Heike Schmitt-Schmelz ist Jugendstadträtin des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf.SPD Berlin/Sebastian Thomas

Eine Jugendstadträtin erzählt: „Jugendämter werden unterschätzt“

Im Grundgesetz steht: Pflege und Erziehung ist das natürliche Recht der Eltern. Jugendämter nehmen die Rolle des sogenannten staatlichen Wächteramtes ein. Doch in der Öffentlichkeit und den Medien wird dieser Auftrag leider sehr oft auf die stärkste Maßnahme, die Inobhutnahme eines Kindes, reduziert. Ein Gastbeitrag von Heike Schmitt-Schmelz.

Tatsächlich sind unsere Jugendämter unterschätzte Institutionen. Ihre Möglichkeiten an Beratung, Unterstützung sowie Angeboten an Kinder- und Jugendliche und Familien sind von großer Vielfalt. Die Jugendämter leisten ein umfassendes Paket an finanziellen Unterstützungen. Dazu gehören das bekannte Elterngeld oder der Unterhaltsvorschuss.

Beide Leistungen unterstützen Eltern und Alleinerziehende in einer sehr wichtigen und oft herausfordernden Phase des Lebens. Aber auch mit der wirtschaftlichen Jugendhilfe besitzt der Staat die Möglichkeit umfassend zu unterstützen. Erziehungsberatung, Soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistände oder pädagogische Einzelbetreuung gehören zu diesen Leistungen.

Das Jugendamt konzentriert sich bei seiner Arbeit auf ein Prinzip der Regionen. Dies ermöglicht sehr gezielt auf die jeweiligen Einwohner- und Sozialstrukturen vor Ort einzugehen. Auf diesem Weg wird die Arbeit von vielen weiteren Institutionen getragen.Ein weiteres großes Feld ist die Kinder- und Jugendhilfe. Charlottenburg-Wilmersdorf ist hier mit starken Trägern und Einrichtungen vertreten.

Dazu gehört, zum Beispiel das Haus der Jugend „Anne Frank“, dass sich an Kinder- und Jugendliche zwischen dem 8 – 20 Lebensjahr richtet. Dieses bietet den Raum für Freizeitaktivitäten, Freundschaften und verschiedensten Angeboten: Billard, Kicker, Tischtennis, Fußball, Brettspiele, Musikangebote, Töpfer- und Holzarbeiten, Computer bis zu Kettcar fahren oder Graffiti sprühen.

Eine weitere seit über 50 Jahren währende Tradition ist das Feriencamp „Kirchvers“. In der damaligen Teilungssituation haben viele Westberliner Bezirke mit anderen Bundesländern Patenschaften etabliert. So sind in unterschiedlichen Regionen wie in Hessen Feriencamps entstanden, die Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit boten, außerhalb von Berlin ihre Ferien zu verbringen.

An dieser Tradition hält der Bezirk bis heute fest und das ist auch gut so. Dieses Angebot, das auch besonders einkommensschwache Familien unterstützt, ist eine lebendige Möglichkeit für Kinder und Jugendliche um Erfahrung zu sammeln, Neues auszuprobieren, sich entwickeln zu können und daran zu wachsen.

Das „Haus der Jugend Charlottenburg“ ist ein weiter Ort der als Jugendkulturzentrum dient. Hier können Kinder und Jugendliche von 6 – 27 Jahren einen Raum finden der sich besonders auf Multimedia, Musik und Theater spezialisiert. Gerade die Möglichkeit von Bandproberäumen, Tonstudio, Videoschnittplätze oder zwei Theatersäle bietet hervorragende Voraussetzungen.

Ein anderer Ort der sich besonders an Eltern und junge Familien richtet ist das „Haus der Familie“. Dieses bietet Eltern-Kind Gruppen, Elternkurse, Beratung und Informationen über viele Angebote von Bewegung, Musik, Entspannung bis zum Familienfrühstück. Wichtig ist aber auch die konkrete Hilfe in den Familien.

Dazu werden beispielsweise Programme wie das der „Stadtteilmütter“ unterstützt. Engagierte Frauen die sich über die vorschulische Förderung, Sprachentwicklung, Bildungssysteme, gesunde Ernährung bis zur Medienkompetenz qualifizieren lassen. Dies schafft ein umfassendes Beratungs- und Hilfesystem im direkten Kontakt unterschiedlichster Herkunft und Sprachanforderungen.

Dies ist nur ein Bruchteil dessen was jeden Tag in Jugendämter geleistet wird.  Viele weitere Angebote von Jugendberufsagentur, Jugendgerichtshilfe, Jugendberatung oder die breiten Möglichkeiten von finanziellen Unterstützungen zeigen, dass das staatliche Wächteramt viel mehr ist, als Kinder in Obhut zu nehmen.

Dies stärker herauszustellen muss ein wichtiges Anliegen sein, sowie das Arbeiten am Imagewandel der Jugendämter mit dem Ziel, Ängste abzubauen und die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen als wertvolle Partner bei der Erziehung und in schwierigen Lebenslagen verstehen zu können.

Heike Schmitt-Schmelz im Gespräch mit Miguel Góngora, Vorsitzender des Kinder- und Jugendparlamentes Charlottenburg-Wilmersdorf

BERLINER STIMME: Ihr seid beide für Kinder- und Jugendbeteiligung zuständig – Wie geht ihr diese an?

Heike Schmitt-Schmelz: Echte Kinder- und Jugendbeteiligung funktioniert nur gemeinsam mit jungen Menschen. Kinder und Jugendlichen müssen dazu befähigt werden, an ihr teilzuhaben, sie selbst zu organisieren und dabei unterstützt werden, Informationen und Prozesse zu verstehen.

Miguel Góngora: Dabei ist es auch wichtig, dass unserer Beteiligungsformate wirkungsmächtig sind. Und die Ergebnisse nicht nur auf dem Papier entstehen, sondern auch tatsächlich die Lebenswirklichkeit verändern.

Welchen Herausforderungen musstet ihr euch bereits stellen, um Kinder und Jugendliche wirkungsvoll mit einzubeziehen?

Heike Schmitt-Schmelz: Im Bezirk haben wir sehr viele engagierte Jugendliche, vor allem auch durch unser Kinder- und Jugendparlament. Als die größten Herausforderungen sehe ich die Informationsweitergabe zu Angeboten und die Inklusion sowie die Finanzierbarkeit von guten Partizipationsverfahren.

Miguel Góngora: Alle drei Herausforderungen meistern wir aber jedes Jahr und unser Bezirksamt ist immer bemüht, um jedes Kind und jeden Jugendlichen mit einer Idee oder einfach nur der Lust auf Politik und Gestaltung zu unterstützen.

Wie funktioniert das Kinder- und Jugendparlament in Charlottenburg-Wilmersdorf und für was setzt es sich ein?

Heike Schmitt-Schmelz: Unser Kinder- und Jugendparlament besteht aus Vertreterinnen und Vertreter aller Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen des Bezirkes. Diese bilden das Parlament, was wiederum Arbeitsgemeinschaften bildet.

Der Vorstand koordiniert das Parlament und repräsentiert es nach außen und die beschlossenen Anträge werden durch die Vorsitzende der Bezirksverordnetenversammlung in diese eingebracht und von den Kindern-und Jugendlichen in den Ausschüssen vorgestellt. Personell wird das KJP unterstützt von einer Geschäftsstelle im Jugendamt und einigen Honorarkräften

Miguel Góngora: Wir setzen uns für einen europäischen Zusammenhalt ein, für ein Demokratiefördergesetz auf Bundesebene, für ein Kinder- und Jugendparlament auf Berliner Landesebene, für den Klimaschutz, die Umgestaltung von Spielplätzen aber auch für unsere Schulen und Demokratiekonferenzen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen dem Bezirksamt und dem Kinder- und Jugendparlament?

Miguel Góngora: Die Zusammenarbeit erleben wir, wenn unser Vorstand in der BVV spricht, in einem Ausschuss einen Antrag vertritt oder wenn wir im regelmäßig stattfindenden Einzelgespräch mit dem Bezirksamt ausmachen, ein Projekt gemeinsam anzugehen.

Heike Schmitt-Schmelz: Die Zusammenarbeit läuft sehr gut. Ich bin immer sehr angetan, wenn sich junge Menschen derart engagieren und versuche zu unterstützen, wo es irgend möglich ist. Natürlich können nicht alle Ideen verwirklicht werden. Dann ist es wichtig transparent zu machen, warum nicht. Auch das gehört zur Demokratie dazu.

Welche Erfolge erzielte das Kinder- und Jugendparlament bereits?

Heike Schmitt-Schmelz: Das Kinder- und Jugendparlament hat sich von Beginn an für den Umweltschutz engagiert, hat es zudem geschafft, dass eine neue Jugendfreizeiteinrichtung in Westend errichtet wird, sich aber auch an der Sanierung zahlreicher Plätze und Spielplätze beteiligt. Auch hat das KJP viele Jugendbegegnungen organisiert und viele Anträge in der BVV für die Belange von Kindern und Jugendlichen durchgesetzt.

Miguel Góngora: Wir haben uns stark gemacht für geflüchtete Menschen und haben hier Projekte zur Integration entwickelt. Gemeinsam mit Heike und der BVV haben wir den Jugendhaushalt des Bezirkes um fast eine Million Euro für unsere Jugendfreizeiteinrichtungen erhöht, Jugenddemokratiekonferenzen mitorganisiert und uns immer gegenseitig unterstützt.

Was hat es mit der Jugenddemokratiekonferenz im Bezirk auf sich?

Heike Schmitt-Schmelz: Unsere Jugenddemokratiekonferenz ist ein weiteres großes Beteiligungsformat, das wir einmal jährlich durchführen. Sie ist ein gemeinsames Projekt zwischen dem Bezirksamt, der Partnerschaft für Demokratie, der regionalen Schulaufsicht, den Schulen und dem KJP. Dabei organisieren wir gemeinsam Konferenzen in der alle Kinder und Jugendlichen in regionalen Arbeitsgruppen, Ideen erarbeiten und mit unserer Unterstützung, in breiten Prozessen diese umsetzen.

Miguel Góngora: Die Jugenddemokratiekonferenzen stellen ein weiteres Angebot dar, das besonders für Kinder und Jugendliche interessant ist, die sich nur auf ein oder zwei Projekte fokussieren wollen.

Wie hat das KJP bisher durch seine Arbeit die Jugendfreizeiteinrichtungen unterstützt?

Miguel Góngora: Das KJP hat eine Einrichtungsvertreterkonferenz für den Bezirk eingerichtet, mit der wir sicherstellen, dass die Meinungen der Jugendfreizeiteinrichtungen besonders berücksichtigt werden. Zudem besucht ein Vorstandsmitglied alle zwei Monate jede Jugendfreizeiteinrichtung.

Auch bei der letzten Haushaltsverhandlung hat besonders Heike eine Erhöhung der Finanzmittel für die Jugendfreizeiteinrichtungen rausholen können und nur dadurch können wir jetzt eine bessere Ausstattung und bessere Koordination erwarten.

Nach ihrer Erfahrung- müssen wir Kinder- und Jugendbeteiligung digitalisieren, um sie auch in Zeiten von Corona zu sichern?

Miguel Góngora: Kinder- und Jugendbeteiligung lässt sich schwer digital beschreiten, daher ist es wichtig, die Jugendfreizeitangebote auch digital zur Verfügung zu stellen und das KJP auch für alle zu digitalisieren. Daher fordern wir nun auch eine Sanierungsoffensive für die Jugendfreizeiteinrichtungen.

Heike Schmitt-Schmelz: In der Kinder-und Jugendbeteiligung läuft viel auch nonverbal und über Beziehungen. Eine komplette Digitalisierung ist deshalb schwer möglich. Aber da wo sich anbietet versuchen wir es. Die nächste Jugenddemokratiekonferenz wird weitestgehend digital laufen.

Eine Sanierungsoffensive für Jugendfreizeiteinrichtungen ist sicherlich sinnvoll, allerdings sollte es hier neben der digitalen Ausstattung auch um die bauliche Substanz und Ausstattung gehen. Das ist ein Projekt für den nächsten Haushalt.

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