Bundesarbeitsminister Hubertus HeilBMAS/Dominik Butzmann

Berliner Stimme 5|2020: „Wir geben kein Geld aus, wir investieren“

Gerade in Zeiten der Corona-Krise sind er und sein Ressort besonders gefragt: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. In einem Gespräch mit der BERLINER STIMME spricht er über den Fall Tönnies, das Recht auf Homeoffice und wie die Corona-Krise den Arbeitsmarkt verändert.

BERLINER STIMME: Hubertus, die Corona-Krise hat die deutsche Wirtschaft hart getroffen. Wie lange glaubst du wird die Krise noch anhalten?

Hubertus Heil: „Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, soll der Physiker Niels Bohr einmal gesagt haben. Wie lange die Krise anhält, hängt entscheidend vom Infektionsgeschehen ab. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 um rund neun Prozent schrumpfen wird – unter der Voraussetzung, dass es keine zweite Ansteckungswelle gibt.

Experten erwarten, dass nach dem Einbruch eine schwierige Anpassungsphase folgt, bevor es wieder aufgeht. In jedem Fall ist klar, dass wir einen tiefen wirtschaftlichen Einbruch haben. Niemand von uns hat dergleichen schon einmal erlebt, aber wir tun, was wir können, um die Folgen der Krise zu dämpfen: wirtschaftlich und sozial.

Ich meine das medizinische Personal in den Heimen und Krankenhäusern, die trotz Angst weitergearbeitet haben.

Und im Vergleich zu den allermeisten Staaten hält sich Deutschland wirklich wacker. Die Politik und auch der oft gescholtene Föderalismus hat gezeigt, wie schnell und umfassend und durchschlagend wir reagieren können, wenn es notwendig ist. Genauso wichtig wenn nicht wichtiger war und ist aber das mutige, besonnene und kreative Handeln unserer Landsleute.

Ich meine das medizinische Personal in den Heimen und Krankenhäusern, die trotz Angst weitergearbeitet haben. Die Künstler und Kulturschaffenden, die ihre Angebote ins Virtuelle verlagert haben. All die Privatpersonen, die plötzlich Masken nähten. Die Verkäuferinnen und Lageristen, die stoisch weiter Nudeln ins Regal räumten und unsere Supermärkte am Laufen hielten.

Bei allen Härten, Sorgen und Ängsten: Unsere Gesellschaft hat sich als stark und solidarisch erwiesen, ist nicht den Untergangspredigern auf den Leim gegangen. Herz und Verstand haben über Hass und Verschwörung gesiegt.

Du hast in einem kürzlich veröffentlichten Interview gesagt: „Wer durch Regelverstöße die Verbreitung des Coronavirus auslöst und dadurch eine ganze Region in Geiselhaft nimmt, muss dafür auch haften.“ Ist eine solche Haftung möglich?

Mir geht es hier um Verantwortung. Ich erwarte von einem Unternehmen wie Tönnies, dass es alles tut, um den Schaden zu begrenzen und dafür einzustehen. Und das ist ja nicht erledigt mit einem Rücktritt als Aufsichtsrat bei Schalke. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat ja bereits angekündigt, dass sie die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung prüfen wird.

Bundesarbeitsminister Hubertus HeilBMAS/Dominik Butzmann
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Mir geht es um Verantwortung.“

Welche Maßnahmen müssen in Zukunft getroffen werden, damit sich die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie ändern?

Wir werden verschiedene Maßnahmen ergreifen, um Schlupflöcher zu schließen und somit Missbrauch und Ausbeutung unmöglich zu machen. Die Bundesregierung hat dazu am 20. Mai 2020 ein Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft mit zehn Maßnahmen beschlossen. Im Zentrum steht für mich das Verbot von Werkverträgen in dieser Branche.

Dahinter stehen das Leben und Arbeiten und Wohnen von Menschen – und das muss menschenwürdig sein.

Aber mindestens genauso wichtig ist es, bestehende Gesetze konsequent anzuwenden und Fehlverhalten zu bestrafen. Deshalb wollen wir die Bußgelder empfindlich erhöhen, digitale Arbeitszeiterfassung zur Pflicht machen und die Länder verpflichten, vor Ort öfter zu kontrollieren. Denn wenn wir von Arbeitsbedingungen und Arbeitsrecht reden, geht es ja nicht um Paragraphen. Dahinter stehen das Leben und Arbeiten und Wohnen von Menschen – und das muss menschenwürdig sein.

Wie wichtig war und ist in deinen Augen die Kurzarbeit und das damit verbundene Kurzarbeitergeld?

Immens wichtig, die Kurzarbeit ist eine stabile Brücke über ein tiefes Tal. Dank ihr haben wir Millionen von Arbeitsplätzen gesichert. In den USA sind in den letzten drei Monaten 41 Millionen Jobs verloren gegangen. Die Kurzarbeit hat sich schon bei der letzten Wirtschaftskrise im Jahr 2008/2009 bewährt, als der damalige Arbeitsminister Scholz sie breit einsatzfähig machte.

Die Leute behalten ihre Verträge, und auch, wenn sie befristet weniger oder gar nicht arbeiten, können sie sofort wieder loslegen, sobald die Arbeit wieder gebraucht wird. Deshalb haben wir in den vergangenen Wochen die Regelungen zur Kurzarbeit auch massiv ausgeweitet. Kurzarbeit kann es jetzt länger geben, bis zu 21 Monate lang, falls die Kurzarbeit schon 2019 anfing.

„Die Kritik am Kurzarbeitergeld empfinde ich als falsch – und ungerecht“

Zugleich ist mir klar, dass viele Menschen mit nur 60 beziehungsweise 67 Prozent ihres Einkommens nicht auf Dauer auskommen können, zugleich die Kurzarbeit in manchen Branchen aber noch länger gelten dürfte. Deshalb erhöhen wir rückwirkend zum März 2020 das Kurzarbeitergeld ab dem vierten Monat auf 70 beziehungsweise 77 Prozent und ab dem siebten Monat Kurzarbeit sogar auf 80 beziehungsweise 87 Prozent unter der Bedingung, dass jemand nur noch die Hälfte oder noch weniger arbeitet. Heißt konkret: Wer seit dem 15. März in Kurzarbeit ist, kann ab dem 15. Juni die erste Aufstockung kriegen.

Kritikerinnen und Kritiker behaupten das Kurzarbeitergeld sei zu teuer. Wie empfindest du diese Kritik?

Als falsch – und auch ein bisschen ungerecht. Die Kurzarbeit ist natürlich kostspielig – aber Arbeitslosigkeit wäre mit Sicherheit noch teurer. Außerdem muss man sehen: Wir geben das Geld ja nicht einfach aus, sondern wir investieren es: In den Fortbestand von Belegschaften und damit in die Zukunft. Wir sind ein starker Sozialstaat und auf den müssen sich die Menschen natürlich gerade in der Krise verlassen können.

In der Corona-Krise mussten viele Menschen ihr Büro nach Hause verlagern. Bis Herbst dieses Jahres möchtest du ein Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der das Recht auf Homeoffice enthält. Warum ist dir gerade ein solches Recht so wichtig?

Im Moment erleben wir einen Großversuch, der von der Pandemie erzwungen wurde. Manche empfinden das Arbeiten im Homeoffice als Zumutung, andere staunen, was auf einmal möglich ist. Grundsätzlich und unabhängig von der aktuellen Pandemie bietet mobiles Arbeiten aber viele Chancen. Es kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, spart Pendelzeiten, sorgt für eine größere Arbeitszufriedenheit.

„Homeoffice darf nicht zu einer Entgrenzung der Arbeit führen“

Zudem steigert es auch die Attraktivität von Unternehmen als Arbeitgeber. Daher arbeitet das BMAS an einem Rechtsrahmen für mobile Arbeit. Ich will niemanden ins Homeoffice zwingen. Aber ich möchte es denen ermöglichen, die es nutzen wollen  sei es für einen Nachmittag, tageweise oder auch für eine längere Zeit.

Auch an dieser Stelle gibt es Kritik: Durch Homeoffice könnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eventuell Ruhezeiten nicht mehr einhalten und ebenso die komplette Zeit durcharbeiten: Wie willst du dieser Sorge begegnen?

Wir brauchen ganz klare Regeln. Homeoffice darf nicht zu einer Entgrenzung der Arbeit führen. Es geht nicht, dass Beschäftigte rund um die Uhr arbeiten oder von ihnen erwartet wird, dass sie immer erreichbar sind. Arbeitsschutz muss es auch im Homeoffice geben. Wie das konkret ausgestaltet wird, werden wir intensiv mit den Sozialpartnern beraten.

Du setzt dich für eine bessere Bezahlung von Pflegekräften ein: Welche Rolle spielt die Corona-Krise bei dieser Entscheidung?

In der Krise haben die Heldinnen und Helden des Alltags den Laden am Laufen gehalten: Gerade in der Pflege wurde so viel geleistet. Der Altenpfleger und die Krankenpflegerin konnten während des Lockdowns nicht ins Homeoffice wechseln, sondern haben an ihrem Arbeitsplatz und trotz höheren Ansteckungsrisiko täglich um Menschenleben gekämpft.

Wenn wir nur applaudieren, werden viele das als Hohn empfinden. Wir müssen für bessere Löhne sorgen. Die Pflegekommission empfiehlt bereits höhere Pflegemindestlöhne und die Angleichung zwischen Ost und West. Auch soll es erstmals differenzierte Mindestlöhne für Hilfs- und Fachkräfte geben. Zudem ermuntere ich die Tarifpartnerinnen und -partner nachdrücklich, endlich einen Branchentarifvertrag abzuschließen, den ich für allgemeinverbindlich erklären kann.

Durch die Krise steigt auch die Arbeitslosigkeit. Im Mai ist die Zahl der Arbeitslosen um 169.000 gestiegen – die Arbeitslosenquote liegt nun bei 6,1 Prozent. Wie besorgt bist du angesichts solcher Zahlen?

Natürlich bin ich besorgt. Aber nicht gelähmt. Die Kurzarbeit funktioniert, mit dem Ausbildungsbonus motivieren wir Unternehmen, Azubis zu beschäftigen, und durch das Konjunkturpaket werden laut DIW-Schätzungen bis 2025 insgesamt 700.000 Arbeitsplätze entstehen.

Das sind deutlich mehr, als gerade verloren gehen und zeigt, dass hier mit Weitsicht gehandelt wurde. Die Milliarden des Konjunkturpakets sind klug investiertes Geld.

Wie wird die Corona-Krise den Arbeitsmarkt in Zukunft verändern?

Die Krise verändert ihn nicht sie zeigt nur wie ein Brennglas, was vorher schon da war. Und sie beschleunigt das eine oder andere. Mit Sicherheit ist die Pandemie ein Schub für die Digitalisierung unserer Arbeitswelt. Homeoffice ist da nur das offensichtlichste Beispiel. Zugleich war schon vorher klar, dass wir die Wertschätzung für bestimmte Berufe steigern müssen.

Ein gerechter, sozialer und digitaler Arbeitsmarkt

Auch das ist in den letzten Monaten noch unübersehbarer geworden. Viele Menschen, die jetzt als systemrelevant gelten, arbeiten in Berufen, die nicht gut bezahlt werden. Das ist ökonomisch und sozial nicht vertretbar. In der BERLINER STIMME darf man ja mit Sicherheit Willy Brandt zitieren. Der sagte einst: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Und ich will den Arbeitsmarkt so gestalten, dass er nach der Krise nicht nur digitaler, sondern auch gerechter und sozialer ist.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN