Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-FunkeSPD Berlin/Sebastian Thomas

Equal Pay Day 2022: „Wir sind nicht da, wo wir sein könnten“

Vom 1. Januar bis 7. März 2022 – das entspricht genau 66 Tagen. So lange arbeiten Frauen quasi umsonst. Dieser Rechnung liegen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zugrunde. Demnach verringert sich die Lohnlücke um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent. Zu langsam, findet die Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke. Im Interview erzählt sie, welche Folgen das für Frauen hat und was Männer zur Lösung des Problems beitragen können.

BERLINER STIMME: Das diesjährige Motto des Equal Pay Day ist „Equal Pay 4.0 – gerechte Bezahlung in der digitalen Arbeitswelt“. Liebe Sinem, was meinst du, welche Chancen bietet die Digitalisierung, um gleiche Bezahlung von gleicher und gleichwertiger Arbeit voranzubringen?

Sinem Taşan-Funke: Eine Chance kann sein, durch die konsequente Umsetzung von mobiler Arbeit die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Care-Arbeit besser zu gewährleisten. Das kann für einige Frauen eine Berufstätigkeit erst beziehungsweise das Leisten von bestimmten Stunden erst ermöglichen. Wir müssen als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten natürlich darauf achten, dass aus der Chance nicht die Gefahr wird, dass Frauen hierdurch in beide Rollen gedrängt werden, wie wir es in der Corona-Pandemie oft beobachtet haben.

Da hatte die Gesellschaft auf einmal wieder die Erwartung, dass Frauen im Homeoffice, die Kinder „so nebenbei“ betreuen können. Wir müssen darauf achten, dass Frauen durch die Möglichkeit des Homeoffice nicht wieder ins „Häusliche“ gedrängt werden. Aber Digitalisierung geht ja noch weiter: Viele Arbeitsplätze für geringer Qualifizierte, die statistisch gesehen oft Frauen sind, werden in Zukunft wahrscheinlich wegfallen. Wichtig ist daher, dass Frauen den gleichen Zugang zu Weiterbildungsangeboten haben wie Männer – nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch!

Laut der Forscherin Andrea Ruppert von der Frankfurt University of Applied Science kommt gerade das Homeoffice weiblichen Führungskräften zugute, weil sie nicht dauerhaft am Arbeitsplatz präsent und erreichbar sein müssen und ihnen so die Vereinbarkeit mit Familienpflichten erleichtert wird. Wie siehst du diese Aussage?

Geht es um Führungskräfte muss man das differenziert beantworten. Ich glaube wie gesagt, dass das Homeoffice in punkto Vereinbarkeit etwas beitragen kann. Doch von der Idee, dass eine Führungsrolle einzunehmen, auch physische Präsenz bedeutet, ist unsere Arbeitskultur meiner Wahrnehmung nach noch nicht wirklich abgekommen. Da wird es noch viel kulturellen Wandel benötigen, damit wir an den Punkt gelangen, an dem Zeit im Homeoffice genauso viel wert ist wie Präsenz am Arbeitsplatz.

Die statistische Lohnlücke liegt bei aktuell 18 Prozent. Im Vorjahr lag sie noch bei 19 Prozent. Die gesetzliche Regelung zu Frauen in Führungspositionen wurde verschärft und durch das Entgelttransparenzgesetz dürfen Frauen und Männer nicht ungleich bezahlt werden. Braucht es da einen Aktionstag wie den „Equal Pay Day“ noch?

Auf jeden Fall, weil er darauf aufmerksam macht, dass wir immer noch ein Problem haben. Wir haben gesetzliche Maßnahmen getroffen, um das Problem zu verkleinern. Wir stellen auch fest, dass sie zu wirken beginnen. Aber gerade der Vergleich mit anderen europäischen Staaten zeigt ja, wir sind überhaupt noch nicht da, wo wir sein könnten. Ich glaube in der Frage, wie denn eigentlich Care-Arbeit verteilt ist, haben wir noch eine Möglichkeit, Dinge zu verändern.

Genauer gesagt, wie können wir eine Arbeitskultur etablieren und gesetzliche Regelungen entwickeln, die helfen, den Karriereknick, den die Pflege eines Kindes oder von Angehörigen nun mal immer bedeutet, gerechter zwischen den Geschlechtern aufzuteilen. Zum Beispiel könnte man darüber nachdenken, wie man die Auszahlung von Elterngeld noch weiter an Bedingungen knüpfen kann. Das ist die Baustelle, an die wir ranmüssen.

Du hast erst kulturelle Bedingungen genannt. Frauen arbeiten im Vergleich zu Männern häufiger in Teilzeit, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. Was sind die Ursachen? Warum ist es Frauensache oder warum wird als solche angesehen?

Früher waren Frauen oft die geringer Qualifizierten in einer Beziehung, haben weniger Geld verdient und der Grund für die Eltern- beziehungsweise anschließende Teilzeit war schnell gefunden. Mittlerweile fällt dieser Grund oft weg, weil Akademiker statistisch häufiger mit Akademikerinnen zusammen sind – aber auch Akademikerinnen nehmen viel öfter den Großteil der Elternzeit und gehen danach eher in Teilzeit.

Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-FunkeSPD Berlin/Sebastian Thomas
Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließt sich für die Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Tasan-Funke viel zu langsam.

Teilweise wird das immer noch damit erklärt, dass der Mann die Care-Arbeit aufgrund seines Berufs schlechter vereinbaren könne. Die Realität ist, dass heutzutage ganz viele Frauen halbtags arbeiten, obwohl sie nicht unbedingt den Beruf gewählt haben, der sich dafür besser eignet. Es sind oft die Erwartungen der Gesellschaft. Viele Frauen umtreibt auch die Angst, am Ende als Rabenmutter dargestellt zu werden, die ihren Kinderetwas verwehrt.

Diese Angst drängt Frauen immer wieder in die Rolle, sich längere Auszeiten zu nehmen oder in Teilzeit zu gehen. Ich glaube, das müssen wir brechen und das passiert teilweise auch schon. Doch allein die Tatsache, dass eine progressive Generation heranwächst, in der Frauen besser qualifiziert sind als je zuvor, löst das Problem augenscheinlich nicht. Das muss uns zu denken geben.

Welche Folgen ergeben sich daraus für Frauen?

Die schlimmste Folge ist Altersarmut. Denn wer Teilzeit arbeitet, zahlt viel weniger in die Sozialkassen, vor allem in das Rentensystem ein und profitiert am Ende viel weniger. Der Anteil, den Frauen am Ende ihres Erwerbslebens im Vergleich zu Männern an Einkommen und Vermögen haben, ist erschreckend. Diese Zahlen haben genau mit dem Phänomen zu tun, über das wir gerade gesprochen haben.

Und mit der Tatsache, dass sich Frauen in der Vergangenheit oft längere Auszeiten nehmen mussten, einfach weil das Betreuungsangebot noch nicht da war. Mit kulturellen Gründen, die Frauen in diese Rolle gedrängt haben und am Ende auch mit der Entscheidung Teilzeit zu arbeiten, um das Familienleben vereinbar zu machen.

Was muss sich in der Wirtschaft ändern, damit sich die Lohnlücke allmählich schließt?

Ich glaube es ändert sich etwas, wenn Frauen und insbesondere jungen Frauen mehr zugetraut, mehr Verantwortung in die Hand gegeben wird und das trotz der Möglichkeit, dass sie natürlich irgendwann schwangerschaftsbedingt ausfallen können. Außerdem, wenn eine Kultur einzieht, in der gelebt wird, dass es völlig okay ist, wenn eine Frau eine Zeitlang ausfällt und danach das Motto lautet:

„Wir machen dir den Wiedereinstieg planbar und wir sorgen aktiv dafür, dass es für dich keine Nachteile bedeutet.“ Auch die Wirtschaft profitiert davon, dass Menschen Kinder kriegen. Sie muss sich als Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe sehen und es möglich machen, dass Leute wegen Kindern oder auch weil sie Verwandte pflegen müssen, mal eine Auszeit nehmen.

Was können denn Männer konkret dafür tun, damit sich die Lücke schließt?

Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Männer können bei sich selbst ansetzen, insbesondere wenn sie Vater werden. Sie sollten sich selbst ehrlich machen und überlegen, die Elternzeit paritätisch aufzuteilen und das vielleicht, obwohl der Job ihrer Frau sich gut dafür eignet, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich glaube tatsächlich, dass davon auch ganz viele Väter im Verhältnis zu ihren Kindern profitieren würden. Aber das mal beiseitegeschoben. Es ist relevant dafür, dass sich beide Parteien in der Partnerschaft die beruflichen Einbußen, die durch einen Kinderwunsch entstehen, gleichermaßen aufteilen.

Was hat die SPD in den vergangenen Jahren deiner Meinung nach richtig gemacht?

Durch das Entgelttransparenzgesetz hat man schon einiges richtig gemacht. Oder nehmen wir das Gesetz zu mehr Frauen in Führungspositionen. Das sind Bestimmungen, die explizit von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kamen. Das ist wichtiges Zeichen gewesen, nämlich dass wir die Partei sind, die den feministischen Kampf nach vorne gestellt und auch klar gemacht hat: Es ist nicht getan mit rechtlicher.

Es muss sich auch in der Bezahlung zeigen, dass wir gleichgestellt sind. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann natürlich, dass die jeweiligen Gesetze, die wir damals in der Großen Koalition gemacht haben, Zähne bekommen und dahingehend verschärft werden, damit sie einfach eine noch bessere Wirksamkeit entfalten können.

Von der SPD würde ich mir wünschen, dass sie eine Diskussion darum startet, wie wir Care-Arbeit noch besser verteilen können und wie wir mit dem Elterngeld Anreize setzen können. Beispielsweise indem wir es nur dann voll auszahlen, wenn beide Parteien paritätisch ihre Elternzeit nehmen.

Liebe Sinem, ich danke dir für das Gespräch.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN