Für Frauen gehören monatlich eine Woche lang Menstruationsartikel zu ihrem Leben dazu. Doch: Nicht alle können sich Hygieneartikel leisten. Davon betroffen sind vor allem wohnungs- und obdachlose Frauen. Doch nicht nur: „Es ist ein Problem, was sich durch einige Gesellschaftsschichten zieht“, sagt Tamara Lüdke, SPD-Abgeordnete im Berliner Parlament. Im Gespräch erklärt sie, warum Periodenarmut kein Lifestyle-Thema ist und was ihre Partei tun möchte, um das Problem zu lösen.
Hinweis: Im Interview wird über Frauen gesprochen, aber nicht alle Menstruierenden sind per se weiblich.
BERLINER STIMME: Wie bist du zu diesem Thema eigentlich gekommen?
Tamara Lüdke: Ich hatte mich intensiv mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandersetzt. An dieser Stelle erfuhr ich zum ersten Mal, dass sich dieses Problem bei Frauen ganz anders niederschlägt als bei Männern. Ganz besonders zeigt sich das in der Periodenarmut. Das ist mir vorher, obwohl ich selbst Frau bin, nie aufgefallen, weil ich nicht betroffen bin.
Doch die Mitarbeiter*Innen von Obdachlosenunterkünften kennen sich mit dem Thema Periodenarmut gut aus und selbst dort ist es für eine betroffene Frau sicherlich schwer darüber zu sprechen, denn es ist ein sehr persönliches, teils auch schambehaftetes Thema.
Warum findet sich das Problem der Periodenarmut gerade bei wohnungs- und obdachlosen Frauen?
An erster Stelle ist die Unterscheidung zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit wichtig. Wenn Frauen ihre Wohnung verlieren, gehen sie häufig nicht unbedingt in die Obdachlosigkeit. Sie geraten oft in Abhängigkeiten. Sie fangen mit Männern Beziehungen an oder lassen sich von Männern leichter ausbeuten, um einen Schlafplatz in der Wohnung zu haben. Auf der Straße sind sie hingegen noch viel angreifbarer und mehr Übergriffen ausgesetzt als Männer.
Auch der der Zugang zu Hygiene ist für sie noch bedeutsamer als für Männer. Es gibt jedoch keine validen Zahlen, wie viele Frauen tatsächlich betroffen sind, sondern lediglich Schätzungen. Das trägt mit Sicherheit dazu bei, dass das Thema weitgehend unter dem öffentlichen Radar stattfindet, weil auch die Personen, die es betrifft, so stark unsichtbar bleiben.
Man liest von Erhebungen in den USA, bei denen 46 Prozent der einkommensschwachen Frauen angegeben, dass sie sich regelmäßig entscheiden müssen, ob sie Damenhygieneartikel kaufen oder etwas zu Essen. Betrifft Periodenarmut also nur eine sehr kleine Gruppe?
Das würde ich so nicht sehen. Es ist ein Problem, was sich durch einige Gesellschaftsschichten zieht. Die Hartz-IV-Sätze für Gesundheit und Hygiene sind auf den Cent genau berechnet und unterscheiden nicht zwischen Mann und Frau. De facto fehlt Frauen, die menstruieren, jeden Monat Geld. Doch das ist mehr als nötig, denn Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Durchschnitt auf ihr gesamtes Leben gerechnet 7.000 Euro für Menstruationsprodukte ausgeben. Manche Studien gehen auch von 20.000 Euro aus.
Wenn man die Zeit in den Frauen menstruieren zusammenzählt, kommt man auf rund sieben Jahre am Stück! Sieben Jahre, in denen Frauen durchgehend mehr Geld ausgeben müssen als Personen, die nicht ihre Periode haben.
Gerade wenn man eben mal eine Zeit lang auf Transferleistungen angewiesen ist, dann ist es für Frauen eindeutig eine Geldfrage, auch für Studentinnen. Die Mietpreise steigen, das BAföG nicht.
Beim Studium kann man sich vielleicht noch gut durchschlagen?
Ich denke, Betroffene überspielen es häufig und geben vor, ihren Tampon oder Binde vergessen zu haben. Sie fragen dann ihre Freundin, ob sie aushelfen könnte. Doch eigentlich haben sie schlichtweg kein Geld dafür. Das Problem bleibt einfach zu sehr unsichtbar.
Einerseits ist es für so viele Frauen und Mädchen existenziell, andererseits gehört es beispielsweise bei vielen Restaurants zur Kundenbindung, zum Wohlfühlen dazu und auf der Toilette gibt es ein Körbchen mit Deo und Hygieneartikeln. Das wirkt vor diesem Hintergrund eher wie ein Marketing- oder Lifestylethema.
Daran wird schon deutlich, dass die Wahrnehmung verschoben ist. Sicher, auf einer Damentoilette fühlt sich das für mich erst mal an wie Luxus, was eigentlich gar nicht nötig wäre. Aber im Ernst, natürlich ist es nötig. Dann ist man einfach dankbar für eine öffentliche Toilette, wo entsprechende Hygieneprodukte zur Verfügung stehen. Ich glaube, es ist auch zum Lifestyle-Thema avanciert, weil es eine Nachhaltigkeitsdebatte um Hygieneprodukte gibt.
Da gibt es inzwischen einen Riesenmarkt. Der Kapitalismus hat bereits voll eingeschlagen. Es gibt Menstruationstee, PMS-Gummibärchen oder eine spezielle Sorte von Schokolade. Das ist eine krasse Form von Pink Washing. Mittlerweile haben Werbestrategen gemerkt, dass Frauen mehr arbeiten dürfen, ein regelmäßiges Einkommen beziehen, und die angepriesenen Produkte sind sehr teuer. Das ist nochmal eine Form von Periodenarmut: Zu speziellen Gummibärchen, die aufgrund ihrer Rezeptur gegen Stimmungsschwankungen helfen sollen, haben Frauen, die sich ohnehin keine Hygieneartikel leisten können, überhaupt gar keinen Zugang.
Und selbst wer sich Tampons und dergleichen leisten kann, eine mehrfach verwendbare Tasse oder Periodenunterwäsche ist teuer. Da wären wir wieder bei der anfangs erwähnten Nachhaltigkeitsdebatte: Nachhaltig agieren könnten die betroffenen Frauen nicht, weil sie dazu nicht das nötige Geld zur Verfügung haben.
Was können wir als Berliner SPD tun und was machen wir bereits?
Es ist auch ein Bildungsauftrag und generell lohnt es sich, in die Gesundheit von Menschen zu investieren. Bereits in der vergangenen Legislatur hat die SPD im Bund die Steuer für Hygieneartikel heruntergesetzt. Bisher galten sie als Luxusprodukte. Dafür waren jedoch schon viel öffentlicher Druck und viel Kampagnenarbeit nötig.
Wenn wir jetzt über das neue Bürger*innengeld sprechen, dann müsste man in der Debatte noch überlegen, ob man das tatsächlich aufschlüsselt, also einen konkreten Geldbetrag für Hygieneartikel ausweist. Dazu würde mich die rechtliche Einschätzung interessieren. Auch für die vertiefte Auseinandersetzung im Frauengesundheitsbericht könnte sich die SPD einsetzen.
Armut an sich ist ein sozialdemokratisches Thema. Wir sind die Partei, die Armut bekämpft und die sich auch schon früh für Frauenrechte eingesetzt hat. Da kommen einfach mehrere SPD-Kernthemen zusammen.
Tamara Lüdke
In der SPD ist es Beschlusslage, dass wir uns für die verpflichtende kostenlose Bereitstellung von Menstruationsartikeln an öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Schulen, Universitäten, Stadtteilzentren, Bürger*innenämtern und Jugendclubs sowie in Apotheken einsetzen. Auch Modellprojekte können auf den Weg gebracht werden: In Lichtenberg zum Beispiel will man das am verschiedenen Schulen ausprobieren.
Deutschlandweit gibt es bereits verschiedene Modellprojekte, auf deren Erfahrungen man zurückgreifen könnte. In Schottland ist seit 2020 ein Gesetz in Kraft, das öffentliche Einrichtungen dazu verpflichtet, Hygieneartikel bereitzustellen. Daran könnten man sich ebenfalls orientieren. Liebe Tamara, ich danke dir für das Gespräch.