. Seit eineinhalb Jahren arbeiten wir mit Christian Drosten vom Institut für Virologie an der Charité Berlin zusammen und haben begonnen, an Coronaviren zu forschen.
Da konnten wir unser Programm auch sofort umstellen und molekular-biologische Prozesse in von Coronaviren infizierten Zellen anschauen. Dabei beobachten wir, wie reagiert die Zelle darauf, welche erste Immunantwort gibt sie und welche Art von Botenstoffen sendet sie aus. Gerade letzteres ist deshalb wichtig, weil ein ganz wichtiger Aspekt dieser neuen Krankheit, die von Sars-Cov-2 verursacht wird, ist dieses Überschießen des Immunsystems.
Also die Menschen sterben nicht unbedingt am Virus selber, sondern daran, dass Immunzellen in die Lunge einwandern, diese verstopfen und die Menschen anschließend nicht mehr atmen können.
Was hat sich an deiner Arbeit als Wissenschaftler während der Corona-Krise geändert?
Es hat unsere Arbeit viel schneller und dringlicher gemacht. Mit dem Team von Christian Drosten forschen wir an einer der vier eher harmloseren Varianten aus der Familie der Coronaviren. Diese Viren zirkulieren ständig und verursachen Erkältungen. Mit dem neuen Coronavirus ist natürlich die Erwartung da, dass die Wissenschaft sofort neue Erkenntnisse gewinnt.
Die Wissenschaft viel mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
Das ist insofern wichtig, weil wir eher an Projekte über Monate, Jahre gewöhnt sind. Nun müssen innerhalb von Wochen Ergebnisse her. Der Druck ist da schon spürbar größer und an dieser Stelle müssen wir darauf achten, dass eben jener Druck nicht zu Unsauberkeit und Fehlern führt.
Auf der anderen Seite ist die Wissenschaft viel mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, so dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise viel mehr Interviews geben müssen, was vorher auch nicht der Fall war. Das schmeichelt natürlich auch und ist ein Ansporn. Man muss dabei jedoch auch aufpassen, dass man da nicht so viele Erwartungen schürt.
Wir geben uns Mühe und versuchen schnell zu sein, doch Wissenschaft ist ein ganz langsamer Prozess und wir können nicht innerhalb von Monaten ein Wundermittel herstellen.
Wundermittel ist das Stichwort: Nach was sucht die Wissenschaft genau?
Es gibt bisher keine Medikamente gegen das Coronavirus, von denen die Wissenschaft weiß, dass sie funktionieren. Man versucht andere Medikamente auf das Coronavirus anzuwenden, aber auch da braucht es klinische Studien. Es dauert Monate, um zu sagen, ob da etwas funktioniert oder nicht.
Selbst die optimistischsten Stimmen sagen, dass frühestens Anfang 2021 eine Impfung im großen Maßstab zur Verfügung steht.
Bisher gibt es nichts, was einen durchschlagenden Erfolg hat. Nach wie vor gibt es keine Heilung für die Erkrankten. Was es auch noch nicht gibt, ist eine Impfung. Da wird ja auch weltweit geforscht. Selbst die optimistischsten Stimmen sagen, dass frühestens Anfang 2021 eine Impfung im großen Maßstab zur Verfügung steht.
Das bedeutet, dass man nicht innerhalb von Monaten neue Medikamente oder Impfstoffe gegen ein neues Virus erwarten kann.
Du hast bereits gesagt, dass ihr mit dem Team des Virologen Christian Drosten zusammenarbeitet: Wie sieht eure Zusammenarbeit genau aus?
Also wir versuchen unsere jeweiligen Stärken einzubringen. Das ist bei der Virologie natürlich die jahrzehntelange Erfahrung in der Forschung mit Coronaviren. Das bedeutet auch, dass da ganz viele Techniken und der Umgang mit dem Virus vorhanden ist. Für das neue Coronavirus braucht es ja ein Biosicherheitslabor der Stufe 3.
Von diesen gibt es nur sehr wenige in Deutschland. Um in solchen Laboren zu arbeiten braucht es viel Erfahrung. Wir hingegen haben die neuste Technologie im Bereich der Molekularbiologie. Das bedeutet konkret, dass die Zellen am Institut von Christian Drosten infiziert und untersucht werden. Diese Proben werden dann chemisch inaktiviert, sodass sie nicht mehr ansteckend beziehungsweise infektiös sind.
Wir untersuchen sie danach mit den Technologien, die uns zur Verfügung stehen. Das MDC ist ein sehr technisch ausgerichtetes Institut und so haben wir auch die neuste Technologie vor Ort, mit denen wir biologische Prozesse in viel besserer Qualität und mit viel mehr im Detail untersuchen können.
Dann kommt jetzt die Frage aller Fragen: Gibt es denn schon erste Ergebnisse?
Das muss man weltweit zusammenfassen, denn wir machen ja auch nur ein ganz kleines Mosaikstück. Es gibt, glaube ich, schon belastbare Ergebnisse, was die Immunität angeht. Also die Wissenschaft weiß, wenn eine Person infiziert ist, dann stellt sie Antikörper her. In den meisten Fällen auch Immunzellen, die den Erkrankten beziehungsweise die Erkrankte vor einer erneuten Infektion schützt.
Es gibt auch schon Hinweise darauf, warum welche Impfstoffe erfolgreich sein könnten und welche nicht. Da hat die Wissenschaft in den vergangenen Monaten Fortschritte gemacht. Was die Medikamente betrifft oder auch das Verständnis, warum eine Infektion manchmal unbemerkt verläuft und manchmal tödlich sein kann, da sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch recht am Anfang.
Da gibt es viele Hinweise, aber noch nicht so wirklich eine klare Idee. Das ist deshalb so wichtig, eben weil wir dieses Überschießen der Immunreaktion des Körpers besser verstehen wollen. Das ist eben die Tatsache, welche die Leute schwer krank macht und letztlich tödlich ist. Da müssen wir noch den richtigen Weg finden, um einzugreifen.
Du betreibst einen eigenen Blog zur Coronakrise: Über was genau informierst du in dem Blog?
Die zweite Januarhälfte habe ich damit begonnen. Da war das Coronavirus noch vollkommen neuartig. An dieser Stelle hielt ich es für eine gute Gelegenheit Wissenschaftskommunikation zu betreiben, also das Sprechen der Forscherinnen und Forscher über Wissenschaft mit der Öffentlichkeit und den Medien. Das wird auch immer wichtiger.
Ich glaube, wenn die Menschen besser wissen, um was es sich bei diesem Erreger handelt (…), dann hilft ihnen das tatsächlich auch mit dieser für alle schwierigen Situation zurecht zu kommen.
Die Monate danach ist das Virus immer nähergekommen. Ich habe gemerkt, dass da bei den Menschen auch viel Unsicherheit vorhanden ist. Die Leute wissen nicht wie lange es geht oder wie gefährlich dieses Virus ist. Deshalb will ich zeigen, was die Wissenschaft bietet und versuche das verständlich zusammenzufassen.
Einerseits, um den Menschen zu zeigen, dass die Wissenschaft reagiert und mit Hochdruck an Lösungen arbeitet. Andererseits, um den Leuten das Verständnis um den Virus nahe zu bringen. Ich glaube, wenn die Menschen besser wissen, um was es sich bei diesem Erreger handelt, woran gearbeitet wird, was bekannt ist und was nicht, dann hilft ihnen das tatsächlich auch mit dieser für alle schwierigen Situation zurecht zu kommen.
Bekommst du dann auch Feedback auf deinen Blog?
Feedback gibt es vor allem auf Twitter. Da sind dann Leute, die mir Rückfragen stellen oder sich freuen, dass da jemand was erklärt. Ich denke, es kommt gut an. Klar, mein Blog ist eine ganz andere Liga als der Podcast von Christian Drosten er hat ja Millionen Zuhörerinnen und Zuhörer.
Auf jeden Fall existiert ein ganz großes Bedürfnis zu erfahren, worum es beim Coronavirus genau geht. Das ist so der Grundtenor. Die Menschen freuen sich einfach, dass etwas erklärt wird.
Wenn du trotz der immensen Aufklärung, unter anderem durch deinen Blog, so etwas wie Hygiene-Demos siehst, bei denen die Existenz des Coronavirus infrage gestellt wird, wie gehst du als Wissenschaftler damit um?
Einerseits betreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eben diese Kommunikation mit der Öffentlichkeit, um solchen Aussagen entgegenzuwirken. Es ist einfach Tatsache: Das Coronavirus gibt es, der Erreger ist gefährlich und mit aller Wahrscheinlichkeit nicht im Labor hergestellt. Andererseits sind, was den Umgang mit dem Virus betrifft, viele Aspekte enthalten, bei denen die Naturwissenschaft eigentlich nichts beitragen kann.
Ich denke, das muss man nicht besonders ernst nehmen.
Ich könnte ein-, zweimal auf eine Hygiene-Demo gehen und es den Menschen vor Ort erklären und sie würden mir sowieso nicht glauben. Ich denke, es ist eine nach wie vor ganz kleine Gruppe, die da wirklich sehr laut ist. Vor kurzem habe ich beispielsweise eine Autodemo gesehen. Diese war von Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretikern organisiert und da fuhren dann 30 Autos quer durch Berlin.
Ich denke, das muss man nicht besonders ernst nehmen. Ein Verständnis in der Mehrheit der Bevölkerung ist wichtig, um mit dem Virus einigermaßen vernünftig umgehen zu können, alle kann man sowieso nicht überzeugen.
Zu Anfang des Lockdowns hast du einem Interview gesagt: „Weil wir als Gesellschaft miteinander reden können, werden wir einen Weg finden, die Krise zu überstehen.“ Jetzt drei Monate später, findest du, dass wir gut durch die Krise kommen? Immerhin steht die Warnung einer zweiten Infektionswelle im Raum.
Auf jeden Fall, das gilt gerade für viele europäischen Länder, insbesondere Deutschland. Hier sind vergleichsweise wenige Menschen gestorben und krank geworden. Ich glaube in der Regierung haben alle Beteiligten, und daran hat auch die SPD einen Beitrag geleistet, eine gute Antwort auf die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen gefunden.
Da kann sich die Gesellschaft schon so ein bisschen auf die Schulter klopfen.
Man merkt auch die große Disziplin im Berliner ÖPNV. Ich würde sagen, hier tragen 80 Prozent einen Mund-Nasen-Schutz. Nichtsdestotrotz gibt es noch extrem viel zu tun. Das große Thema Kita und Schulen wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Doch im Allgemeinen zeigt das gesamte Verhalten der Bevölkerung, dass Corona ernst genommen wird.
Die Menschen haben an ganz vielen Stellen Solidarität gezeigt, nichts ist wirklich zum Stillstand gekommen, die Apokalypse blieb aus und ich glaube, da kann sich die Gesellschaft schon so ein bisschen auf die Schulter klopfen.